Barrierefreiheit im privaten Fernsehen

In Deutschland leben rund 1,2 Millionen Menschen mit einer Sehbehinderung und schätzungsweise 0,1 Prozent der Gesamtbevölkerung gilt als hörbehindert, wobei die im Netz kursierenden Zahlen stark variieren. Es wird darauf verwiesen, dass es keine Meldepflicht bei Schwerbehinderungen gibt und somit die Dunkelziffer höher ausfallen kann.

Für all diese Menschen gibt es barrierefreie Angebote in den Medien, denn ihnen soll diskriminierungsfrei die Partizipation an der öffentlichen Meinungsbildung ermöglicht werden. In Bezug auf das Fernsehen unterscheiden sich die Anzahl der barrierefreien Angebote. Während die öffentlich-rechtlichen Sender ein recht gut ausgebautes barrierefreies Angebot bereitstellen (95 %), ist das Angebot an barrierefreien Inhalten bei den privaten Fernsehsendern noch ausbaufähig.

 

Barrierefreie Sendungen werden unterschieden in Inhalte mit:

  • Audiodeskription:
    Akustische Beschreibungen für blinde und sehbehinderte Menschen, die berichten, was auf dem Bildschirm zu sehen ist. Zusätzlich wird in Dialogpausen kurz und präzise ergänzt, was die Tonspur auslässt, bspw. Landschaftsbeschreibungen, Gesichtsausdrücke, wichtige szenische Details.
  • Untertitel:
    Darüber erhalten Menschen mit einer Hörbehinderung die Informationen in Schriftform zu den im Film gesprochenen Worten, ebenso werden akustische Geräusche und Musikspuren wörtlich beschrieben.
  • Gebärdensprache:
    Hörbehinderte Menschen erhalten per Körpersprache einer eingeblendeten Person (Gestik, Mimik, Mundbild), also einer visuell wahrnehmbaren Kommunikationsform, die Informationen zu den mit Sprache verbundenen Fernsehbildern.


Jährliches Monitoring

Um die Entwicklung und den Ausbau an solchen Inhalten zu dokumentieren, geben die Medienanstalten seit 2012 jedes Jahr ihren Monitoringbericht heraus. Im letzten Bericht wurde über einen Zeitraum von drei Monaten minutengenau das Programm der Senderfamilien Mediengruppe RTL und ProSiebenSat.1 Media SE mittels Fragebogen erfasst. Im Ergebnis zeigt sich, dass die ProSieben-Gruppe den Anteil an untertitelten Sendungen zum Vorjahr erhöhte und sich die RTL-Gruppe etwa bei den gleichen Zahlen wie im Vorjahr bewegte.

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RTL:
Die Untertitelungsquote liegt bei den Free-TV-Sendern der RTL-Gruppe bei 17 Prozent – also ca. vier barrierefreie Sendestunden täglich. Es werden alle Spielfilme und alle Fußballübertragungen untertitelt, Nachrichtenformate hingegen nicht. Erstmals wurden 735 Stunden an untertitelten Formaten beim Video-on-Demand-Angebot TV NOW im Dreimonatszeitraum bereitgestellt. Somit hält die Mediengruppe RTL inklusive der Plattform TV NOW pro Tag 22 untertitelte Programmstunden bereit, dies entspricht ca. 20 verschiedenen Sendungen. Für 2021 ist darüber hinaus ein Ausbau der Audiodeskription geplant. Weitere Einzelheiten und Zahlen der Sender Vox, RTL Nitro, Super RTL und RTLZWEI sind im Monitoring (hier) abrufbar.

ProSiebenSat.1 Media:
Bei durchschnittlich rund 27 Prozent der Sendungen der fünf erfassten Sender SAT.1, ProSieben, Kabel Eins, sixx und ProSieben MAXX wurden Angebote mit Untertitel zur Barrierefreiheit für Menschen mit Hörbeeinträchtigung erstellt. Für die Gesamtgruppe der Sender bedeutet dies eine Steigerung, die vor allem auf den Sender Kabel Eins zurückging. Dieser erhöhte sein barrierefreies Angebot gegenüber dem Vorjahr von 28 auf 43 Prozent. ProSieben strahlt durchschnittlich 20 Sendungen täglich mit Untertiteln aus. Die Erhöhung von 41 auf knapp über 44 Prozent Untertitelungsquote verleiht ProSieben den „Titel“: Sender mit dem größten Untertitelangebot – und zwar nicht nur innerhalb der Sendergruppe, sondern aller erhobenen privaten Sender in Deutschland. Die meisten Untertitel finden sich bei US-Serien und Spielfilmen. Weitere Einzelheiten und Zahlen sind im Monitoring (hier) abrufbar.

 

Warum werden weniger Sendungen mit Audiodeskription denn mit Untertitelungen bereitgestellt und Nachrichten gar nicht untertitelt?

