Woody Allen: Ein Stadtneurotiker wird 80

Wie beginnt man eine Recherche über Woody Allen? Diesen Meister des Sprach- und Bildwitzes, der es schafft, selbst surrealste Sequenzen so mit der Realität zu verweben, dass sie als erstklassige Satire durchgehen? Nichts einfacher als das. Schließlich stößt man in Rezensionen rasch auf Floskeln wie „ein typischer Woody Allen“. Dachte ich. Doch das filmische Schaffen des Allan Stewart Konigsberg alias Heywood Allen (seit 1952) alias Woody Allen ist weitaus komplexer, als man zunächst annehmen mag.

Filmische Phasen und autobiografische Züge

Da ist zuerst einmal das allen´sche Frühwerk. Anfänglich absurd und geradezu surreal, mit zuweilen übersteigerter Improvisation, anschließend komplexer, mit differenzierteren humoristischen Anteilen ‒ etwa in der berühmt gewordenen New-York-Trilogie. Dann entwickelte der passionierte Jazz-Klarinettist seine Komödien weiter zu pessimistisch anmutenden Tragikomödien.
Zwischendrin wagte er sich auch mal an alternative Formate, sogar Kostümfilme oder Theaterstücke. Erst Ende des vergangenen Jahrhunderts verkehrten sich die dramatischen Stoffe ins Positive; die Handlungen wurden leichter. Um dem Absurden nicht ganz den Rücken zu kehren, vermischte er nun banale Realität mit Kunstfiguren anderer Epochen. Kurz darauf verließ Allen filmisch den sicheren Hafen seiner New Yorker Heimat und begann seine „europäische Phase“. London, Paris, Rom, Barcelona ‒ kaum eine europäische Metropole, der Allen kein filmisches Denkmal gesetzt hätte (Vicky Cristina Barcelona, To Rome with Love, Midnight in Paris).

Ein paar Gemeinsamkeiten ziehen sich aber doch durch Allens bisheriges Gesamtwerk: So ist beispielsweise der obligatorische Schwarzbild-Vorspann mit weißen Anfangstiteln und Jazzmusik seit jeher eine feste Säule in seinen Filmen; fast so, wie stets bestrittene, aber offensichtliche autobiografische Züge. Nicht verwunderlich, denn privat verlief Allens bisheriges Leben ähnlich turbulent. Zwei Ehen, Beziehungen mit Co-Stars wie Diane Keaton (Der Stadtneurotiker) und Mia Farrow (The Purple Rose of Cairo), gefolgt von einer dritten Ehe; diesmal pikanterweise mit Farrows Adoptivtochter Soon Yi-Previn. Dazu mindestens vier (Adoptiv-)Kinder.

Woody Allen mit 80

Das ist viel Stoff für ein einziges Leben, aber Woody Allen ist weit davon entfernt, sich zur Ruhe zu setzen. Einen Film pro Jahr ‒ das hat sich der viermalige Oscarpreisträger auch mit 80 Jahren vorgenommen. Im Jubiläumsjahr schickt er mit Irrational Man, der Mitte November in Deutschland anlief, seinen 46. Spielfilm ins Rennen. Wie gewohnt spannt Allen den Bogen zwischen Tragik und intellektuellem Wortwitz, unterlegt seinem Plot einen beschwingten Jazz-Klangteppich Marke „Easy Listening“.

In Irrational Man zeigt der Altmeister, dass man nicht mal vor der Midlife-Crisis gefeit ist, wenn man beruflich permanent über das Leben nachdenkt. Philosophie-Professor Abe Lucas (Joaquín Phoenix) jedenfalls findet erst vorübergehend durch die Affäre mit College-Studentin Jill Pollard (Emma Stone) aus der Krise ‒ und mit Kollegin Rita Richards (Parker Posey). Was als harmlose Quasi-Dreieckskomödie beginnt, verkehrt sich rasch ins Tragische: Als Eigenbrötler Abe langsam wieder in Lethargie verfällt, passiert das Absurde: Er ermordet einen korrupten Richter, der einer Mutter das Sorgerecht für ihre Kinder entziehen will und gewinnt durch die vermeintlich „gerechte“ Tat neuen Frohsinn. Spätestens an dieser Stelle verlässt der geneigte Zuschauer die Wohlfühlzone und beginnt zu grübeln: Hat Woody Allen hier die Chance auf eine urkomische Komödie verpasst, um sie in eine absurde Mordgroteske zu verkehren? Oder ist ihm ein genialer Schachzug gelungen?

Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen. Fakt ist, die Kehrtwende kommt überraschend, aber nicht ganz unvermittelt. Denn mal ehrlich: Wer hätte erwartet, dass es Woody Allen bei einer harmlosen Liebeskomödie belässt? Bisher hat noch jeder seiner Protagonisten das ein oder andere dunkle Geheimnis offenbart ‒ wenn es auch meistens nicht gleich ein Mord war.

Die Kritiken polarisieren entsprechend, ebenso wie Allen selbst: Von „narrativen Schwächen“ (New York Times), über „unglaubwürdig“, „absurd“ und „komplett unlustig“ (Der Spiegel) bis zum Hinweis auf die funktionierende Überzeugung und die enorme „Chemie zwischen Phoenix und Stone“ (The Hollywood Reporter) ist alles geboten. Nein, Irrational Man ist kein (von Allen ohnehin verhasstes) Hollywood-Popcorn-Kino. Doch wer erwartet das schon von einem, der in 80 Lebensjahren eine Metamorphose sondergleichen durchgemacht hat. Ein typischer Woody Allen eben … Morgen ist sein Ehrentag ‒ Happy Birthday, Mr. Allen!

Über Cornelia Klein

Dr. Cornelia Klein studierte Diplom-Pädagogik mit dem Schwerpunkt Medienpädagogik und promovierte über die mediale Vorbildkompetenz. Sie arbeitet als Lektorin und Redakteurin bei einem pädagogischen Fachverlag.