Lücken im System

Der neue Jugendmedienschutz-Staatsvertrag ist noch immer nicht der Weisheit letzter Schluss

Eigentlich verbietet es sich, in diesem unbiblischen Kontext von einem Sündenfall zu sprechen, aber der Begriff passt einfach gut. In den frühen 1980er-Jahren hat es der deutsche Jugendmedienschutz versäumt, eine Weiche für die Entwicklung der kommenden Jahrzehnte zu stellen. Damals wurde ein gut 30 Jahre zuvor eingeschlagener Weg unbeirrt fortgesetzt, was sich im Rückblick als fataler Fehler erwiesen hat: weil nicht erkannt worden ist, dass die massenhafte Verbreitung von Filmen auf Videokassetten einen Paradigmenwechsel darstellte.

Nicht die Digitalisierung, sondern das aus heutiger Sicht völlig veraltete Medium Video zeigte gnadenlos die Grenzen der gültigen Regelungen des Jugendmedienschutzes auf. Die Kontrolle der beiden für den audiovisuellen Jugendschutz vorrangig relevanten Medien, Kinofilm und Fernsehen, hatte bis dahin prächtig funktioniert: Wer Filme für Jugendliche öffentlich vorführen wollte, brauchte (und braucht) eine Altersfreigabe der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK), und für das Fernsehen galten (und gelten) Sendezeitbeschränkungen.

JMStV Novelle © FSF
© FSF

Heutzutage überwiegt zwar die Meinung, erst das Internet habe diese Regelung ad absurdum geführt, doch schon bei den Videofilmen ließ sich nur noch die Abgabe kontrollieren, nicht jedoch die Rezeption. Das galt bis dahin zwar auch für das Fernsehen – schließlich gab es keine Handhabe gegen gleichgültige Eltern, die zuließen, dass ihre kleinen Kinder bis zum Sendeschluss vor der Glotze hockten; aber damit musste der Gesetzgeber leben. Bei Videokassetten mit Inhalten, die für Jugendliche nicht geeignet waren, fiel die wirkungsvolle Zugangsbeschränkung einer späten Sendezeit jedoch weg: Nun war es allein Aufgabe der Eltern zu verhindern, dass ihr Nachwuchs mit filmischen Inhalten konfrontiert wurde, für die er noch zu jung war.

Wer alt genug ist, erinnert sich an alarmierende Artikel über den Horror im Wohnzimmer, weil Kinder und Jugendliche eine neue Form der Mutprobe entdeckt hatten: Wer zuerst wegguckt, hat verloren.

Lesen Sie den ganzen Artikel von Tilmann P. Gangloff in der aktuellen tv diskurs, Heft 74. Auch als Artikel im Medienarchiv der FSF-Website abrufbar oder als PDF zum Herunterladen.
Die Editorials der Ausgaben 73 und 74 von Chefredakteur Joachim von Gottberg befassen sich ebenfalls mit dem Thema „Reform des JMStV“ – sie können auch als Podcast angehört werden.

Auch unsere nächste medien impuls-Veranstaltung am 26. November 2015 in Berlin beschäftigt sich mit dieser Thematik. Nach der Reform ist vor der Reform. Bund und Länder streben eine umfassende Reform des Jugendschutzes an – aber welche? lautet der Titel der Tagung. Anmeldeschluss ist der 20.11., weitere Informationen zu den Referenten und dem Programm finden Sie hier.

Über tv diskurs

Die Fachzeitschrift tv diskurs – Verantwortung in audiovisuelle Medien informiert wissenschaftlich, pointiert und verständlich über aktuelle Entwicklungen im Bereich des Jugendschutzes, der Medienforschung und der Medienpädagogik. Sie erscheint viermal im Jahr und bietet ein Forum für unterschiedliche Positionen. Es werden nicht nur aktuelle Entwicklungen im Medien- und Jugendschutzbereich aufgegriffen, sondern auch grundlegende, philosophische Fragestellungen diskutiert.