Als True Detective Anfang des Jahres anlief, überschlugen sich die Kritiker geradezu mit Lob.
HBO hatte sich in alter Stärke zurückgemeldet. Die Serie ist nicht nur hervorragend besetzt, sondern hat eine Färbung, die trotz der ungesättigten Töne durchtränkt ist mit dichter Atmosphäre und Mysterium. Eine Stimmung, die viel mit der Landschaft des US-amerikanischen Südens zu tun hat, wo das Drama spielt, und die der Regisseur Cary Fukunaga gekonnt in melancholische Bilder epischen Ausmaßes zu verpacken wusste. True Detective zieht einen sofort in seinen Bann.
Die Serie handelt primär von einem grausigen Mordfall, der potenziell zu einer ganzen Serie von Morden gehört. Die Geschichte wird in Rückblicken erzählt. Ein abgewrackter Matthew McConaughey (Rust Cole), vom Leben und diversen Substanzen gezeichnet, wechselt sich dabei mit einem ebenso in die Jahre gekommenen Woody Harrelson (Marty Hart) ab.
Letzterer mit ansetzender Platte und schon recht ausgeprägter Plauze. Die beiden werden getrennt von einem anderen Polizistenduo zu den einige Jahre zurückliegenden Ermittlungen befragt. Schnell wird klar, dass nicht nur das Leben, sondern vor allem dieser spezielle Fall bei beiden Protagonisten Spuren hinterlassen hat.
Für McConaughey wurde diese Rolle zum Teil zum McConaissance, wie es viele Kritiker nannten.
Der Schauspieler, der in der Vergangenheit hauptsächlich durch nichtssagende Rollen in romantischen Komödien eher negativ aufgefallen war, zeigt hier eine nuancierte Darstellung, die dem Zuschauer eine ganze Bandbreite an Emotionen abnötigt. Diese schauspielerische Wiedergeburt gipfelte denn auch in einem Oscar für seine ebenso eindrucksvolle Leistung in dem Aidsdrama Dallas Buyers Club (2013).
Doch die Aufdeckung eines perfiden Kultes und von Verstrickungen bis in die höchste Riege der Politik – das alles bildet nur die Kulisse für das menschliche Kammerspiel zwischen McConaugheys und Harrelsons Figuren Rust Cole und Marty Hart. Hier von einem ungleichen Paar zu sprechen, wäre noch weit untertrieben. Der von einem Schicksalsschlag aus der Bahn geworfene Nihilist Cole trifft auf den heuchlerisch rückschrittliche Illusionen pflegenden Hart. Die Weltanschauungen dieser beiden Männer, die einander diametral entgegenlaufen, stellen die eigentliche Spannung der Serie dar. Dieser Konflikt wird meist in Gesprächen während der langen Fahrten von einem Ermittlungsort zum anderen ausgefochten. Ein Umstand, der der Serie nach einer Weile auch so einiges an Häme eingebracht hat. Cole’s profunde Aussage „Time is a flat circle“ ist schon jetzt in die Annalen der Serien- und Filmzitate eingegangen und die Serie The Good Wife persiflierte True Detective in ihrer letzten Staffel immer wieder als pseudo-philosophischen Kitsch.
Kritik musste die Serie außerdem wegen der unterrepräsentierten Frauen einstecken. Frauen werden in dieser Serie schlecht behandelt, daran gibt es nichts zu beschönigen. „I’ve never been quite so simultaneously awed by and furious with a show as I have been with True Detective“, schrieb etwa eine Autorin des Guardian. Tatsächlich ist der Grat zwischen „Frauenfeindlichkeit darstellen“ und „frauenfeindlich sein“ immer schmal. Meines Erachtens kippt die Serie nicht in letzteres. Doch diese Frage wurde heiß debattiert. Wobei sich möglicherweise auch ein Frust entlud, der schon länger schwelte. Denn viele der sehr erfolgreichen Serien im US-amerikanischen Fernsehen handeln von weißen Männern. Und auch wenn die Qualität dieser Serien völlig unbestritten ist und sie trotzdem starke weibliche Figuren aufweisen, so sind nicht alle mit diesem Umstand zufrieden. True Detective war vielleicht eine Serie zu viel, egal, wie gut sie ist. Die Serie weist keine weiblichen Hauptcharaktere auf, und die Frauen, die es gibt, sind meist Opfer. Doch in der Darstellung der Ehefrau Martin Harts, wunderbar gespielt von Michelle Monaghan, zeigt sich ein entlarvender Kontrast zu dessen fast schon zwanghaft rückschrittlicher Einstellung zu Frauen.
