Das hat mit meinem Habilitationsprojekt zu tun, in dem ich zu Celebrities forsche. Darin schaue ich mir an, wie sich Starphänomene im Laufe der Zeit verändern. Starsein kann durch die Präsenz der digitalen Medien, vor allem der Onlinemedien, heute nicht mehr so eng gefasst werden. Die Privatheit der Stars spielt heute eine viel größere Rolle, die Nähe zum Zuschauer ist viel wichtiger als früher. Bei meiner Forschung knüpfe ich an angloamerikanische Studien – sogenannte Celebrity-Studies – an. Dabei interessieren mich insbesondere die klassischen Bereiche „Schauspiel“ und „Musik“. Mein Schwerpunkt liegt auf den sogenannten YouTube-Berühmtheiten, wie sie die Inszenierungsmöglichkeiten im Internet wahrnehmen. Ich wollte als Wissenschaftlerin in einzelne Bereiche genauer hineinschauen und – so weit es möglich ist – ins Feld gehen. Für den Bereich „Schauspiel“ hielt ich es für eine gute Idee, mich bei einem Casting anzumelden. Deshalb habe ich mich schon vor längerer Zeit für eine Statistenrolle bei einem Film beworben. Über diese Kartei bin ich dann von filmpool darauf angesprochen worden, ob ich eine Sprechrolle übernehmen will. Die Anfrage kam zu einem Scripted-Reality-Format. Das heißt, ich bin da so reingerutscht.
Dafür mussten Sie aber noch ein Scripted- Reality-Casting mitmachen?
Genau. Da ging es explizit um eine Rolle in der Sendereihe Familien-Fälle. Dafür wurden Leute gesucht. Das Casting war für mich eine echte Erfahrung. Ich fand es erstaunlich, wie mit den Bewerbern umgegangen wurde. Wir waren sehr viele, die zu diesem Casting eingeladen wurden, sind aber in Gruppen unterteilt worden von sechs bis acht Personen. Es waren immer zwei Caster bzw. Casterinnen dabei – eine Person, die direkt mit uns gearbeitet hat, und eine, die dokumentiert hat. Beim Scripted Reality geht es ja nicht darum, eine Sprechrolle mit einem vorgefassten Text darzustellen. Sondern man soll mit der eigenen Sprache sprechen. Man bekommt dann bestimmte Situationen vorgegeben, in denen man bestimmte Emotionen ausdrücken muss. Die soll man dann mit der eigenen Persönlichkeit und den eigenen Worten rüberbringen. Dabei geht es um klassische Themen, z. B., dass man sauer auf jemanden ist. Oder es geht um eine verlorene Liebe und darum, sehr emotional oder gekränkt zu sein. Solche Emotionen muss man ausdrücken.
Heißt das, Sie haben einen Gegenspieler bekommen, mit dem Sie dann das Thema „austheatern“ mussten?
Ja, der Gegenspieler war die Castingfrau. Sie hat mit uns zuerst ein Warm-up gemacht, und dann haben wir mit ihr die einzelnen Szenen durchgespielt. Wir saßen alle im Kreis, wie in einer Coachinggruppe, und jeweils eine Person musste mit ihr spielen. Das war ziemlich gut, weil man die anderen spielen sah und wir alle von der Castingfrau jeweils ein Feedback bekommen haben. Ich fand das sehr professionell, und es hat sehr viel Spaß gemacht, weil man sich noch einmal ganz anders kennengelernt hat und überhaupt nicht in eine dumme Situation kam. Wir sind alle fast freundschaftlich miteinander umgegangen. Durch das gegenseitige – sehr individuelle – Feedback lockerte sich die Situation zunehmend auf.
Es gab ja sicher auch keine Konkurrenz, weil man wusste, es werden so viele Leute gesucht, da haben alle eine Chance.
Ja, den Eindruck hatte ich auch. Ich empfand das überhaupt nicht als Konkurrenzsituation, sondern wirklich eher als eine gemeinsame Coachingsituation. Die Agenturen sind ja auf der Suche nach ganz unterschiedlichen Charakteren. Und das merkt man absolut in so einer Gruppe, dass die Leute die gleiche Situation ganz unterschiedlich ausdrücken. Das war für alle interessant.
