Die Freude war allen 75 Teilnehmerinnen und Teilnehmern der diesjährigen Prüferfortbildung anzusehen: nach einer gefühlten Ewigkeit traf man sich in Berlin erstmals wieder persönlich, um ein boomendes TV-Phänomen unter Jugendschutzaspekten zu diskutieren, das derzeit viele Menschen in den Bann zieht: „True Crime“ – die postume Dokumentation realer Verbrechen anhand von realem Bildmaterial und nachinszenierten Tathergängen. True-Crime-Formate sind auch in Deutschland beliebt und erfreuen sich hoher Zuschauerquoten, entsprechend haben auch viele Sender ein Interesse, dieses Format „rund um die Uhr“, das heißt: auch im Tagesprogramm auszustrahlen, wie dies in den USA und dem Vereinigten Königreich bereits gang und gäbe ist. Hier greift der deutsche Jugendmedienschutz, der fein ziseliert nach spezifischen Gefährdungsgraden unterscheidet: die Spannbreite reicht vom Tagesprogramm bis hin zur Sendeunzulässigkeit, je nach Intensität der Darstellung, was anhand von Filmbeispielen aus der Prüfpraxis und der anschließenden Diskussion im Plenum – unter strengen Hygiene-Regeln – mit Blick auf die entsprechenden Sendeschienen austariert wurde. Es zeigte sich, dass einige Formate, in denen die geschilderten Verbrechen ohne Details verbal vermittelt werden, auch im Tagesprogramm platzierbar sind, andere Sendungen hingegen, in denen Gewaltverbrechen durch eindringliche „Reenactments“ – teils mit viel Filmblut und auch Horrorelementen – nachinszeniert werden, erst in späteren Sendeschienen, die vom Hauptabend- bis ins Nachtprogramm reichen, ausgestrahlt werden können.
Den inhaltlichen Schwerpunkt der Veranstaltung bildete ein Vortrag von Jan Harms (Institut für Medien- und Kulturwissenschaft der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf). In drei Schwerpunkten („Narration“, „Rezeption“ und „Kritik an True Crime“) bot er eine „tour d’horizont“ zum Thema der Veranstaltung. Das Interesse der Öffentlichkeit an realen Verbrechen (deren Schilderung und im Folgenden auch der Sühne) sei seit Jahrhunderten ein lebendiger Bestandteil der Öffentlichkeit. Harms schlug dabei den historischen Bogen von spätmittelalterlichen Bilderbögen (am Beispiel eines 1589 veröffentlichten Berichts) über die National Police Gazette (ab 1845), den True Detective Mysteries (ab 1920) bis hin zu Truman Capote (In Cold Blood) und dem Hype um die Manson-Morde (Helter Skelter) und Ted Bundy. Der Topos der „Serienmörder“ habe sich seither fest im kulturellen Repertoire verankert, was auch durch die folgenden TV-Serien etabliert wurde (etwa: 1988 – 2002: Unsolved Mysteries, die Robert Stack Episodes), später durch die Forensic Files (1996 – 2021). Nachdem es 1978 erste DNA-Gutachten gibt, gab es in der Fernsehhistorie einen neuerlichen Hype, so durch die Serie CSI ab dem Jahr 2000. Unterstützt werde dies durch das rasant wachsende Internet mit vielen Podcasts und Streamingdiensten. Hier sei insbesondere die Netflix-Serie Making a Murderer seit 2015 stilbildend.
Die Polizeiarbeit werde dabei zunehmend auch kritisch beleuchtet. On-Demand-Angebote wie bei RTL Crime: Christin und ihrer Mörder sowie Podcasts von DIE ZEIT (Verbrechen) würden das Publikum bei der Aufklärung der Fälle ebenso einbeziehen wie Aktenzeichen XY des ZDF).
Das Publikum will mitermitteln und sich dabei unterhalten
Anhand verschiedener Rezeptionsperspektiven (Publikum, Motive, Nutzungspraktiken) führte Harms im Folgenden aus, dass das Publikum (überraschenderweise?) eher weiblich und gut gebildet sei. True Crime gelte hier durchaus als „Wissensvermittlung“, aber auch als „Alibi“ für ein Bedürfnis nach Unterhaltung. True Crime sei eben auch „Entertainment“, sozusagen: „Nervenkitzel im geschützten Raum“.
True Crime sei somit auch als soziales Phänomen zu betrachten. Auf der Internetseite Reddit würden z.B. Verbrechen online besprochen, was bis zu gezielten Kampagnen und Petitionen führen könne.
Die Opfer: in der Regel jung, weiblich und tot!
Jan Harms unterließ es nicht, einen kritischen Blick auf das Genre zu werfen: Die Geschlechterrollen seien klar verteilt, nämlich: jung, weiblich und tot! Dies sei eine irreführende Festschreibung der Opferrolle: „Missing white Women“ seien überrepräsentiert; schwarze Frauen seien dagegen eher weniger präsent. Serienmörder wie Ted Bundy oder der „Todespfleger“ Niels Högel (RTL-Doku/TVNOW) seien überrepräsentiert, was sowohl zu einer Dämonisierung oder aber auch gleichzeitiger „Bewunderung“ der Täter führen könne. Zwischen dem Publikum und den Machern einer Serie werde ein „Vertrag“ geschlossen, in dem die Ingredienzien „Information und Unterhaltung“ erfüllt sein müssen. Am Ende stünde aber immer die „Rehabilitierung“ des Rezipienten durch eine „Wiederherstellung der Ordnung“ (der Täter wird verhaftet und verurteilt). Dass es hierbei sehr unterschiedliche Rechtsnormen zwischen Europa und den USA gibt (Persönlichkeitsrechte der Opfer und Täter vs. Informationsfreiheit) wird sicherlich in den nächsten Jahren für anregende Diskussionen sorgen.
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