Was machen die bloß, diese Skandinavier?

Kennen Sie auch diese Leute, die immer von skandinavischen Serien schwärmen? Wie toll Kommissarin Lund gewesen sei, dass Die Brücke – Transit in den Tod eine Serie sei, die man unbedingt gesehen haben muss. Nun, ich bin eine von ihnen. Hingerissen von Kommissarin Lund, begeistert von Die Brücke, angetan von Borgen. Ich liebe Nordeuropa, habe schon immer gerne Serien geguckt und jubele deshalb auch über ihre aktuelle Hochzeit. Aber die Feierei hat auch einen neuen Trend hervorgebracht, der mir einige Serien vermaledeit hat, und wie bei den guten Serien erscheinen mir auch hier die Skandinavier eine wichtige Rolle zu spielen: Ausführliches Erzählen wird zunehmend mit Komplexität verwechselt.

The Legacy - Die Erbschaft © Constantin Film
The Legacy – Die Erbschaft © Constantin Film

Einige Beispiele: Von vornherein steht bei der dänischen Serie The Legacy – Die Erbschaft fest, dass sie von der jungen Signe handeln wird, die überraschend das Anwesen der Künstlerin Veronika Grønnegaard erbt, weil sie eigentlich ihre leibliche Tochter ist. Aus verschiedenen Gründen sind ihre Halbgeschwister darüber nicht erfreut, außerdem haben auch Signe und ihre Familie Schwierigkeiten mit der neuen Situation. So weit, so interessant. Aber es dauert dann drei Episoden, bis der Erbschaftsfall überhaupt eintritt und sich dessen Auswirkungen einstellen können. Nach diesen drei Folgen ist The Legacy eine gute Serie, sie ist hervorragend besetzt und inszeniert, aber durch diese drei Folgen muss man durch.

Ähnlich verhält es sich in der schwedischen Serie Blutsbande, die gewissermaßen das Prinzip von The Legacy variiert: Hotelbesitzerin Anna-Lise lädt ihre drei Kinder auf ihr Anwesen ein, deutet in verschiedenen Gesprächen etwas an und wird dann am Anfang der zweiten Folge tot aufgefunden.
In ihrem Testament hat sie verfügt, dass ihre Kinder das Familienhotel bis zum Ende des Sommers gemeinsam weiterführen müssen. Die Geschwister sind sich uneins, haben in der Vergangenheit Dinge getan, die sie verbergen wollen, aber lassen sich dann darauf ein. Sämtliche Entwicklungen sind vorherzusehen, es gibt bei dieser Serie quasi keine Überraschungen. Es ist nicht komplex, wenn zwei Brüder permanent aufeinander losgehen, weil der eine mal etwas mit der Frau des anderen hatte – das ist soapig. Es ist auch nicht vielschichtig, wenn die Mutter lediglich Andeutungen vor sich hinmurmelt, es ist unnötig – zumal der Zuschauer ja weiß, worauf es hinausläuft.

In der norwegischen Serie Mammon war zwar das Erzähltempo höher, aber hier sollte Komplexität durch möglichst viele Handlungsstränge erreicht werden.


Ein Journalist hat mal eine Veruntreuung aufgedeckt, steckt nun in der Sportredaktion, dann begeht sein Bruder Selbstmord, weil er in einen Wirtschaftsgeheimbund mit religiösen Anwandlungen verwickelt ist – und das sind noch nicht einmal alle Elemente der Handlung. Hier werden in den ersten drei von sechs Episoden so viele Nebenstränge angefangen, dass ich die Serie nur bis zum Schluss geguckt habe, um zu wissen, wie sie aus diesem Schlamassel herauskommen. (Spoiler: Kommen sie nicht, sondern sie greifen einfach auf ein Mittel des griechischen Theaters zurück).

Von Komplexität sind diese Serien weit entfernt, hier werden Langsamkeit, Ausführlichkeit und Nebensächlichkeiten aufgewertet. Natürlich gibt es das nicht nur bei den Skandinaviern, auch in der Netflix-Serie Bloodlines wabern die ersten Folgen vor sich hin und Spannung kommt lediglich am Ende durch die variierenden Vorschauen auf das jeweilige Finale auf. Da nützen die sehr guten Schauspielerleistungen und das hübsche Setting auch nur wenig, damit ich dranbleibe – und noch weniger die Hinweise, dass der Serienabschluss  aber ganz großartig inszeniert sei. Denn mal ehrlich: Was nützt ein großartiges Ende, wenn der Weg dorthin langweilig war? Und dabei will ich gar keine große Action oder atemberaubende Verwicklungen, sondern einfach nur gutes, durchdachtes Storytelling. Wie beispielsweise in Broadchurch. Oder auch der ersten Staffel von Kommissarin Lund. Stattdessen soll es nun aber von Mammon eine zweite Staffel geben. Wie das bei dem Durcheinander, das am Ende der ersten Staffel hinterlassen wurde, gehen soll, ist mir ein Rätsel.

Über Sonja Hartl

Sonja Hartl studierte Deutsche Sprache und Literatur, Medienwissenschaft und Sozial- und Wirtschaftsgeschichte in Marburg und schreibt seither als freie Journalistin über Film, Fernsehen und Literatur. Außerdem betreibt sie das Blog Zeilenkino und ist Chefredakteurin von Polar Noir.