Was waren das für Menschen, die zu so einem Casting gehen? Bei Ihnen hatte es ja einen wissenschaftlichen Hintergrund, aber viele machen das vielleicht auch, weil sie einmal ins Fernsehen möchten oder aus anderen Gründen.
Ich hatte mich geoutet mit meinem Hintergrund. Das war ganz lustig, weil das ungewöhnlich war. Ansonsten ist es sehr gemischt. Manche machen es aus Neugierde, um sich zu testen: Schaffe ich es, da hineinzukommen? Ich hatte aber den Eindruck, dass es bei den meisten darum ging, ein Zubrot zu verdienen. Das Geld spielte schon eine Rolle.
Sie wurden, wie wir jetzt wissen, auch genommen. Hat man Ihnen das gleich gesagt?
Nein, überhaupt nicht. Ich bin dann viel später angesprochen worden, ob ich die Rolle einer Immobilienmaklerin übernehmen möchte. Das hat mich überrascht, da es mir ja eigentlich nur um die Castingerfahrung gegangen war.
Wie sah Ihre Rolle aus, wie ist der Drehtag verlaufen?
Die Rolle selbst war unspektakulär. Es war die Schlusssequenz einer Episode. Das fand ich erstaunlich: Im Vergleich zum Casting war die gesamte Filmsituation sehr einfach. Ich hatte mir das anders vorgestellt. Man wird nur für diese kurze Sequenz herangezogen. Man weiß nicht sehr viel über die Episode. Es wurde mir nur kurz in einem Telefonat vorab gesagt, worum es geht und welche Kleidung angezogen werden soll. Ich muss gestehen, ich habe auch damit gerechnet, dass ich eine Maske bekomme und ein bisschen filmmäßig zurechtgemacht werde. Das war aber überhaupt nicht der Fall. Man kommt da hin, dann wird geguckt, was passt von den eigenen Sachen – und dann wurde ich an den Drehort gebracht. In meiner Szene ging es darum, dass ich eine Wohnung an eine Frau vermieten sollte, die sich gerade von ihrem Mann hat scheiden lassen. Sie war mit ihren beiden Kindern da und hat sich die Wohnung angeschaut. Die ganze Sequenz hat vielleicht drei Minuten gedauert. Allerdings wurde sie mehrfach wiederholt, aber ohne viele Anweisungen. Die Kinder haben einige mehr bekommen, wir Erwachsenen sehr wenige. Es wurde immer wieder Wert darauf gelegt, dass wir so authentisch wie möglich diese Rolle spielen, sie mit unserer Person aufladen. Das fand ich zweischneidig. Das Script hatte ich zwar vorher schon. Aber letztendlich sollten wir es nicht so sagen, wie es da stand, sondern mit unseren eigenen Worten. Das wurde dann vorher schon besprochen. Auch wie wir uns bewegen sollen. Das war allerdings das Einzige, was wir vorher an Anweisungen bekamen. Ich fand das etwas schwierig, weil ich nicht wusste, was vorher im Verlauf der Episode gedreht wurde. Ich hatte das Gefühl, kalt hineingeschmissen worden zu sein. Ich bin ja kein Profi und sollte nur mit der eigenen Person bestehen. Das fühlte sich ein bisschen merkwürdig an. Sonst war es in Ordnung. Das war eine nette Erfahrung, aber ich stelle mir das bei „richtigen“ Filmen anders vor.
Sie sind aufgefordert worden, so authentisch wie möglich zu sein, also nicht zu spielen. Aber woran erkennt man denn, dass man authentisch ist?
