Vergangenen Samstag sind in Marseille Hooligans mit der Polizei zusammengestoßen – das sind Meldungen, die seit Beginn der Euro 2016 fast täglich eintrudeln (als Gegenmittel empfehle ich die Videos der irischen Fans beispielsweise hier und hier). Jedoch begann dann Hayder al-Khoei vom englischen Centre for Academic Shi’a Studies über diese Vorfälle in dem Stil zu twittern, in dem westliche Journalisten oft über Konflikte im Mittleren Osten berichten. Er schrieb über die Tradition der Gewalt („Ugly violence is rooted in conflict that date back centuries. Anglo-French war in 13th century, Napoleoin & then USSR“), die „kulturellen Traditionen“ („In Europe, holding a chair above your head & walking towards the enemy is a traditionale challenge & insult.“). Das ist sehr schwarzhumorig, verweist aber vor allem darauf, dass Medien und Nachrichten über die Fakten hinaus mehr transportieren: Einschätzungen und Emotionen. Und genau darum ging es auch beim Sommerforum Medienkompetenz der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb) und der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF).
Die Bedeutung eines sorgfältigen Umgangs mit Sprache verdeutlichten schon zum Auftakt der Veranstaltung Udo Stiehl und Sebastian Pertsch vom Projekt Floskelwolke, indem sie auf häufige Nachrichtenfloskeln und ihre tatsächliche Bedeutung aufmerksam machten.
Ein einprägsames Beispiel war der „Todeskandidat“ – niemand, so Stiehl, kandidiere wirklich für den Tod. Die bloße Anwesenheit der „Floskenwolkler“ machte sich übrigens im gesamten Verlauf der Veranstaltung bemerkbar – so wurde immer wieder darauf verwiesen, dass man selbst gerade eine Floskel benutzt habe.
Sorgfältige Sprache ist eine Forderung, die an Nachrichten gestellt werden muss. Darüber hinaus wurden die Emotionen thematisiert, die mit Nachrichten vermittelt werden. Prof. Dr. Dagmar Unz, von der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt, stellte Forschungsergebnisse vor, nach denen Jugendliche insbesondere mit Verachtung auf Nachrichten reagieren. Verachtung gehört mit Wut und Ekel zur Triade der moralischen Emotionen, so dass mit diesen Emotionen eine schnelle Bewertung über moralische Richtigkeit verbunden ist. Dabei können die Emotionen durch die Auswahl der Bilder, ihre Montage und Schnittfrequenz beeinflusst werden.
Anschließend beleuchtete Dr. Jan-Hinrik Schmidt, vom Hans-Bredow-Institut, die Rolle der sozialen Medien in der Vermittlung von Nachrichten. Deren Bedeutung nimmt insbesondere in jüngeren Altersklassen immer mehr zu. Soziale Medien sorgen für Ent- und Neubündelung, Personalisierung und Konvergenz, jedoch darf dabei nicht übersehen werden, dass das Mitmach-Netz zwar Teilhabe und Produktion fördert und ermöglicht, der Nutzer auf den Plattformen jedoch nicht wirklich mitbestimmt.
Beim Talk I – Nachrichten machen: „Das nehmen wir auf die Eins!“ – Nachrichtenmacher unter sich sprachen Tilman Aretz (ntv.de), Maike Pies (neuneinhalb) und Monika Pilath (ZEIT ONLINE) über ihren Redaktionsalltag.
Dabei stellte sich heraus, dass sowohl bei ntv.de als auch ZEIT ONLINE Schnelligkeit weiterhin eine große Bedeutung hat. Während indes ntv.de den Anspruch hat, als erste zu berichten, behält ZEIT ONLINE das Zwei-Quellen-Prinzip bei – und nimmt dafür in Kauf, weniger schnell zu sein. Dagegen verdeutlichte Maike Pies, dass bei der Arbeit in einer Kindernachrichtenredaktion eines wöchentlichen Magazins weitaus bedeutsamer ist, ein Thema zielgruppengerecht aufzubereiten als möglichst schnell zu berichten.
Abschließend diskutierten beim Talk II – Nachrichten rezipieren: Meinungsbildung heute – Welche Kompetenzen brauchen wir? Jan-Hinrik Schmidt, Dagmar Unz und Robert Behrendt (medialepfade) über die Kompetenzen, die heutzutage für den Umgang mit Medien erforderlich sind.
Dabei betonte Robert Behrendt, dass Jugendliche viel über Nachrichten lernen können, wenn sie sie selbst herstellen. Hier stimmte Dagmar Unz zu: „In dem Moment, in dem der Prozess sichtbar gemacht wird, wird er zu Wissen und das kann ich hinterfragen.“ Jan-Hinrik Schmidt betonte, dass sich die Medienkompetenzen durch das Internet und die Sozialen Medien kaum verändert haben: Weiterhin müsse man Informationen hinterfragen und redaktionellen von werbenden Inhalt unterscheiden. Einig waren sich die Panelteilnehmer auch darin, dass es vor allem auf die Eigenverantwortung ankommt: Ein jeder kann selbst entscheiden, die Nachrichtenflut durch Apps und Soziale Medien einzuschränken und einzudämmen.
Weitere Bilder zur Tagung sind auf dem FSF-Facebookkanal abrufbar. Informationen rund um die Referenten sowie die Veranstaltung auf der FSF-Website.
Im Rahmen des Sommerforums Medienkompetenz wurde der medius 2016 verliehen. Die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF), die Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK), die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb) sowie das Deutsche Kinderhilfswerk (DKHW) zeichnen Abschlussarbeiten, die sich mit innovativen Aspekten aus dem Medienbereich, der Pädagogik oder dem Jugendmedienschutz auseinandersetzen. Informationen rund um den medius sowie die Preisträger finden sich hier.