Die Seh(n)sucht nach Verwandlung und Umbruch

Sehsüchte-Festival: Die Momentaufnahme der Transformation

Die Flamme des Studierendenfilmfestivals Sehsüchte ist erleuchtet und kürt auch dieses Jahr wieder die besten Studierenden- und Debütfilme aus aller Welt. Vom Langspielfilm über Dokumentationen, Animationen, Drehbüchern bis zu Musikvideos ist alles dabei und ringt in den jeweiligen Kategorien um die flammende Trophäe. Vom 25. bis 29. April zelebriert das Festival die jungen Werke und alles, was mit Film zu tun hat.

Mit dem Motto Metamorphosis legt das studentische Filmfestival seinen Fokus auf Entwicklung und Veränderung. Ob technische Evolution, gesellschaftliche Umbrüche oder biografische Lebensentwicklung, der Zustand der stetigen Verwandlung umgibt uns alle. Im Sehsüchte-Trailer wird die Metamorphosis einer Beziehung untersucht, was sie mit uns macht und wie flüchtig stillstehende Momente doch sind.

Organisiert wird das Kulturevent in Eigenregie von den Studierenden der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf, die mit viel Leidenschaft und kreativen Ideen auch die Hochschule selbst verwandeln. Aus Foyer, Seminarräumen, Kinos und Vorlesungssälen wird das Reich der Sehsüchtler, all derer, die Film lieben und sich mitreißen lassen wollen. Panels, Workshops und Networking-Events geben nochmal zusätzlichen Input aus der Branche und fördern eine Atmosphäre des Austauschs und der Innovation.

Future: Kids und Teens

Neben dem Festivalprogramm ab 18 gibt es auch das Kinder- und Jugendprogramm Future (Programmübersicht). Durch eine Mischung aus Live Action, Dokumentation und Animation ergibt sich ein vielfältiges Filmangebot, das sich in Future: Kids (FSK 6) und Future: Teens (FSK 12) teilt und kostenfrei besucht werden kann. Die Gewinnerinnen und Gewinner werden von der jeweils ungefähr gleichaltrigen Jury auserwählt und am Sonntag, dem letzten Tag der Festivalwoche, mit den anderen Preisträgern angekündigt und gefeiert.

* Bilder lassen sich durch Klick vergößern

In der Sektion Future Kids sind die verschiedensten Kurzfilme vertreten. So greift der kurze animierte Dokumentarfilm Arrival das Themengebiet Integration in eine neue Heimat und das Schließen neuer Freundschaften eines iranischen Flüchtlingskindes auf. Mit Mika präsentiert uns der Live-Action-Kurzfilm Everybody else is taken ein Mädchen, das sich nicht von Geschlechterollen bestimmen lassen mag, auch nicht auf dem Schulhof. Und mit dem 7-minütigen Animationsfilm Made in France wird der beeindruckende Weg der verloren geglaubten Socke von der Waschmaschine bis zu ihrem überraschenden Ende gezeigt. Das sind nur drei Sujets der sieben Kurzfilme aus dem Kids-Programm. Informationen zu den weiteren Kids-Filmen gibt es hier.

Das Angebot der Kategorie Future: Teens splittet sich in zwei separate Filmblöcke: Teens I und Teens II – und präsentiert mit viel Kraft, Intensität und starken Darstellern eine geballte Ladung Leben auf der Leinwand. Da sich mir die Gelegenheit bot, in den zweiten Filmblock der Teens-Reihe reinzugucken, stelle ich die vier ausgewählten Festivalfilme dieser Kategorie etwas ausführlicher vor.

Variationen des Erwachsenwerdens

Die Filme des Future: Teens II-Blocks schrecken nicht vor harten Themen zurück, verorten sie im Alltag und machen sie durch ihre berührenden Filmfiguren spürbar. Man sitzt auf ihrer Schulter, kann manchmal jeden Gedankengang mitfühlen, manchmal von ihnen eiskalt überrascht werden. Unberührt lassen sie einen aber bestimmt nicht. Sie beweisen wieder einmal, dass „Filme für Jugendliche“ nicht nur für Jugendliche sind, sondern alle etwas angehen. So ist die Rückbesinnung auf die Teenagerzeit nicht nur ein Gedanke an eine Phase, in der Metamorphosen entstehen – ohne dass man weiß, wohin sie führen –, sondern steht im Kern auch für etwas ganz Wesentliches: Umbruch, Neudenken und Veränderung.

