„Das Kino wird zum hitzigen Kommunikationsraum“

Der Workshop der doku.klasse auf dem diesjährigen doxs!Festival in Duisburg

 

Die FSF ist Partner von doxs! und war in dieser Funktion auch in diesem Jahr wieder auf der Duisburger Filmwoche dabei. Das Festival feierte bereits zum 18. Mal seine Preisträger und ist zu einem Ort des intensiven Austausches von Kindern und Jugendlichen mit den Kreativen über filmisches Erzählen geworden. Dirk Uhlig, Medienpädagoge der FSF, leitete den diesjährigen Workshop der doku.klasse – im Gespräch berichtet er darüber.

 

FSF: Welche gesellschaftlich relevanten Themen begegneten dir in den Filmen?

Die auf dem Festival gezeigten Filme greifen in vielfältiger und sehr individueller Sprache thematische Felder auf, die Kinder und Jugendliche in unserer Zeit bewegen. Immer wieder untersuchen die Beiträge Fragen und Konflikte im Zusammenhang mit Kindheit, Jugend und Coming of Age unter den aktuell gegebenen Bedingungen in der jeweiligen Gemeinschaft. Da geht es um die Herausforderungen in verschiedenen politischen Systemen, um Globalität, den Umgang mit Ressourcen und Migration… In einem der prämierten Beiträge werden uns beispielsweise intime Einblicke in eine Freundschaft zwischen drei Kindern im interkulturellen und interreligiösen Brüssel gegeben. Digitalisierung und damit verbundene Gefahren sozialer Netzwerkkommunikation werden filmisch verhandelt, aber auch generelle Themen wie Genderfragen oder – wie im Gewinnerfilm der GROSSEN KLAPPE – die Auseinandersetzung mit Verlust und Tod von Familienangehörigen und Freunden.

 

FSF: Wie reagiert das junge Publikum darauf?

Interessiert, neugierig, aber auch kritisch gleichen Kinder und Jugendliche – je nach Film zumeist Schülerinnen und Schüler verschiedenen Alters – das gerade auf der Leinwand Gesehene mit den eigenen Erlebniswelten ab. Ein besonders wertvoller Bestandteil von doxs! ist natürlich das an die Vorführungen anschließende Publikumsgespräch. Hier tauschen sich Filmschaffende, Protagonist/-innen und Zuschauende intensiv miteinander aus. Das Kino wird zum hitzigen Kommunikationsraum. Fragen werden formuliert, in einem offenen Gespräch wird kommentiert, gestritten und beurteilt. Auch der von der Bundeszentrale für politische Bildung gestiftete Preis, die GROSSE KLAPPE, wird – dem Peer-to-Peer-Prinzip folgend – von einer Jugendjury vergeben.

Besonders gefreut hat es mich, dass mit Katherina Pethke und Christoph Rohrscheidt zwei Stipendiat/-innen der doku.klasse 2018 für ihren Film Dazwischen Elsa eine lobende Erwähnung auf der diesjährigen Preisverleihung von doxs! erhielten.

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Trailer Dazwischen Elsa from Christoph Rohrscheidt on Vimeo.

 

FSF: Was genau ist die doku.klasse und inwiefern bringt sich die FSF dort ein?

Mit der doku.klasse geht der offene Austausch mit Filmschaffenden noch einen Schritt weiter, denn dort sind Jugendliche bereits direkt im Stadium der Stoffentwicklung an der Entstehung eines Dokumentarfilms beteiligt. In der Praxis sieht das wie folgt aus: Im August treffen sich je ein Vertreter von doxs!, dem Grimme-Institut und der FSF mit den Dokumentarfilm-Redakteuren von ZDF/3sat, um gemeinsam die sowohl bei der doku.klasse als auch für die 3sat-Reihe „Ab18! eingereichten Exposés zu diskutieren. Das Ziel des Auswahlverfahrens ist es, eine Schnittmenge der besten Projekte zu finden, die im kommenden Jahr sowohl vom Sender realisiert als auch von der doku.klasse begleitet werden.

Die doku.klasse selbst setzt sich aus interessierten Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus dem Ruhrgebiet zusammen. Manche haben gerade die Schule abgeschlossen, andere studieren oder arbeiten bereits. Einige von ihnen waren in den Jahren zuvor Teil der Jugendjury von doxs! und sind dem Festival verbunden geblieben. Sie alle vereint eine großes Begeisterung für den Dokumentarfilm.

Die 3sat-Produktion Dazwischen Elsa von Katharina Pethke und Christoph Rohrscheidt gehörte zu den in der doku.klasse intensiv besprochenen Filmstoffen der letzten Saison. Der 30-minütige Kurzfilm porträtiert eine junge Frau, die sich nicht entscheiden kann, welche Richtung ihr Leben nach dem Schulabgang einschlagen soll. Sensibel fängt der Film diesen Schwebezustand ein, zeigt den auf Elsa lastenden Druck, die Unsicherheit und ihr Verlorensein in einer solchen Situation. Ende März waren die Filmschaffenden mit einer Rohschnittfassung in Duisburg und sind mit den Jugendlichen in einen intensiven Austausch darüber gekommen. So dicht am Entstehungsprozess eines Dokumentarfilms zu sein, ist sicher eine große Bereicherung für die Teilnehmenden der doku.klasse, nicht selten spiegeln die Themen der Stoffe doch auch eigene Erfahrungswelten. Auch deshalb entsteht in der Diskussion dann ein „hautnahes“ Feedback, und genau davon profitieren wiederum die Filmschaffenden.

