Die Trinität der Watchmen – ein wiederkehrendes „Fan-omen“

Hinweis: Der folgende Blogbeitrag basiert auf der Sichtung der ersten drei Episoden der Serie Watchmen, der Sichtung des Films von 2009 und einer Recherche zur Story der Comicreihe. Es sind Spoiler zu allen Ausarbeitungen enthalten.

 

„Hier wird es heute keine Selbstjustiz geben, vertraut auf das Gesetz.“

Mit diesem Satz leitet ein kleiner Junge die erste Folge der heiß ersehnten HBO Heldenserie Watchmen ein. Am 4. November lief sie exklusiv auf Sky an und stellte sich dem kritischen Blick des deutschen Publikums. Kritisch – zurecht! Denn Watchmen tritt nicht nur in die Fußstapfen des 2009 erschienen Spielfilms Watchmen – Die Wächter von Regisseur Zack Snyder, sondern muss auch dem großen Erbe der gleichnamigen Comic Novel aus dem Jahr 1987 gerecht werden. Autor Alan Moore und Zeichner Dave Gibbons schufen damals mit ihrem zwölfteiligen Werk einen vielfach preisgekrönten Comic, der sich bis heute großer Beliebtheit erfreut.

Ein durchaus ambitioniertes Projekt, das sich Produzent Damon Lindelof, bekannt durch Filme wie Star Trek (2009) oder World War Z (2013), da also vorgenommen hat. Aufgrund seiner Arbeit mit der rätselreichen Kultserie Lost wurde vielfach auch bei Watchmen eine unkonventionelle Erzählstruktur vermutet. Und nach Sichtung der ersten drei Folgen dürfte diese Erwartung zumindest schon einmal bestätigt sein. Aber erstmal zu den Basics.

 

Worum geht es im Watchmen-Universum? – Die Vergangenheit

Es wäre vermessen zu behaupten, man könne die Handlung oder gar Botschaft des Werkes in aller Kürze zusammenfassen und es lässt sich im Hinblick auf die Serie auch darüber streiten, was man über den Background wissen MUSS. Denn diese ruht sich nicht auf reproduziertem Fanservice aus, sondern versucht die Watchmen-Thematik in die heutige Zeit zu holen.

Die Themen, die in Watchmen verhandelt werden und das Motiv der Superhelden selbst sind gut gealtert, doch schon damals eröffnete der Comic eine neue Sicht darauf. In der alternativen Version der USA der 1980er-Jahre, die von Spannungen des anhaltenden Kalten Kriegs, der dritten Amtszeit des Präsidenten Richard Nixon und dem durch Superhelden errungenen Sieg im Vietnamkrieg geprägt ist, werden ehemalige Superhelden nach und nach ermordet. Der Comic wie auch der Film spielen überwiegend in New York und geben die Perspektive der übrigen (Ex-)Helden wieder.

Man muss wissen, dass in dieser Comicwelt Superhelden erstmals in den 30er-Jahren auftraten. Es waren zunächst lediglich Polizisten, die sich den Maßnahmen Krimineller bedienten, um durch Maskierung mehr Sicherheit und Handlungsfreiheit zu gewinnen. Jene erste Gruppe von Wahlsuperhelden nannte sich „Minutemen“, angelehnt an eine Miliz der britischen Kolonien in Nordamerika. Sie bestand aus acht Mitgliedern, von denen keiner tatsächliche Superkräfte besaß. Erst mit der zweiten Generation, um die es vorrangig im Spielfilm von 2009 geht, bekamen die Watchmen oder Vigilanten einen Superhelden der (vermeintlich) klassischen Art. Der durch einen Arbeitsunfall im Labor zum gottähnlichen Wesen mutierte Wissenschaftler Dr. Jon Osterman alias Dr. Manhattan verfügt über übermenschliche Fähigkeiten wie Telekinese und ähnliches. Seine Qualitäten wurden im weiteren Verlauf auch zu politischen Zwecken genutzt, bis zu dem Zeitpunkt, an dem Superhelden und deren Maskierung verboten wurde. Zusammengefasst handelt der Comic wie auch der Spielfilm vor allem von der Etablierung und Nutzung einer Gruppe von Superhelden für gesellschaftliche und politische Zwecke, aber auch von der Abschaffung und Illegalisierung des Konzepts und stellt die Frage, was Superhelden täten, wenn Sie verboten würden.

