Sonntagabend. Mein Mann und ich haben gerade den Fernseher ausgeschaltet, als wir beide zu unseren Handys griffen und Twitter öffneten. Es gab gar keinen Anlass, einfach nur so. Und da mich meine eigene Nutzung der Sozialen Netzwerke gerade nervt, fiel es mir auf – und ich fragte mich, was ich eigentlich früher gemacht habe, als es noch kein Twitter gab. Was habe ich gemacht, wenn bei Fernsehsendungen Werbung kam? Oder ich zwar nichts mehr sehen, aber auch noch nicht ins Bett wollte? Und nach einigem Überlegen fiel es mir ein: Ich habe entweder Videotext gelesen oder gezappt! Videotext lese ich immer noch – wenngleich natürlich viel weniger als früher –, aber gezappt habe ich sehr lange nicht mehr. Ziellos durchschalten, auf der Suche nach etwas, was mich interessiert. Oder bei dem ich hängenbleibe, obwohl ich es niemals bewusst einschalten würde. Ist das Zappen eine Kulturtechnik, die gerade verloren geht?
Tatsächlich zeigt eine umfängliche Selbsterforschung, dass ich heute unfassbar gezielt fernsehe. Sogar als ich vor Kurzem krank auf dem Sofa lag, habe ich zwar den Fernseher eingeschaltet, aber direkt zum EPG, um zu gucken, ob etwas läuft, was mich interessieren könnte. Es liegt sicherlich nicht nur an fehlender Zeit. Wenn ich etwas auf YouTube gucke, mache ich den Rechner nicht direkt aus, sondern surfe noch ein wenig durch weitere Videoangebote. Ich klicke mal hier, mal dort – quasi ein Zappen auf YouTube.
Dazu trägt sicherlich bei, dass YouTube mir im Gegensatz zu Fernsehsendern etwas vorschlägt, von dem ein Algorithmus annimmt, es könnte mir gefallen. Aber der Algorithmus alleine ist es auch nicht. Denn genau das versuchen Streaminganbieter ja auch. Sie verwenden sehr viel Mühe darauf, mir anzuzeigen, was ich als nächstes gucken könnte, schließlich wollen sie, dass ich dabeibleibe. Aber schon bei den Ergebnissen ist die Schnittmenge äußerst gering. Das liegt zum einen daran, dass beispielsweise Netflix gefühlt jedes Mal dieselben eigenproduzierten Serien empfiehlt und ich zum anderen nicht nur „Dramen mit starker weiblicher Hauptrolle“ gucken will. Vor allem aber klicke ich dort auch nicht herum. Vielmehr habe ich – als ich krank war – drei Stunden damit verbracht, den Katalog zu durchwühlen, um mir eine Watchlist anzulegen, die mich wirklich interessiert.
Außerdem sind es ja nicht nur YouTube und Streamingdienste, die Abende so gestalten, dass die Zielgruppe bei ihnen bleibt. Dennoch schalte ich nach der Sendung ab. Vielleicht liegt es daran, dass ich mich einfach durch zu viele Kanäle zappen müsste. Allein bis ich alle regionalen Spartensender durch habe, hätte ich kaum mehr Lust. Damals, als ich noch zappte, musste ich zu Spitzenzeiten zwischen 32 Sendern hin- und herschalten. Das lässt sich machen, zumal ich dort auch wusste, bei welchen Sendern ich ein wenig schneller schalten konnte. Doch derzeit könnte ich noch nicht einmal alle Sender aufzählen, die wir haben.
Und ich bin kein Einzelfall. Eine nicht repräsentative Umfrage im (Off- und Online)Bekannten- und Familienkreis hat ergeben, dass die meisten nicht mehr zappen. Und es liegt nicht nur am Internet, sondern auch an den Mediatheken, die zielgerichtetes Gucken unterstützen. Aber vielleicht ist das Zappen noch nicht ganz verloren: Ebenso wie analoge Fotografie wieder hip ist, wird es ja vielleicht auch das Zappen. Denn eines ist klar: Immer nur einem Algorithmus zu folgen, immer nur in der eigenen Interessenblase zu bleiben, ist auf die Dauer auch langweilig.