Was tun, wenn die Filmfigur eine Fremdsprache spricht, die der Schauspieler oder die Schauspielerin nicht beherrscht? Nur selten wird dieses Problem zufriedenstellend gelöst. Zufriedenstellend wäre etwa, einen Muttersprachler für die Rolle zu nehmen. Oder die Schauspieler in der entsprechenden Fremdsprache zu unterrichten. Oder zumindest auf eine halbwegs korrekte Aussprache zu achten. Meistens scheint man jedoch ein wenig Lautmalerei ins Skript zu kritzeln und alle hoffen, dass das, was die Schauspieler von sich geben, schon irgendwie als die gewünschte Sprache durchgehen wird. In einer Folge von Agents of S.H.I.E.L.D. musste ich – wie viele Leute – die Untertitel lesen, um zu verstehen, was der Schauspieler in einer Szene sagte. Nur: Es stellte sich heraus, dass es sich dabei um Russisch handeln sollte, und Russisch ist meine zweite Muttersprache. Ich hatte sie noch nicht mal als solche erkannt.
Der Film, der diese Problematik am besten demonstriert und auch persifliert ist Quentin Tarantinos Inglourious Basterds. In der Barszene versucht Michael Fassbender, selbst deutsch-irischer Herkunft, in der Rolle des Lt. Archie Hicox, vor Gestapo-Leuten als deutscher Offizier durchzugehen – mit hörbarem englischen Akzent – und liefert eine völlig abstruse und auch nur mäßig glaubwürdige Erklärung für seine nicht ganz saubere Aussprache. Am Ende verrät er sich mit einer banalen Geste, die dann eben doch nicht so banal ist. Es lebe die interkulturelle Kommunikation. Besser ist noch die Szene, als Christoph Waltz in der Rolle des deutschen SS-Oberst Hans Landa Brad Pitt und Konsorten als Nicht-Italiener entlarvt und seine liebe Freude daran hat, die Männer wieder und wieder ihre italienischen Tarnnamen aussprechen zu lassen – mit hörbarem US-englischen Akzent –, obwohl lange klar ist, dass die Tarnung aufgeflogen ist.
Eine Bekannte sagte einmal, dass der Film sich allein schon wegen Brad Pitts „Arrivederci“ lohnen würde. Das Traurige ist, dass Fassbender (und sicher auch Pitt und Waltz mit seinem perlenden Italienisch – jedenfalls hört es sich für mich so an) in dieser Persiflage eine weitaus bessere Figur machen – aussprachetechnisch – als das Gros der Schauspieler, die in Filmen und Serien jemanden spielen, der von der „Hauptsprache“ im Film abweicht.
Das Problem ist dabei nicht einfach nur ein ästhetisches. Was Tarantino so wunderbar illustriert, ist das mögliche Torpedieren der Glaubwürdigkeit des Plots. In seiner zugespitzten Form zu sehen anhand der eben beschriebenen Szenen, in denen das Gelingen eines ganzen Handlungsstranges davon abhängt, dass eine Figur glaubwürdig eine andere Sprache spricht als die eigene. In beiden Szenen geht das schief, eben weil die Figuren das nicht hinbekommen. Es gibt leider eine Unzahl von Filmen, die so tun, als würde es funktionieren. Obwohl dort die Figuren die Fremdsprache in kaum identifizierbaren Tonfetzen hervorbringen. Die berühmte „willing suspension of disbelief“, auf Deutsch etwas krude übersetzt mit „willentliche Aussetzung der Ungläubigkeit“, leidet merklich, wenn eine Figur die Sprache, die sie angeblich perfekt beherrscht, kaum aussprechen kann. Es stört die Wahrnehmung der Zuschauer und sorgt für Einbrüche in die fiktive Welt. Eine Art unfreiwilliges Durchbrechen der vierten Wand. Ich kann meine Ungläubigkeit nicht aussetzen, wenn ich mich ständig vom krassen deutschen Akzent einer angeblich deutschen Figur gestört fühle, die aus völlig unerfindlichen Gründen mit einer anderen deutschen Figur Englisch redet. In welcher Welt kommt so was vor? Warum sollten zwei Menschen mit derselben Muttersprache sich dafür entscheiden, in einer Fremdsprache zu kommunizieren, die sie offenbar beide nicht besonders gut beherrschen? Hey, wir sind zwar beide Franzosen, aber lass uns doch Chinesisch reden! Wir haben ja schließlich beide Basiskurs 1 absolviert. Und schon bin ich raus aus der Handlung. Aktuelles Beispiel: einer der letzten Filme mit dem begnadeten Philip Seymour Hoffman, A Most Wanted Man. Kritiker und Zuschauer gleichermaßen haben sich darüber beschwert, dass die Figuren die ganze Zeit Englisch mit deutschem Akzent sprechen, um zu signalisieren, dass sie alle Deutsche sind.
Ich glaube, dass es nicht nur Sprachpuristen sauer aufstößt, wenn Sprachen bis zur Unkenntlichkeit verunglimpft werden. Immer mehr Menschen reisen, leben lange Zeit im Ausland und beherrschen oft mehr als nur ihre eigene Muttersprache. Und Serien und Filme müssten in einer globalisierten Welt zunehmend Figuren integrieren, die Fremdsprachen sprechen. Im besten Fall liegt der Verzicht auf einen guten Umgang mit Sprache einfach nur an einer gewissen Bequemlichkeit oder an finanziellen Gründen. Im schlimmsten Fall signalisiert er ein ausgesprochen respektloses Verhältnis zu Sprache und Nachlässigkeit im Umgang mit einer anderen Kultur, für die die Sprache ein Aushängeschild ist. Das kratzt an der Integrität der Macher und des Produkts.
Mal abgesehen von der von mir bereits auch dafür hochgelobten Serie The Americans, die ganze Handlungsstränge in tadellosem Russisch ablaufen lässt, hat mich nur ein einziger Film als positives Gegenbeispiel zu dem oben skizzierten Akzent-Debakel begeistert: David Cronenbergs Eastern Promises, ein Film über die russische Mafia in London. Und die Lösung ist so einfach wie genial: Die Filmsprache ist Englisch. Um zu signalisieren, dass die meiste Zeit Russisch gesprochen wird, werden Satzanfänge in dieser Sprache gesprochen, hin und wieder Flüche oder kurze Phrasen. Und dabei war die Aussprache auch dieser kurzen Anrisse besser als vieles, was man sonst so hört. Viggo Mortensen klingt mitunter wie ein Muttersprachler. Den Rest der Zeit reden die Leute dann normales Englisch, doch es ist klar, dass das nicht die eigentliche Kommunikationssprache ist. Warum sich nicht mehr Filme und Serien daran ein Bespiel nehmen, ist mir ein Rätsel. Nach wie vor wird geradebrecht und gekauderwelscht, was das Skript und die Peinlichkeitsskala hergeben. Unverzeihlich im 21. Jahrhundert.