So werden in der 12-minütigen Dokumentation Boys will be Boys Oskar und Alex durch ihren gewöhnlichen Teenagertag begleitet. In sanften Orange- und Rosa-Tönen sind wir dabei, wie sie mit anderen Transgenderjungs über Judith Butler diskutieren, herumalbern, Gitarre spielen und Oskars Kopfrasur per Insta-Story mit Freunden teilen. Wir sitzen mit auf dem Zaun, dem Bett oder der Duschwanne. So intim und leise, aber auch lustig und bewegend zeigt der Film die Momente der reifen Jugendlichen.

Oskar und Alex verbringen gemeinsam den Abend. Sie diskutieren über Judith Butler, machen Musik und vergleichen ihre Beinhaare. Ein intimer Dokumentarfilm über das Leben zweier Transgender-Jungs. In: BOYS WILL BE BOYS, Germany 2017, 12 min. | Documentary German English, FSK 12. Sehsuechte Student Film Festival |Future: Teens II, Donnerstag, 26.April 12:30h im fx.Center. Regisseur: Inez Körnich, Produzenten: Viktoria Janssen, Colleen Lenhard, Drehbuch: Inez Körnich, Cast: Raphael Bergmann, Alex Endrizzi, Geraldine Endrizzi, Juno Göppelu, Oskar Hughes, Cinematographer: Manuel Schamberger, Editing: Kathrin Unger, Sound Designer: Clemens Ruh, Line Producer: Andrea Wohlfeil.
Oskar und Alex verbringen gemeinsam den Abend. Sie diskutieren über Judith Butler, machen Musik und vergleichen ihre Beinhaare. Ein intimer Dokumentarfilm über das Leben zweier Transgender-Jungs. In: BOYS WILL BE BOYS, Germany 2017, 12 min. | Documentary German English, FSK 12.

In dem niederländischen Kurzspielfilm Tex geht es um das Mädchen Tex und ihren stressigen Alltag. Sie pflegt ihren kranken Vater, kümmert sich um den Hund, ist Autowäscherin und liefert sich immer wieder Machtspiele mit ihrer Chefin. Tex kann schüchtern, aber auch direkt wirken, selbst brutal kann sie sein und dann auch wieder romantisch. Der Film erzählt dies völlig unaufgeregt und legt den Fokus ganz auf die Protagonistin selbst, alle anderen Figuren sind nur Randmarkierungen. Mal ist man ganz bei ihr, mal entgleitet sie einem, mal passiert etwas Unerwartetes und dann wieder steht die Welt still. Tex‘ Leben ist eben doch eine kleine Achterbahn, so wie das mit 17 nunmal ist.

Zu Hause pflegt sie ihren kranken Vater und auf der Arbeit sorgt die Kollegin für Stress – das ist der harte Alltag der jungen Autowäscherin Tex. Aber zum Glück gibt es jemanden, der Tex so mag, wie sie ist. In: TEX, Netherlands 2017, 18 min. | Live Action, Dutch, FSK 12. Sehsuechte Student Film Festival |Future: Teens II, Donnerstag, 26. April 12:30h im fx.Center. Regisseur: Jonas Smulders, Cinematographer: Sam Du Pon, Music: Wisse Barkhof, Elio Steenbergen, Sound Designer: Gijs Domen, Taco Drijfhout.
Zu Hause pflegt sie ihren kranken Vater und auf der Arbeit sorgt die Kollegin für Stress – das ist der harte Alltag der jungen Autowäscherin Tex. Aber zum Glück gibt es jemanden, der Tex so mag, wie sie ist. In: TEX, Netherlands 2017, 18 min. | Live Action, Dutch, FSK 12.

In dem spanischen Live-Action-Film La Última Virgen (The Last Virgin) haben die Mädels am Stadtrand neben den Autobahntrassen ihr Leben fest im Griff. Sie sind es, die die Parties abchecken, die den Alkohol besorgen, die bestimmen, wann sie ihre Jungfräulichkeit verlieren. Aber sie bestimmen es für sich gegenseitig und über sich hinweg. Lydia Caballo spielt sehr überzeugend das zerbrechliche Mädchen, das ganz genau weiß, wie die Mädelsgruppe funktioniert. Und sie tut alles, um ein Teil davon zu bleiben und wird sich doch nie wirklich einig mit ihrer Rolle. Sex als Mutprobe und Überwindung des Kindseins ist ein kritischer Anhaltspunkt, denn zwischen Insta und rotem Lippenstift scheint der Raum für Kindheit sehr klein zu sein.