Die Verhandlung darüber, ob „Held sein“ etwas ist, das man ablegen kann und wo die Grenze gezogen wird, wird von jedem Charakter anders beantwortet. Beispielsweise konnte sich der für die Reihe ikonische Held Rorschach nie damit abfinden, seine Berufung zum Helden ablegen zu müssen, was er letztlich auch mit dem Tod durch einen Kollegen bezahlte. Sein Name kommt übrigens von einer an das vom gleichnamigen Psychologen ca. 1920 entwickelte Testverfahren erinnernden Maske. Die in „gespiegelter“ Form auch in der neuen Serie gewissermaßen rezitiert wird. Eben jene „Tintenkleckse“ der vergangenen Helden finden sich auch in der neuen Serie, aber eben in möglicherweise sehr unerwarteter Form…

Collage: Janina Pickel © FSF
Collage: Janina Pickel © FSF

Watchmen als Serie – die Gegenwart

Lindelofs Serienadaption spielt 34 Jahre nach Ende der Comic Novel und führt das Gedankenexperiment wie folgt fort. Der Comic endete damit, dass der Kalte Krieg tatsächlich durch den wahnwitzigen Plan des hochintelligenten Helden Ozymandias abgewendet werden kann. Dieser hatte ein künstliches Tentakelwesen erschaffen, welches eine Alieninvasion der Erde imitierte, die Großmächte USA und UdSSR im Kampf vereinte und somit Frieden stiftete. Nachdem Rorschach dies nicht aufhalten konnte, wollte er Ozymandias finstere Machenschaften wenigstens aufdecken und schickte kurz vor seinem Tod sein Tagebuch an seine liebste Zeitung. Damit endet der Comic und die Serie setzt genau daran mit dem Gedankenexperiment an, dass Rorschachs Tagebücher also veröffentlicht wurden. So sollte es, entgegen vieler Zuschauerreaktionen wenig überraschen, dass Rorschach und seine Maske nach 34 Jahren zum Symbol einer rechtsradikalen Untergrundbewegung namens „die Siebte Kavallerie“ wird, denn seine liebste Zeitung gehört auch zur politischen Rechten. Die Gegenwart befindet sich also in einem Spannungsfeld aus finanzieller Wiedergutmachung rassistischer Gewalttaten der Vergangenheit, das Aufkommen einer radikalen Untergrundbewegung und der unklaren Trennung von vermummter Polizeiarbeit und superheldenhafter Selbstjustiz.

„Kennen Sie den Unterschied zwischen einem maskierten Cop und einem Vigilanten? – Nein?! – Mir geht’s genauso!“

Laurie Blake FBI Detective der Anti-Vigilanten Taskforce (ehemals Silk Specter II)

Kleinere Andeutungen wie die Omnipräsenz der tickenden Uhr als wichtiges Symbol, aber auch Gegenüberstellungen von alten und neuen Helden finden sich mit der Zeit vermehrt. Ansonsten lassen sich die Nachwehen der Watchmen-Vergangenheit in der Serie sowohl an kleinen „Mysteriösitäten“, wie dem ätzenden Tintenfischregen, aber auch anhand der politischen und gesellschaftlichen Strukturen erkennen. Die Idee der Maskierung zum Selbstschutz wurde für die Polizei rehabilitiert, während die Selbstjustiz durch verkleidete Superhelden nach wie vor illegal ist. Die ehemaligen Helden sind zunächst nicht mehr als historische Figuren, welche in einem populären Fernsehformat namens „American Hero Story“ rekapituliert werden. Andeutungsweise scheinen zwar einige noch unter ihnen zu wohnen, jedoch klar erkennbar tritt ausschließlich Laurie Blake ab der dritten Episode als clevere Ermittlerin in Erscheinung.

Wer die Vorgeschichte durch Comic und Film kennt, wird also definitiv ein anderes Seherlebnis der Serie haben, denn vor allem in der dritten Folge häufen sich die Anspielungen auf das Vorwissen. Wenn beispielsweise in der ersten Folge ein gefangener der „Siebten Kavallerie“ eine Giftkapsel zerbeißt, um dem Gegner nicht als Informationsquelle zu dienen, wird sich der Kenner des Spielfilms an einen wichtigen Plottwist erinnert wissen. Jedoch kann dieses Rätselraten ja auch als lustvoll empfunden werden und außerdem geht der Mehrwert der Serie eben auch über diese Form des Fanservice hinaus.