Das liege zum einen an der Höhe und an der schwierigen Kalkulierbarkeit der Kosten und zum anderen an technischen Hürden, wie Frederike Wissel, Manager Corporate Sustainability ProSiebenSat.1 Media SE, auf Nachfrage mitteilt. Für die Zukunft bedeutet dies, bei der Erneuerung von Sendetechnik das Thema Barrierefreiheit immer mitzuberücksichtigen, sodass das barrierefreie Angebot in den kommenden Jahren kontinuierlich ausgebaut wird. Außerdem erläutert Frederike Wissel, dass bei der Auswahl der barrierefreien Inhalte Betroffenenverbände und das Zuschauerinteresse anhand von Reichweitenanalysen miteinbezogen werden. ProSiebenSat.1 möchte insbesondere einen Mehrwert neben dem breiten Angebot der öffentlich-rechtlichen Sender schaffen. Dabei fokussiere sich ProSieben auf reichweitenstarke Sendungen wie Primetime-Shows, fiktionale Serien und Hollywood-Blockbuster. Auch Leuchtturm-Formate im Bereich Information, wie bspw. ProSieben Spezial-Sendungen, sollen unbedingt barrierefrei angeboten werden. Insgesamt, so Wissel, setzt sich die ProSiebenSat.1 Media SE zum Ziel, Ungleichheiten zu verringern, weshalb Barrierefreiheit als ein fester Bestandteil in der Umsetzung der seit 2018 entwickelten Nachhaltigkeitsstrategie festgeschrieben wurde. Allen Menschen soll so eine Teilhabe am Fernseherlebnis ermöglicht werden.

Das Ungleichgewicht der offerierten barrierefreien Angebote beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Gegensatz zum Anteil der Angebote bei den Privaten ergibt sich jedoch nur zum Teil aus der unterschiedlichen Finanzierungsgrundlage. So wünscht sich Jessica Lilienthal, Manager Governmental Relations & Regulatory Affairs der ProSiebenSat.1 Media SE, von der Medienpolitik gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Marktteilnehmer. „Gerade im Werbe- und Digitalmarkt sehen wir hier weiterhin große Unterschiede. Noch immer ist TV beispielsweise das am stärksten regulierte Medium, während für digitale Wettbewerber weniger strikte Regulierungen gelten, beispielsweise im Hinblick auf Werbeverbote. Das hat direkten Einfluss auf die Refinanzierungsmöglichkeiten auch barrierefreier Inhalte.“

Das komplette Interview lesen Sie hier

 

In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass die Medienanstalten bekannt gegeben haben, dass der nächste Monitoringbericht auch Zahlen zu den barrierefreien Inhalten der Streamingdienste und der digitalen Wettbewerber wie Netflix, Amazon Prime, Sky, Magenta u.a. enthalten wird.

 

Apropos Medienpolitik: die AVMD-Richtlinie

Das Monitoring wird in Zukunft nicht das einzige Steuerungselement für mehr Barrierefreiheit in den Medien bleiben, denn seit dem Inkrafttreten der europäischen AVMD-Richtlinie 2018 EU-Richtlinie für Audiovisuelle Mediendienste soll die Barrierefreiheit audiovisueller Angebote u.a. durch Gebärdensprache, Untertitelung und Audiodeskription gewährleistet werden (außer bei Live-Übertragungen). Bei der Umsetzung dieser EU-Richtlinie, die einen verbindlichen Rahmen für die Medienregulierung in allen EU-Mitgliedstaaten vorgibt, geht es jedoch nicht um eine flächendeckende, sondern um eine verbesserte Barrierefreiheit, die erreicht werden soll. Dies geschehe einerseits über regelmäßige Berichterstattung der Medienanbieter gegenüber nationalen Regulierungsbehörden (3-Jahres-Turnus). Zusätzlich sollte jedes EU-Land eine Anlaufstelle für Informationen und Beschwerden aufbauen. In Deutschland gibt es daher seit letztem November (2020) die ZABA: Zentrale Anlaufstelle für barrierefreie Angebote. Genaue Prozentangaben, in welcher Größenordnung die Angebote der öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunkanstalten sowie Video-on-Demand-Angebote barrierefrei zu erscheinen haben, wurden in der AVMD-Richtlinie nicht festgesetzt.

 

Es ist beachtenswert, was die öffentlich-rechtlichen und die privaten Sender aufwenden, damit Menschen mit Hör- oder Sehschwierigkeiten am Fernseherlebnis teilhaben können. Mit Untertitelungen des Fernsehprogramms oder dem Einsatz von audiodeskribierten Inhalten ist die Inklusion jedoch noch nicht abschließend umgesetzt. Neben diesen Aspekten sollte – auch wenn dies in einigen Sendungen schon umgesetzt wird – der Alltag dieser Gesellschaftsgruppe eine noch stärkere Abbildung im Programm finden.

 

Weitere Links und Quellen

Links zuletzt geprüft am 08. September 2021

Über Sandra Marquardt

Sandra Marquardt hat 2010 ihr Magisterstudium in Filmwissenschaft und Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der FU Berlin abgeschlossen. Seit 2011 arbeitet sie als Onlineredakteurin bei der FSF. Dort betreut sie u.a. zum einen den Onlineauftritt der FSF-Website, ist zum anderen für den fsf blog inklusive der Bildredaktion verantwortlich und festes Teammitglied der Newsletterredaktion. Als Praktikumsbeauftragte ist ihr die Betreuung der Praktikantinnen und Praktikanten eine Herzensangelegenheit.