Ja, das ist schwierig. Ich denke, es gibt auch keine reine Authentizität. Es ist immer eine Form von Inszenierung. Es geht meines Erachtens um die Inszenierung von Authentizität. Wie auch jeder Dokumentarfilm nicht nicht inszeniert ist. Das Authentische sind die Inszenierungsmittel, mit denen gearbeitet wird. Es wird mit dokumentarischen Mitteln gearbeitet, die eine bestimmte Form von Authentizität herstellen. Und so fängt es auch das Spielen der Darsteller ein, die natürlich ihre Vorstellung von der Rolle spielen, die sie bekommen. In der Rolle zeigen sich natürlich dann die Zuschreibungen, wie ich mir z. B. eine Maklerin vorstelle. Das adaptiere ich dann und verbinde es mit meiner Sprache oder wie ich mir die Sprache vorstelle. Es wird eine Form von Authentizität erzeugt insofern, dass ich nicht ganz klar eine Maklerinnenrolle vorgeschrieben bekomme, die ich genauso zu spielen habe. Aber dennoch ist es natürlich eine Inszenierung dieser Maklerinnenfigur. Und authentisch vielleicht nur insofern, dass ein Teil der Person enthalten ist, die diese Rolle übernimmt. Aber es ist immer eine Form von Inszenierung.
Das heißt, es ist eine Übereinkunft von mehreren Leuten, die sagen: Das ist für uns authentisch.
Ich weiß gar nicht, ob so genau darauf geschaut wird. Bei meinem Dreh hatte ich den Eindruck, dass es letztendlich darum ging: Ist die Szene so stimmig und kommt das authentischrüber?!
Wobei man dann nicht so weit vom Schauspieler entfernt ist.
Denn die richtig guten Schauspieler sind ja so authentisch, dass es wie echt wirkt. Da fällt mir ein Vergleich ein. Ich glaube, der große Unterschied ist der: Wenn ich ein professioneller Musiker bin und mache Free Jazz – für viele Leute chaotische Musik –, habe ich einen ganz anderen Zugang dazu und kann etwas völlig chaotisch klingen lassen. Wenn ich jemand bin, der das Instrument überhaupt nicht beherrscht und einfach drauflosspielt, würde man den Unterschied auf jeden Fall hören. Ähnlich ist es meines Erachtens beim Schauspiel. Da merkt man auch, ob jemand professionell authentisch sein kann oder ob Leute laienhaft authentisch sind.
Wie fanden Sie beim nachträglichen Anschauen die Umsetzung Ihrer Episode?
Im Grunde genommen total unspektakulär, weil ich wirklich nur eine Minute zu sehen bin, also ganz, ganz kurz. Und all das, was ich gesprochen habe, hört man letztendlich nicht, weil es so inszeniert wurde, dass relativ schnell der Offton hinzukam, was bei den Scripted Reality-Formaten sowieso häufig der Fall ist. So gesehen fand ich das sehr unspektakulär. Aber es hat sich gut eingefügt. Ich fand das jetzt nicht merkwürdig und fand mich auch dabei nicht merkwürdig.
Wie hoch war Ihre Gage?
Ich würde das als Aufwandsentschädigung bezeichnen. 60,00 Euro habe ich bekommen.
Haben Sie eine Erklärung dafür, warum man Sie gerade als Maklerin eingekauft hat?
Ich nehme an, dass sie sich an Stereotypen orientieren und ihr eigenes Bild davon haben, welche Person passen könnte. Ich denke, anhand der Bilder, die sie von mir hatten, anhand des Castings vorher habe ich wahrscheinlich das erfüllt, was sie sich vorstellen, wer eine Immobilienmaklerin darstellen könnte. So stelle ich mir das vor.
Inwieweit spiegeln diese Filme aus Ihrer Sicht Realität wider? Zwar heißt es einerseits Scripted Reality, aber andererseits hat man Sie ja nach einem Stereotyp ausgewählt. Das heißt, es geht darum, was man für realistisch hält?
