Süßer die Likes nie klingen

Einer Studie von IBM zufolge hat im letzten Jahr der Datenverkehr am 25. Dezember in den USA zugenommen. Hauptgrund: Viele Weihnachtsgeschenke werden in der letzten Minute in Online-Shops ausgesucht. Auch auf Twitter waren die Nutzer an Weihnachten aktiv. Im letzten Jahr waren die Begriffe „Frohe Weihnachten“ und „Geschenke“ an den Weihnachtstagen in den Top Ten Trends zu finden. Mithilfe von Twitter wurde in den USA zudem ermittelt, dass das iPad das beliebteste Weihnachtsgeschenk war: Es gab 120.508 Tweets mit „got iPad“, die Samsung-Note-Serie wurde hingegen in 46.617 Tweets genannt. Weihnachten ist also längst in den Sozialen Netzwerken angekommen – und auch bei mir gehören in der Vorweihnachtszeit wie im Offline-Leben einige gern gepflegte Rituale dazu.

Dezemberanfang: Kommt Weihnachten nicht jedes Jahr früher? Diese rhetorische Frage wird insbesondere bei Twitter gestellt. Hinzu kommt – je nach Präferenz – die Vorfreude auf den ersten Glühwein oder die penetrant wiederholte Feststellung, dass Glühwein eklig ist. Wichtig ist, die fortschreitende Alkoholisierung durch Glühwein durch lustige Tweets mit imitierten Sprachfehlern nachzustellen. Über das erste Hören von „Last Christman“ jammern. Damit prahlen, dass man das erste oder gar schon alle Weihnachtsgeschenke hat. Fotos von sich selbst mit Mütze auf einem Weihnachtsmarkt – optional mit Glühwein in der Hand – posten. Beklagen, dass es kalt ist und den ganzen Tag nicht hell wird. Selbst betonen, wie sehr man doch den Winter mag.

Adventskalender FSF, Süßer die Likes nie klingen (c) FSF
© FSF

Bei Facebook besteht die Hälfte der Posts aus Werbung für Adventskalender, fast überall gibt es jeden Tag etwas zu gewinnen. Fotos von winterlichen Essen nehmen zu. Außerdem werden erste Urlaubsvorbereitungen kommentiert sowie Tage gezählt, an denen man noch arbeiten muss. Die einen beklagen sich, was sie alles noch machen müssen. Andere haben bereits frei. Die Wikipedia-Spendensammlung wird diskutiert. Erste Jahreslisten der Top Ten der Bücher, Filme und sonst etwas tauchen auf, sofort wirft einer die Frage in den Raum, ob diese Listen auch immer früher kommen. Ich erstelle eine Liste der Bücher und Filme, die ich für meine eigene Top Ten noch lesen bzw. gucken muss.

Zwischen dem 10. und 20. Dezember: Überall wird über Kekse backen, Glühwein trinken und Weihnachtsfeiern geschrieben, es ist den meisten immer noch zu kalt und zu dunkel. Jede Schneeflocke wird gefeiert – oder beklagt. Weiterhin werden Adventskalender beworben und um Spenden geworben, ich verteile fleißig Buchtipps. Über typische Weihnachtsfilme wie „Tatsächlich Liebe“ wird gelästert, ich gucke ihn trotzdem. Daraufhin entspinnen sich Gespräche über Lieblingsweihnachtsfilme und die Filme oder Bücher, die zu Weihnachten einfach dazugehören. Erste virtuelle Weihnachtsgrüße werden versandt – besonders penetrant sind die E-Cards mit Schneeflocken und automatisch startender Musik. Eigentlich wollte man selbst ja richtige Weihnachtskarten schreiben, aber die Zeit fehlte – also überlege ich kurz, diese Karten selbst zu verschicken, entscheide mich aber lieber für eine E-Mail oder kurze Nachricht.

Bis zum 23. Dezember: Weihnachtsgeschenke-Panik macht sich breit. Glühwein wird getrunken. Es wird heller! Schließlich ist der kürzeste Tag des Jahres vorbei. Fotos von Heimfahrten und vollen Zügen werden gepostet. Die spannende Frage: Werden alle pünktlich an dem Ort ankommen, an dem sie Weihnachten verbringen wollen? Ich verfolge es live mit, schließlich sitze ich selbst gerade im Auto und hoffe insgeheim, dass bald im Radio „Driving Home for Christmas“ zu hören ist.

Der 24. Dezember. Es ist vollbracht. Noch schnell virtuelle Weihnachtsgrüße an die Twitter- und Facebook-Freunde versandt – und dann ist Schluss! Zumindest für mich, denn an Weihnachten bin ich tatsächlich offline. Jedenfalls bis zum 27. Dezember. Denn dann geht es ja mit den Jahresendlisten richtig los.

Über Sonja Hartl

Sonja Hartl studierte Deutsche Sprache und Literatur, Medienwissenschaft und Sozial- und Wirtschaftsgeschichte in Marburg und schreibt seither als freie Journalistin über Film, Fernsehen und Literatur. Außerdem betreibt sie das Blog Zeilenkino und ist Chefredakteurin von Polar Noir.