Rückkehr – Über die 57. Nordischen Filmtage in Lübeck

Seit Jahren bin ich bei den Nordischen Filmtagen in Lübeck im selben Hotel und im selben Zimmer untergebracht, mit dem herbstlich idyllischen Ausblick auf den Mühlenteich. Am anderen Ufer lässt sich die Seite des Gebäudes sehen, in dem ich fünf Tage lang die meiste Zeit verbringen werde: das CineStar, Hauptspielstätte der Nordischen Filmtage, die außerdem in Kirchen, dem Kommunalen Kino und dem Kolosseum stattfinden.

Es ist das größte Festival Europas mit einem klaren nordeuropäischen Schwerpunkt, über 180 Filme liefen hier von Mittwoch bis Sonntag (4.-8.11.2015). 14 Filme habe ich gesehen – doch da ich von vorherigen Festivals in Berlin, München, San Sebastian und Hamburg schon einige Beiträge kannte, habe ich es zum ersten Mal geschafft, bis auf einen alle Filme des Spielfilmwettbewerbs zu sehen – Vollständigkeit verhinderten Überschneidungen im Programmplan und meine Abreise am Sonntagvormittag.

‚Rückkehr‘ war in diesem Jahr nicht nur der deutsche Titel des Siegerfilms, sondern auch ein maßgebliches Thema im Wettbewerb. In The Here After kommt ein Junge in sein Heimatdorf zurück, nachdem er seine Strafe wegen der Tötung seiner Freundin verbüßt hat. In dem isländischen Film Sparrows zieht ein Junge zurück in das Haus seines Vaters, weil seine Mutter mit ihrem neuen Mann nach Afrika gehen wird. Sowohl Tobias Lindholms A War als auch Henrik Martin Dahlsbakkens Gewinnerfilm Returning Home erzählen von der Rückkehr eines Soldaten aus Afghanistan.

Abgesehen von dieser thematischen Ähnlichkeit sind die Filme aber höchst unterschiedlich: Lindholm verhandelt in ausgefeilter Bildsprache moralisch komplexe Fragen, die sich durch die Beteiligung an einem Krieg für eine Familie in Dänemark stellen. Dabei kann er sich auf die hervorragende Bildsprache seines Kameramanns Magnus Nordenhof Jønck, den superben Schnitt von Adam Nielsen und seine sehr guten Schauspieler verlassen.

Dagegen hat Dahlsbakken in seinem Debütfilm mit seinem Bruder vom Drehbuch über die Kamera bis zum Schnitt fast alles alleine gemacht. Lediglich 150.000 Euro hatten sie zur Verfügung – und sie erzählen die sehr persönliche Geschichte zweier Brüder, deren Vater einen Tag nach seiner Rückkehr aus Afghanistan von einem Jagdausflug nicht wieder heimkehrt. Das ist zweifellos eine berührende Geschichte, aber dass der Film den Hauptpreis in diesem Jahr gewonnen hat, ist angesichts einiger filmisch und narrativ besserer Beiträge für mich nur schwer nachzuvollziehen.

Sehr gefreut hat mich hingegen, dass in diesem Jahr das isländische Kino sehr prägnant vertreten war. Drei Filme liefen im Wettbewerb, noch dazu hat Virgin Mountain – ab diesem Donnerstag im Kino und sehr sehenswert – sowohl den Kirchen- als auch Publikumspreis gewonnen. Und der isländische Eröffnungsfilm Sture Böcke hat den Baltischen Filmpreis erhalten. Zusammen mit Sparrows zeigen diese drei Beiträge, dass sich die isländische Filmindustrie in den letzten Jahren deutlich entwickelt und einige sehr gute Regisseure hervorgebracht hat.

Und wenngleich hier in Lübeck viele unter dem Titel Sture Böcke eine Komödie erwarteten, ist der Ton in allen drei Filmen ernster geworden. Außerdem erzählen sie alle Geschichten von Männern. Ohnehin gab es in diesem Jahr im Wettbewerb nur wenige Filme mit einer weiblichen Hauptfigur – ganz im Gegensatz zu dem Kinder- und Jugendfilmbereich, in dem es viele Protagonistinnen gab.

Insgesamt blieben in diesem Jahr die großen Überraschungen für mich aus. Aber das liegt vor allem daran, dass ich viele sehr gute Filme schon vorab gesehen habe – erst vor wenigen Wochen hat mich Rosita in Hamburg begeistert, bereits vor einem Jahr Silent Heart sehr bewegt.

Deshalb war für mich in Lübeck in diesem Jahr das größte Highlight die Arbeit des Kameramanns Magnus Nordenhof Jønck, der in A War und Bridgend (startet im Dezember) fantastische Bilder findet. Kameraleute sind viel zu selten namentlich bekannt –wenn Sie das nächste Mal ins Kino gehen und von den Bildern eines Films beeindruckt sind, achten Sie doch auf den Namen. Denn sie haben es verdient.

Über Sonja Hartl

Sonja Hartl studierte Deutsche Sprache und Literatur, Medienwissenschaft und Sozial- und Wirtschaftsgeschichte in Marburg und schreibt seither als freie Journalistin über Film, Fernsehen und Literatur. Außerdem betreibt sie das Blog Zeilenkino und ist Chefredakteurin von Polar Noir.