Ich glaube, das ist gut ausgedrückt: was man für realistisch hält. Dazu kenne ich mich allerdings zu wenig mit Scripted Reality aus, um wirklich einschätzen zu können, inwieweit tatsächlich Realität widergespiegelt wird. Ich denke, es ist eine Verdichtung von Realität. Man verdichtet bestimmte Vorstellungen, bestimmte Konstruktionen, bestimmte Dinge, die in den Köpfen ablaufen, wie sich bestimmte Situationen abspielen könnten in bestimmten Milieus oder Zusammenhängen. Wenn ich das zusammenziehe, was ich aus dem Castingerlebnis mitgenommen habe und dem, was ich hinterher noch im Austausch mit der Hauptdarstellerin mitbekommen habe, habe ich das Gefühl, dass es sehr stark auf Emotionen abhebt. Natürlich gibt es viel Geschrei, viele Liebesgefühle. Die Kinder wurden auch explizit aufgefordert, sich zu freuen, wenn sie die neue Wohnung bekommen. Das hat zwar etwas mit Realität zu tun, aber es ist eine sehr stark verdichtete Form, und es hat sehr stark damit zu tun, wie man sich vorstellt, wie die Realität aussehen kann.
Und es geht sicher auch darum, was man vermutet, was Zuschauer gern sehen möchten. Denn Realität ist ja oft auch langweilig oder banal – und das mag man sich dann gar nicht im Fernsehen anschauen.
Was es wahrscheinlich weniger gibt, sind lange ruhige Szenen. Es gibt ja ganz viele Lebensabschnitte, da passiert einfach nichts. Deswegen meine Vermutung, dass es verdichtet ist, dass man den Teil der Realität versucht einzufangen, wo etwas passiert.
Zurück zur Forschung. Sind Sie in Ihren Forschungsfragen weitergekommen?
Da bin ich gerade am Überlegen. Ich denke schon, denn ich glaube nicht mehr an das Phänomen der klassischen Hollywoodstars. Um es in ein Bild zu bringen: Der Star fällt vermehrt vom Himmel. Es ist eine viel stärkere Nähe zum Publikum erforderlich. Die Kontaktmöglichkeiten des Zuschauers zum Star via Internet müssen ganz anders möglich sein. Dadurch verändert sich das Bild von Star. Deswegen finde ich auch den Begriff „Celebrity“ passender. Und ich glaube, dass es viel mehr Celebrity-Phänomene gibt. Schön sieht man das an den YouTube- Stars, die durch digitale Medien berühmt werden können. Die Scripted-Reality-Stars sind noch mal eine neue Form von Celebrity insofern, als dass Leute sichtbar und wahrgenommen werden. Sie bieten, neben den Castingshows, eine gute Möglichkeit, um aus der Masse herauszustechen und vielleicht eine gewisse Form von Berühmtheit zu erlangen.
Aber Stars bringt Scripted Reality nicht hervor?
Das ist spannend insofern, als dass es bei Scripted Reality ja nicht darum geht, berühmt zu werden. Die Leute werden ja auch deshalb nicht immer wieder genommen, weil es ja authentisch sein soll. Wenn man eine Person immer wieder auftreten sehen würde, dann wäre ja klar, dass sie nicht alle Geschichten, die man da sieht, verkörpern kann. Das ist natürlich ein Problem. Bei der Serie Berlin –Tag & Nacht scheint es allerdings schon so zu sein, dass es in dieser WG Personen gibt, die herausstechen, die diese Scripted-Reality-Geschichte auch tragen. Und ich glaube, deswegen gibt es schon die Möglichkeit von bestimmten Berühmtwerdungsprozessen. Es ist nur die Frage: Was für Berühmtheiten sind das dann? Sind das dann auch Berühmtheiten, wo irgendwo dann Kids stehen und ihnen zujubeln, wenn sie auftauchen? Was es in Ansätzen wohl auch schon gibt. Und wofür stehen sie? Sind das jetzt die Stars zum Anfassen, wird da noch mal eine ganz andere Nähe hergestellt oder nicht? Das sind Sachen, die mich interessieren. Und das glaube ich schon, dass da noch mal ein neues Phänomen gepusht wird, aber dazu ist dieses Phänomen noch zu jung, um eine abschließende Antwort zu haben.
Das Interview führte Vera Linß.