 

Aktualität und Jugendschutz

Im Gegenteil zur Struktur klassischer Superheldengeschichten, in denen in der Regel eine klare Gut-Böse-Zuschreibung getätigt werden kann, lebt Watchmen eben gerade von der Ambivalenz seiner Helden und verhandelt schwierige ethische Fragestellungen. Beispielsweise schaffte es der hochintelligente Ex-Watchmen Ozymandias, den Kalten Krieg abzuwenden, nahm dafür jedoch in Kauf, das einige seiner Heldenkollegen sterben mussten und ganz New York vernichtet wurde.

„Die Serie bietet eine Bandbreite an umstrittenen Themen wie der Selbstschutz durch Maskierung, politische Machenschaften und natürlich auch die im Jugendschutz relevante Frage nach der Darstellung von Selbstjustiz …“

Die fehlende narrative Vorgabe zur Einordnung von Charakteren in Gut und Böse ist eine der Herausforderungen, die bei Freigabeentscheidungen miteinbezogen werden muss. Im nächsten Schritt versucht Lindelof nun zu skizzieren, wie diese Vorfälle der Vergangenheit auf die heutigen Gegebenheiten gewirkt hätten. Watchmen ist und war schon immer ein hochpolitisches Gedankenspiel, das durch Konstruktion alternativer, nicht völlig neu erfundener, geschichtlicher Verläufe ethische, gesellschaftlich relevante Fragen am popkulturellen Bild des Helden verhandelt. Darum sind Ereignisse trotz ihrer Fiktionalität an die heutige Zeit anknüpfbar und daher potenziell auch wirkmächtiger. Die Serie bietet eine Bandbreite an umstrittenen Themen wie der Selbstschutz durch Maskierung, politische Machenschaften und natürlich auch die im Jugendschutz relevante Frage nach der Darstellung von Selbstjustiz. Eine Kategorie, die den Diskussionen zu Superhelden seither innewohnt. Im Jugendschutz kommt diese vor allem in der Ermessung einer einfachen Jugendgefährdung (§ 18 JuSchG) vor. Dabei geht es vor allem darum, ob „Selbstjustiz als einzig bewährtes Mittel zur Durchsetzung der vermeintlichen Gerechtigkeit nahe gelegt wird.“ Da Watchmen aber auch das Irren und Scheitern seiner Helden thematisiert, ist diese glücklicherweise nicht anzunehmen.

In einer Welt, die unter dem Verlust von Vertrauen in politische und gesellschaftliche Institutionen leidet, können sogenannte „Antihelden“ besonders im Interesse der Zuschauer stehen. Sie repräsentieren gewissermaßen einen Zeitgeist der Ambivalenz, wirken nahbarer, weil sie eben weder bloß schlecht noch bloß gut sind. Dieser Trend lässt sich auch daran erkennen, dass andere Anbieter auf die Neuverhandlung der Superheldenrolle setzen. Amazons Doom Patrol, die ebenfalls auf DC Comics basiert, handelt von einer Gruppe traumatisierter Superhelden, die ihre Kräfte unfreiwillig erhielten. Netflix bringt mit The Boys eine Gruppe von Superheldenjägern auf den Bildschirm und eröffnet die Idee, dass in einer Welt, in der Superhelden ihren Handlungsspielraum ausnutzen, es auch „Normalsterbliche“ geben könnte, die damit nicht einverstanden sind oder gar unter deren Verhalten leiden. Diese eher negativ konnotierte aktuelle Sicht auf Superhelden könnte vielleicht auch auf eine gewisse Übersättigung des Publikums durch das Überangebot an recht klassischen Superheldenfilme der letzten Jahre hindeuten.

 

Altersfreigabe der FSF

FSF: freigegeben ab 12 Jahren | Hauptabendprogramm © FSF

Die FSF hat die vorgelegten Episoden der Science-Fictionserie in der Programmprüfung überwiegend für das Hauptabendprogramm freigegeben. Zur dieser und weiteren ProgrammInfos auf der FSF-Website geht es hier.

 

Quellen und Artikel:

Alle Artikel wurden zuletzt abgerufen am 17.12.10.2019

Über Janina Pickel

Janina Pickel ist Masterstudentin der Filmwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Im Februar 2018 wurde sie als ehrenamtliche Prüferin der FSK tätig und arbeitet seit Juni 2019 nebenbei als Filmvorführerin des F.W. Murnau Filmtheaters in Wiesbaden. In ihrer Bachelorarbeit zum Thema Der Horrorfilm für Kinder spiegelt sich ihr besonderes Interesse für mediale Grenzgänger und Themen des Jugendmedienschutzes wider. Dies bewog sie u.a. dazu, ein Praktikum bei der FSF zu absolvieren. Mittlerweile wurde sie auch zur Prüferin der FSF benannt.