Und auch die Frauen, die vorgeblich als Opfer daherkommen, hinterlassen diesen Eindruck nicht. Martin Hart ist ein Mann, der Frauen auf ein Podest stellt und sie damit zu seinem Eigentum erklärt. Seine Familie und sein Heim sollen seine Heile-Welt-Zuflucht sein, er will all die Abgründe, denen er in seinem Job begegnet, nicht dorthin mitbringen. Er lässt sie lieber bei seiner Geliebten. In seiner Vorstellung ist sie moralisch völlig gerechtfertigt, weil er damit sein Heim „rein“ hält. Er ist dabei Gefangener dieser antiquierten Vorstellungen, die ihn davon abhalten, tatsächlich eine Beziehung zu seiner Frau und seinen Töchtern zu entwickeln. „There is nowhere else I want to be“, sagt er seiner Frau, auf seine Affäre angesprochen. Worauf sie ernüchtert antwortet: „I wonder if you even know you’re lying.“
Die Serie ist eine Studie darüber, wie Menschen mit den Abgründen der Psyche und inhumanem Verhalten umgehen, wenn es ihnen begegnet, und auch mit den alltäglichen Grausamkeiten und Unwegbarkeiten, die manch einem das Leben so entgegenwirft. Cole hat einen fast schon religiösen Weg der Entbehrung und Selbstgeißelung für sich gewählt und ist dabei überzeugter Atheist. Er ist beherrscht von einem rohen Schmerz und seinem Drang, der Welt jeden Vorhang herunterzureißen, hinter dem sie etwas zu verbergen versucht. Hart dagegen hat sich für genau diesen Vorhang entschieden, den heilsamen Selbstbetrug. „If the only thing keeping a person decent is the expectation of divine reward then, brother, that person is a piece of sh*t.”, sagt Cole zu Hart beim Anblick einer Masse Gläubiger. “You gotta get together and tell yourself stories that violate every law of the universe just to get through the goddamn day? What’s that say about your reality, Marty?“ Und doch schaffen es die Autoren, für beide Verständnis und Mitgefühl beim Zuschauer zu erzeugen. Marty rehabilitiert hin und wieder seine Fähigkeit, selbstlos anzuerkennen, dass sein Partner der bessere Ermittler ist, und seine absolute Loyalität Cole gegenüber. Trotz ihrer eklatanten Gegensätzlichkeit gehen die Männer immer respektvoll miteinander um. Und beide überraschen einen immer wieder mit unerwarteten Reaktionen. Immer dann, wenn man denkt, man weiß was sie als nächstes sagen werden.
Für Kenner der Materie hält die Serie außerdem einen interessanten Aspekt bereit, den vermutlich die wenigsten ohne Hilfe gesehen hätten. Die Ereignisse des Falles und die Symbolik des Kultes, dem die beiden Ermittler nach und nach auf die Spur kommen, entspringen zu Teil dem Buch The King in Yellow von Robert W. Chambers. Die Geschichte aus dem viktorianischen Zeitalter handelt von einem Stück, das jeden, der es liest, in den Wahnsinn treibt. Fans machten daraus eine wahre Referenzorgie und fanden sogar dort Hinweise, wo keine intendiert waren.
Ob man sich nun auf Spurensuche der einen oder anderen Art begeben will, sich die Serie wegen des visuellen Stils oder der philosophischen Debatten ansehen möchte, oder einfach nur wegen der zwei herausragenden Hauptdarsteller, auch wenn sie denn wieder zwei weiße Typen sind … – es lohnt sich in jedem Fall, sich von True Detective selbst ein Bild zu machen.