The Walking Dead

Kennen wir das nicht irgendwie alle… Man wacht nach tagelangem Koma im Krankenhaus auf,  die Stadt ist eine verwaiste Ruine und ein Großteil der Bevölkerung ist entweder tot oder zum Zombie mutiert. Die Besucherblumen sind zu pastellenem Staub vertrocknet, die Uhr steht und die Telefone sind so tot wie die im Hinterhof gestapelten Leichen. Wie eine Schlange kriecht ein halb verwestest Mädchen ohne Beine durch das frische Gras…

Man befürchtet: das bleibt jetzt für immer so.

Der Unterschied zwischen Fernsehserie und echtem Leben ist, dass der Zustand im ersten Fall die gesamte Ausstrahlungszeit anhält und im zweiten durch einen Riegel Aspirin, ein paar Streicheleinheiten, viel Wasser und ein, zwei Therapeutenbesuche wieder vergeht und wir nach ein paar vorsichtigen Schritten wieder als halbwegs brauchbarer Mensch auf die Gesellschaft losgelassen werden können.

Wir können die P38 im Gemüsebeet lassen, die Munitionsschachteln im Dachsparren und die Enduro in der Garage.

Die erste Staffel von The Walking Dead wurde in einem heißen Sommer im Staate Georgia gedreht, und das Fremdenverkehrsamt legt nicht umsonst Wert darauf, sein Logo in den Abspann zu quetschen. Sphärische Musik. Bilderbuchidylle mit frischer Morgensonne, überirdisch schöne Naturbilder treffen auf hemmungslose tabubrechende Schockbilder. Oft sparsam inszeniert und von alptraumhafter Schönheit. Nur einige Total-Einstellungen sind digitalisiert und führen zurück auf die Tinte des Comics, der den Machern angeblich wie ein Storyboard gedient hat.*

The Walking Dead ist ebenso Hochkultur wie In Stahlgewittern von Jünger, die Sekretärin auf dem Rücksitz eines Taxis verwesend von Dali und Die Straße von Cormac McCarthy. Das ist übrigens die deprimierendste Endzeit-Geschichte der Welt. Sie kommt ohne das Moment der Hoffnung und völlig ohne Zombies aus – denn es sind echte Menschen, die das Baby gleich nach der Geburt verspeisen…

Extreme Konflikte destillieren die kleinsten Reste von Menschlichkeit aus den Charakteren. Dabei kann das menschliche Miteinander durchaus banal sein – aber selbst in den banalsten Momenten ist The Walking Dead immer noch spannender als der höchste Höhepunkt in irgendeiner von den tausend deutschen Sokos und Tatörtchen, die ich mir nur ansehen könnte, wenn man mir wie Alex in Uhrwerk Orange Zahnstocher in die Augenlider stecken würde… Aber zum Glück treibt der Plot die Gruppe schnell wieder vor sich her. Spitzhacken zerschmettern Zombieköpfe. Wer eben noch Bruder oder Schwester war, ist plötzlich ein verwesender röchelnder Feind, der sich blutdürstig auf einen stürzt und nur durch einen Kopfschuss gestoppt werden kann – mit einer Fahne von Blut und Gehirn, die noch einen viertel Meter hinterm Kopf in Georgias Touristenschönheit spritzt.

Vielleicht sollte ich mich einmal untersuchen lassen, denn The Walking Dead sagt mir mehr über mein eigenes Leben als das gesamte deutsche Fernsehprogramm zusammen. Sowieso kostet mich die Heute Show 5 Euro und ich bin mir nicht immer sicher, ob das gut angelegtes Geld ist. Vielleicht ist es das radikal Antibürgerliche dieses Settings, das mich gefangen hält. Das Hochmoralische und Romantische, das sich dahinter verbirgt. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die zwei Mal am Tag heiß duschen. Vielleicht geht ja wirklich irgendwann mal das Licht aus. Wo liegt denn der Kerzenstummel oder besser noch die Taschenlampe, wenn jetzt plötzlich der Bildschirm und der ganze Rest darum auch noch schwarz wird? Ich hoffe, es ist eine Maglite aus stoßfestem Flugzeugaluminium. Das Mantra „wir sehen uns vor Gericht wieder“ wird nämlich in der uferlosen Finsternis verebben und ein Schutzmann ist nicht zu sehen. Bildungsfernsehen im besten Sinne. Ich hatte schon immer eine große Affinität zum Endzeit-Genre. Ich habe natürlich auch keinen Gemüsegarten, aber einen Camping-Kocher und einen Daunenschlafsack in meinem Transporter, und mein Held ist Hank Williams:

All alone and forsaken by fate and by man
Oh, Lord, if You hear me please hold my hand
Oh, please understand.

(Alone&Forsaken by Hank Williams)

*Die Serie The Walking Dead beruht auf dem gleichnamigen Comic des Autors Robert Kirkman. Zeichner war bis zur sechsten Ausgabe Tony Moore, der von Charlie Adlard abgelöst wurde. Bis zur 24. Ausgabe zeichnete Moore jedoch noch die einzelnen Cover.

Über Uli Wohlers

Uli Wohlers ist DiplSoz Päd. Prüfer bei FSK und FSF. Er studierte u.a. Publizistik und Filmwissenschaft in Dublin und Lüneburg und lebt nun als freier Autor in Hamburg, Berlin, Dänemark und on the road. Wohlers textet nicht nur für den fsf blog, sondern schreibt Romane und Drehbücher. Sein aktuelles Werk heißt Projekt Rahanna, 2011 ist der Krimimalroman Die Spur der Schweinebeides bei Braumüller/Wien erschienen.