Was mag es bedeuten, dass Bundesministerin Dr. Kristina Schröder mit der geplanten Novellierung des Jugendschutzgesetzes Anbietern ermöglichen will, „in Zukunft ihre Online-Filme und Online-Spiele nach den Bestimmungen des Jugendschutzgesetzes“ zu kennzeichnen? In einer Pressemitteilung vom 13. April 2012 heißt es, dass die Bundesregierung eine Novelle zum Jugendschutzgesetz beabsichtigt. Ziel soll sein, „Offline und Online … ein soweit wie möglich vergleichbares Niveau des Jugendschutzes“ zu gewährleisten und für „Eltern, die auf Jugendschutzprogramme setzen wollen, optimale Rahmenbedingungen“ zu schaffen – dies betreffe „in besonderem Maße Filme und Spiele im Internet“.
Der einzige Unterschied zur derzeitigen rechtlichen Situation besteht darin, dass bei der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) und der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) demnächst nicht nur Trägermedien zur Altersfreigabe mit Verwaltungsaktcharakter vorgelegt werden können, sondern auch Inhalte, die nur online verbreitet werden sollen. Dass dies die Rahmenbedingungen für Jugendschutzprogramme verbessert, ist allerdings zweifelhaft.
- Richtig ist, dass möglichst viele Anbieter ihre Online-Inhalte kennzeichnen, also mit einer Altersfreigabe versehen müssen, wenn man auf Jugendschutzprogramme setzt. Bislang war es faktisch auch schon möglich, Inhalte der FSK oder der USK vorzulegen, wenn der Antragsteller angab, es sei auch eine Verbreitung auf DVD geplant. Denn bereits jetzt gilt die nach dem Jugendschutzgesetz (JuSchG) erteilte Altersfreigabe nach § 5 Abs. 2 Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) auch für die Verbreitung im Fernsehen oder im Internet. Ein Film mit einer Freigabe ab 16 Jahren ist also auch online ab 16, wenn er etwa als Download-Angebot auf einer Spielfilmplattform angeboten wird. Er unterliegt entsprechenden Zeitbeschränkungen oder muss für ein Jugendschutzprogramm programmiert werden. Schon heute werden Angebote von Anbieterseite „gelabelt“, mit einem technischen Kennzeichen versehen, das von einem Jugendschutzprogramm ausgelesen werden kann.
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Die vorgesehene Möglichkeit des Verwaltungsaktes, der über eine Altersfreigabe nach dem Jugendschutzgesetz zu erzielen ist, ersetzt die bisherigen Klassifizierungsmöglichkeiten nicht, sondern fügt nur eine neue hinzu. Die Anzahl der „ungeprüften“ Online-Filme ist überdies gering, da alle Filme, die in Deutschland auf DVD oder im Kino gezeigt werden, vorab von der FSK bewertet werden müssen. Für alle anderen Fälle hat die FSK – und analog die USK für Online-Spiele – eigene Online-Abteilungen gegründet und als Einrichtung der freiwilligen Selbstkontrolle nach dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) anerkennen lassen. Für Fernsehinhalte im Internet ist die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) zuständig, für die Unternehmen der Online-Wirtschaft die Freiwillige Selbstkontrolle Mulitmedia-Diensteanbieter (FSM).
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Übersehen wird ein wichtiger Aspekt, der für Trägermedien gilt, aber nicht für Online-Inhalte: die Vorlagepflicht. Rundfunk- und Telemedienangebote können vorab geprüft werden, liegen prinzipiell aber in der Verantwortung der Anbieter. Eine Vorabkontrolle aller Fernseh- und Internetinhalte ist gesetzlich nicht vorgesehen. Deshalb ist es irreführend, zu behaupten, durch das Gesetz werde quasi das FSK-Modell auf das Internet übertragen. Stattdessen wird es im Internet neben Selbstklassifizierungen und Freigaben von Selbstkontrollen, die für das Internet anerkannt sind, auch solche Kennzeichen von Selbstkontrollen geben, die eigentlich für die Bewertung von Trägermedien zuständig sind.
Die Änderung bringt also ein wenig mehr Rechtssicherheit für die Anbieter, eine Verbesserung für den Jugendschutz ist allerdings nicht zu erkennen.
Auffallend an dem Vorstoß der Ministerin ist allerdings, dass sich offensichtlich die Regelungskompetenz für Jugendschutz zwischen Bund und Ländern zu verschieben scheint – sie liegt laut einem Eckpunktepapier aus dem Jahre 2002 für Trägermedien beim Bund, für Fernsehen und Internet bei den Ländern. Vor diesem Hintergrund kann die Initiative des Bundes als erster Schritt zur Aufkündigung der vereinbarten Kompetenzaufteilung verstanden werden.
Die Länder scheint das nicht weiter zu berühren. Nach dem Scheitern ihrer Novelle des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags im Landtag von Nordrhein-Westfalen im Jahre 2010 wurde immer wieder verbreitet, dass ein neuer Anlauf zu einer Anpassung des JMStV an die sich rasant verändernde Medienwelt unmittelbar bevorstünde, – bisher liefen die Anstrengungen ins Leere. Während Ministerin Schröder auf einer Veranstaltung der FSF im Februar 2011 noch erklärte, dass der Bund nicht beabsichtige, das durch das Scheitern des JMStV entstandene Regelungsdefizit der Länder durch eine eigene Initiative zu füllen, wird diese Zurückhaltung mit der geplanten Gesetzesnovelle offenbar aufgegeben.
Diejenigen, die Jugendschutz praktisch umsetzen sollen, beobachten diesen Prozess mit einer gewissen Resignation. Zukunftsweisende Antworten auf die Frage, welcher Jugendschutz in den nächsten Jahren gebraucht wird und wie er in der Auseinandersetzung mit den Anbietern eingefordert werden kann, bleiben angesichts ungeklärter rechtlicher Perspektiven nebulös. Die Hoffnung auf ein kompatibles Jugendschutzsystems, in dem die Regelungen für Trägermedien und Inhalte in Fernsehen und Internet einigermaßen zueinander passen, wird allmählich durch den Eindruck abgelöst, dass daran kein tatsächliches Interesse besteht.
Links:
Kristina Schröder: „Eltern brauche bessere Rahmenbedingungen zum Schutz ihrer Kinder bei Online-Filmen und Online-Spielen.“ Pressemitteilung des BMFSFJ vom 16. April 2012. http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/Presse/pressemitteilungen,did=185714.html
Regulierung mit begrenzter Wirkung – Jugendschutz in der modernen Mediengesellschaft. medien-impuls-Veranstaltung am 15.02.2011. Redemanuskript von Dr. K. Schröder, Programm, Pressestimmen u.a. unter: https://fsf.de/veranstaltungen/medien-impuls/jugendschutz/