Datenschutz zum Abgewöhnen

Die neuen Bestimmungen der EU sorgen vor allem für Unruhe

Wer nach dem 25. Mai 2018 eine Arztpraxis aufsuchen musste, wurde sofort mit einem Schreiben konfrontiert, das ihn aufforderte, der Speicherung seiner Daten durch den Arzt zuzustimmen. Nun ist die Vorstellung, dass jemand zu einem Arzt geht und nicht möchte, dass dieser weiß, wie er heißt und wer er ist, ziemlich absurd. Spätestens bei der Abrechnung mit der Krankenkasse würde eine anonyme Behandlung zum Problem werden: Wer beim Arzt Namen und Adresse nicht angibt, kann praktisch nicht behandelt werden. Und sollte jemand tatsächlich darauf bestehen, bar zu bezahlen, würde der Arzt vermutlich darüber nachdenken, ob der Patient vielleicht kriminell ist und etwas zu verbergen hat. Der aufgeklärte und nicht kriminelle Patient schüttelt den Kopf über diese neue, sinnlose Form der Bürokratie und unterschreibt einfach. Auf das Lesen verzichtet er meistens. Sollte er in der Lage sein, sich den Namen der Richtlinie, die für die Notwendigkeit der Zustimmung verantwortlich ist, zu merken – Datenschutzgrundverordnung – und dies aus Interesse zu Hause zu googeln, trifft er auf einige YouTube-Videos, in denen sich Anwälte über diese neue Datenschutzverordnung mehr oder weniger offen lustig machen.
Angeblich müsste man – glaubt man den Anwälten –, wenn man einem neuen Bekannten eine Visitenkarte übergibt, gleichzeitig unterschreiben, dass dieser die auf der Visitenkarte aufgedruckten Daten z.B. in sein Smartphone einspeichern darf. Aber wer würde wohl jemandem seine Visitenkarte überlassen, wenn er davon ausginge, dass diese in den nächsten Mülleimer geworfen wird? Aufpassen muss man auch, wenn man beispielsweise als Berlin-Tourist das Brandenburger Tor fotografiert. Um rechtlich auf der sicheren Seite zu sein, müsste man sich wohl von jedem, der auf dem Bild zu erkennen ist, eine schriftliche Genehmigung einholen. Wer das ernsthaft vorhat, wird wohl relativ bald auf entsprechende Fotos verzichten.

Einer der Anwälte in den YouTube-Videos kommt dann auch zu dem Schluss: Mit dem Gesetz kann man eigentlich nur leben, wenn man es nicht besonders ernst nimmt. Freiberufliche Journalisten trifft es scheinbar besonders hart. Wer einen Artikel über Sehenswürdigkeiten einer Stadt erstellt, den er später an eine Zeitung verkaufen will, hat Probleme: Die Presse ist zwar von der Datenschutzregelung ausgenommen, aber eben nur die sogenannte institutionalisierte Presse. Was dazu genau gehört, muss in den Pressegesetzen der Länder geregelt werden. Das scheint jedenfalls bisher sehr unterschiedlich zu sein, sodass ein freier Journalist, der nicht in einem ganz konkreten Auftrag einer Zeitung oder Zeitschrift handelt, nicht in allen Bundesländern darunterfällt. Verschwörungstheoretiker verbreiten schon die These, dass hinter der Datenschutzgrundverordnung die Absicht steht, die Mainstream-Presse zu stärken und kritischen Bloggern oder kleineren Presseerzeugnissen das Leben schwer zu machen.

Der EU-Abgeordnete Jan Philipp Albrecht gibt sich in einem Podcast von Sascha Lobo recht gemäßigt und befürchtet weder Abmahnungen noch übermäßige Bußgelder, wenn Blogger oder Privatleute die Bestimmungen der Richtlinie nicht hundertprozentig umsetzen.

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Die Behörden würden erst einmal beraten, versucht er zu beruhigen. Er weist auch zu Recht darauf hin, dass die Richtlinie bereits seit zwei Jahren in Kraft ist, der 25. Mai 2018 sei lediglich der Stichtag für den Beginn der Kontrollen. Er wundert sich, dass innerhalb dieser Karenzfrist kaum jemand Kritik geäußert hat, die man dann ja noch hätte umsetzen können. Die Datenschutzbeauftragte des Bundes, Andrea Voßhoff, droht in Interviews jedoch baldige Bußgeldbescheide an. Andere befürchten, dass es mindestens sechs Jahre dauern wird, bis bezüglich der Anforderungen der Richtlinie einigermaßen Klarheit herrscht.

So etwas ist in vielen Rechtsbereichen üblich, die meisten davon betreffen aber vor allem den kommerziellen Handel und nicht den Privatmann. Dass die Weiterverwertung von Daten, die man bei Anmeldungen im Netz arglos hinterlässt, transparent wird und der Nutzer dafür seine Zustimmung erteilen muss, kann man begrüßen. Aber die vermeintliche Ausweitung der Datenschutzbestimmungen auch auf den Privatmann oder denjenigen, der notwendigerweise die Daten seiner Kunden erheben muss, schießt über das Ziel hinaus.

 

Prof. Joachim von Gottberg ist Geschäftsführer der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) und Chefredakteur der Fachzeitschrft tv diskurs Prof. Joachim von Gottberg ist Geschäftsführer der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) und Chefredakteur der Fachzeitschrft tv diskurs Das hier veröffentlichte Editorial
der aktuellen tv diskurs-Ausgabe 85
Digitalisierte Jugend ist als PDF und
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Prof. Joachim von Gottberg ist Geschäftsführer
der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF)
und Chefredakteur der Fachzeitschrift
tv diskurs.




Über Joachim von Gottberg

Prof. Joachim von Gottberg ist Chefredakteur der Fachzeitschrift tv diskurs. Von 1985 bis April 1994 war er als Ständiger Vertreter der OLJB bei der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) tätig, von April 1994 bis 2019 führte er die FSF als Geschäftsführer. Daneben bekleidet Joachim von Gottberg seit 2006 eine Honorarprofessur für das Fach Medienethik/Medienpädagogik an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF in Potsdam und seit 2015 außerdem eine Vertretungsbefestigung für den Bereich Medien und Kommunikationswissenschaften in Halle.