Die Stunde der Wahrheit ist gekommen: Sara soll vom coolen Dani entjungfert werden. Ihre Freundinnen bereiten sie auf das besondere Ereignis vor: ein heißes Outfit, Instagram, Alkohol. Doch ist Sara überhaupt schon bereit dafür? In: THE LAST VIRGIN. Spain 2017, 18 min. | Live Action Spanish, FSK 12. Sehsuechte Student Film Festival |Future: Teens II, Donnerstag, 26. April 12:30h im fx.Center. Regisseur: Bàrbara Farré Berenguer, Drehbuch: Lucas Casanovas, Bàrbara Farré, Cast: Lydia Caballo, Laia Cuadrado, Elena García, Mar Hidalgo, Cinematographer: Lucas Casanovas, Film School: ESCAC FILMS.
Die Stunde der Wahrheit ist gekommen: Sara soll vom coolen Dani entjungfert werden. Ihre Freundinnen bereiten sie auf das besondere Ereignis vor: ein heißes Outfit, Instagram, Alkohol. Doch ist Sara überhaupt schon bereit dafür? In: THE LAST VIRGIN. Spain 2017, 18 min. | Live Action, Spanish, FSK 12.

Beendet wird dieser Filmblock mit dem 30-Minüter Welcome. Nach acht Jahren ziehen Dávid und seine Mutter wieder zu seinem Vater nach Ungarn. Chauvinistische Grenzkontrollen geben bereits den ersten Vorausblick in ein Land, das durch Autokratie geprägt ist. Menschenwürde erscheint löchriger und doch ist es unglaublich, mitzubekommen, wozu sich Menschen berechtigt fühlen. Der Film saugt einen tief ein in die Sprödheit der Landschaft und Intensität der Erlebnisse des Protagonisten. Was richtig oder falsch ist, schlägt in Davids Kopf Haken, aber auch Brücken.

Dávids Familie zieht aus Serbien zurück in das alte Zuhause in Ungarn. Die Eltern ahnen nichts von den riskanten Tätigkeiten des Sohnes: Dávid schleust Flüchtlinge über die Grenze in ein Land, in dem Menschenrechte immer mehr an Bedeutung verlieren. In: WELCOME, Hungary 2017, 30 min. | Live Action, Hungarian, FSK12. Sehsuechte Student Film Festival |Future: Teens II, Donnerstag, 26. April 12:30h im fx.Center. Regisseur: Balázs Dudás, Produzent: Kovács Gábor, Drehbuch: Dudás Balázs. Cast: Ficzere Béla, Vilmányi Benett, Horváth Csaba, Vizi Dávid, Kerekes Éva, Fazakas Géza, Keszég László, Kovács Tamás, Balogh Veronika, Géczi Zoltán, Zayzon Zsolt, Cinematographer: Bántó Csaba, Costume: Szakos Krisztina, Editing: Kovári Szabolcs, Lighting: Nyitrai Iván, Manager: Bényi Dániel, Music: Sulyok Benedek, Sound Mixer: Bodnar David W., Film School: University of Theatre and Film Arts Budapest, Line Producer: Mester Linda, Casting Director: Muhi Zsófia, Production Designer: Nyitrai Anna, Art Director: Nyitrai Anna, First Ad: Bozzay Balázs, Majoros Dániel, Szabó Mátyás, Molvay Norbert, Assistant Camera: Csíkszentmihályi Ajnácska, Hernádi Ambrus.
Dávids Familie zieht aus Serbien zurück in das alte Zuhause in Ungarn. Die Eltern ahnen nichts von den riskanten Tätigkeiten des Sohnes: Dávid schleust Flüchtlinge über die Grenze in ein Land, in dem Menschenrechte immer mehr an Bedeutung verlieren. In: WELCOME, Hungary 2017, 30 min. | Live Action, Hungarian, FSK12.

Future: Teens II kann am Donnerstag, dem 26. April zwischen 12.30 Uhr und 14.30 Uhr, angeschaut werden. Sind die Filmschaffenden vor Ort, haben sie im Q&A nach dem Screening ein offenes Ohr für alle Fragen aus dem Publikum.

Und wer jetzt Lust auf die Filme der Kategorie Future: Teens I oder der vielen anderen Kategorien und Genres des 47. International Student Film Festivals bekommen hat, kann sich auf der Sehsüchte-Webseite über alle Filme und das komplette Rahmenprogramm informieren und ist natürlich herzlich eingeladen, die studentischen Filme in den Kinos der Babelsberger Filmhochschule KONRAD WOLF in Potsdam zwischen dem 25. und 29. April anzugucken.

Über Henrike Rau

Henrike Rau studierte Architektur an der Universität Kassel und danach Digitale Medienkultur und Medienwissenschaften an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF. Neben Uniprojekten wie Sehsüchte, der Kinderfilmuni oder Kooperationen mit dem Filmmuseum Potsdam haben Praktika beim UFALab und bei der FSF ihre Ausbildung mit Praxis belebt.