 

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FSF: Wer sind denn die neuen Stipendiat/-innen der doku.klasse und hat die Zusammenarbeit mit ihnen schon begonnen?

Rosa Hannah Ziegler war 2016 mit Du warst mein Leben (Grimme-Preis 2017) schon einmal Stipendiatin der doku.klasse. Jetzt ist sie mit ihrem neuen Stoff If you love me (AT) schon zum wiederholten Mal dabei. Der zweite Stipendiat ist Jonas Heldt mit Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen (AT), einem Stoff über eine junge Frau, die bei Audi in Ingolstadt am Fließband steht.

Rosa Hannah Zieglers Besuch in der doku.klasse fand während des doxs!-Festivals in Duisburg statt. Da ich ihre Art Dokumentarfilme zu machen besonders schätze, war es eine große Freude für mich, den Workshop mit ihr zu moderieren. Das Gespräch fand am Sonntag nach der Preisverleihung in der Filmwerkstatt der Duisburger Filmwoche statt und war mit 15 Jugendlichen sehr gut besucht. Alle hatten im Vorfeld das Exposé zu If you love me (AT) gelesen. Nach einer kleinen Vorstellungsrunde zeigte Rosa Hannah Ziegler längere Ausschnitte aus ihrem letzten Dokumentarfilm Familienleben. Zum einen gab sie uns damit einen guten Einblick in ihre Arbeitsweise, zum anderen ist der Figurenkosmos von Familienleben eng mit dem aus If you love me (AT) verbunden. Biggi aus Familienleben ist die leibliche Mutter von Ben, einem der Protagonist/-innen von If you love me (AT). Und damit waren wir eigentlich schon mitten in der Diskussion zum neuen Stoff.

 

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FAMILY LIFE (Rosa Hannah Ziegler, 2018) from Spectacle Theater on Vimeo.

FSF: Worum geht es in If you love me (AT)? Wie haben die Jugendlichen auf Exposé und Filmausschnitte reagiert und wie verlief die Diskussion?

If you love me (AT) ist das Porträt einer turbulenten Liebesbeziehung zwischen Ben und Katharina. Sie sind sehr verschieden, doch beide verbindet die Erfahrung einer schwierigen Kindheit, geprägt von Vernachlässigung und emotionaler Kälte seitens der Eltern. Nach einer Schwangerschaft von Katharina kommt es zu einer Fehlgeburt. Seit diesem schmerzlichen Verlust kämpft das Paar um die Rettung ihrer Beziehung. Rosa Hannah Ziegler möchte diesen Versuch filmisch begleiten.

Die Diskussion über das Exposé und die mitgebrachten Filmausschnitte dauerte ganze fünf Stunden und verlief so intensiv, dass wir erst kurz vor Ende eine kleine Pause einlegten. Weil die Ausschnitte von Familienleben den Workshop eröffneten, ging es eingangs viel um familiäre Konstellationen und die aus der Kindheit mitgebrachten Erfahrungswelten der Protagonist/-innen. Mit Blick auf die filmische Situation wurden Fragen diskutiert, die sich mit der Ambivalenz der Protagonist/-innen beschäftigen. Wie kann man diese filmisch herausarbeiten? Da Ben ein sehr dominanter Charakter ist, Katharina aber eher zurückhaltend, stand die Frage im Raum, wie man es schaffen kann, ein filmisches Gleichgewicht zwischen den Protagonist/-innen herzustellen. Rosa Hannah Ziegler berichtete dann ausführlich von ihren ganz frisch mitgebrachten Eindrücken vom Dreh mit Katharina und Ben, zeigte jedoch noch kein Material. Mitgebracht hatte sie aber einige der TikTok-Videos, die auf Katharinas eigenem Kanal zu finden waren und wir diskutierten gemeinsam, ob und wie man mit diesem Material filmisch agieren könnte. Am Ende ging es immer auch wieder um Fragen, wie eine präzise und vielschichtige filmische Erzählung entstehen kann und wie und mit welchen Mitteln sich eine Autorenhaltung in die dokumentarische Arbeit einschreibt. Da der Austausch für beide Seiten so anregend war, vereinbarten wir für März eine zweite Runde. Rosa Hannah Ziegler wird dann eine Rohschnittfassung mit nach Duisburg bringen.

 

FSF: Eine Fortsetzung wird also folgen. Wir würden uns freuen, wenn du uns dann wieder davon berichtest. Vielen Dank für das Gespräch.

 

*** Lese- und Linktipps der Redaktion:

Über Sandra Marquardt

Sandra Marquardt hat 2010 ihr Magisterstudium in Filmwissenschaft und Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der FU Berlin abgeschlossen. Seit 2011 arbeitet sie als Onlineredakteurin bei der FSF. Dort betreut sie u.a. zum einen den Onlineauftritt der FSF-Website, ist zum anderen für den fsf blog inklusive der Bildredaktion verantwortlich und festes Teammitglied der Newsletterredaktion. Als Praktikumsbeauftragte ist ihr die Betreuung der Praktikantinnen und Praktikanten eine Herzensangelegenheit.