Vor zehn Jahren wurden die gegenwärtigen Schutzgesetze verabschiedet
Als am 1. April 2003 das neue Jugendschutzgesetz (JuSchG) und der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) in Kraft traten, begann eine neue Ära im Zusammenwirken zwischen der nach dem Gesetz zuständigen Aufsicht und Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle im Bereich des Fernsehens und des Internets. Das neue System hört auf den wenig geschmeidigen Namen „regulierte Selbstregulierung“ und sieht als Aufsicht über die Einhaltung der Bestimmungen des Jugendschutzes im Fernsehen und im Internet die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) vor. Gleichzeitig bietet das Gesetz den Anbietern die Möglichkeit, Selbstkontrollen aufzubauen. Diese werden, sofern sie bestimmte im Gesetz genannte Kriterien erfüllen, von der KJM anerkannt.
Im Juni 2003 wurde die Anerkennung für die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) positiv beschieden. Als dann im Juli der Anerkennungsbescheid eintraf, stellte sich allerdings Ernüchterung ein. Der Duktus und die Auflagen glichen mehr einer Einberufung zum Militär als der Absicht zu einer halbwegs kooperativen Zusammenarbeit. Bei kleinsten Änderungen in der Satzung oder der Prüfordnung drohte die Rücknahme der Anerkennung – auch dann, wenn diese mit den Prüfungen überhaupt nichts zu tun hatten. Erst nachdem die FSF Klage gegen den Bescheid eingereicht hatte, gelang eine Einigung. Dieser leicht missglückte Start war symptomatisch für das damalige Misstrauen, das man sich gegenseitig entgegenbrachte: Die KJM ging davon aus, dass bei der Selbstkontrolle weniger der Jugendschutz als die kommerziellen Interessen der Mitgliedsender im Vordergrund standen, die FSF und Mitglieder fürchteten, die KJM werde alles versuchen, um die Unfähigkeit der FSF an die Wand zu malen, um die eigene Bedeutung herauszustellen.
Die anfängliche Skepsis ist der pragmatischen Erkenntnis gewichen, dass die Koexistenz letztlich den Interessen aller dient. Denn einerseits wäre eine Vorabprüfung durch die KJM angesichts des Zensurverbots in Art. 5 Abs. 1 GG verfassungswidrig. Andererseits wäre es allerdings wohl auch unzulässig, wenn der Staat die Entscheidungen komplett auf die Selbstkontrollen übertragen würde, da nach Art. 5 Abs. 2 GG der gesetzliche Jugendschutz ausdrücklich in seine Zuständigkeit fällt.
Einfach ist dieses duale System jedoch nicht, geht doch die Profilierung der einen Partei meist auf Kosten von Reputation der anderen Seite. Würde die KJM regelmäßig Entscheidungen der Selbstkontrolle wegen Überschreitung des Beurteilungsspielraumes aufheben, wäre das Vertrauen der Öffentlichkeit, aber auch der Sender gegenüber Entscheidungen der Selbstkontrolle bald dahin. Würde hingegen in zehn Jahren keine einzige Entscheidung der Selbstkontrolle aufgehoben, drohte der KJM die Frage, ob man sie überhaupt braucht. Dieses schwierige Verhältnis führt zuweilen dazu, dass die eine oder andere Entscheidung weniger dem Jugendschutz zu dienen scheint als der Absicht, der jeweils anderen Institution zu schaden. Ein solches Beispiel ist der kürzlich erschienene Fünfte Bericht der KJM über die Durchführung der Bestimmungen des JMStV. Berichtszeitraum: März 2011 – Februar 2013. In der Pressemitteilung vom 13. Juni 2013 wird dazu als ein Ergebnis aufgeführt: „Anzahl der Verstöße im privaten Rundfunk gestiegen“. Da bekommt man als Geschäftsführer einer Selbstkontrolleinrichtung natürlich einen Schreck und bezweifelt, dass man seine Arbeit ordentlich gemacht hat. Schaut man sich jedoch die Zahlen an, ist man verwundert: Innerhalb von zwei Jahren kam es bei 525.600 Sendestunden der Mitgliedsender der FSF zu 94 Beanstandungen (0,02 %). Außerdem fällt bei näherem Hinsehen auf, dass es bei den Beanstandungen tatsächlich nur um 45 Programme ging. So wurde die Beanstandung eines Werbespots, der auf vier verschiedenen Sendern lief, als vier Beanstandungen gezählt, obwohl es sich um ein und denselben Spot handelte. 49 Beanstandungen bezogen sich allein auf Folgen der Serie X-Diaries. Unerwähnt bleibt zudem, dass diese Serie nach Einschaltung der FSF inzwischen unbeanstandet läuft (ProgammInfo der FSF zu X-Diaries). Dass die Beschwerden bei der KJM insgesamt eher zurückgehen, räumt sie selbst in ihrem Bericht ein und führt dies darauf zurück, „dass im Berichtszeitraum kein Format ausgestrahlt wurde, das wie in vergangenen Jahren eine überdurchschnittlich hohe Anzahl von Beschwerden auslöste“ (S. 17). Vielleicht liegt dies aber auch daran, dass das Zusammenwirken von Aufsicht und Selbstkontrolle doch besser funktioniert, als die KJM bereit ist zuzugeben.