Verteidigung der Superhelden

Birdman-Regisseur Alejandro G. Iñárritu sagte jüngst, man könnte keine Filme mehr für 20 Mio. machen, die 80 Mio. einbringen – was ein gutes Geschäft wäre – weil alle lieber 800 Mio. verdienen wollten. Er verwies damit auf ein Problem in Hollywood, das Steven Soderbergh schon 2013 in seiner Rede zur Lage der Filmindustrie ausgeführt hat und Mark Duplass jüngst auf dem SXSW mit folgender Frage wiederholte: Wo ist die Art von Independent-Filmen, die [etwa] 1998 aus Sundance kamen? Studios haben Angst, etwas mit originellen kleinen Projekten zu riskieren und investieren lieber Milliarden in sogenannte Franchises (Filmserien), die sich garantiert rentieren, weil sie schon bekannt sind.

Guckt man sich die Transformers-Reihe von Michael Bay an, scheint das zu stimmen: Seelenlose Materialschlachten, deren Figuren einem egaler nicht sein könnten und deren Handlungen lediglich ein Feigenblatt für absurdeste Stunts und abartigste Verwüstungen sind. Filme also, deren Macher davon ausgehen, dass ihr Publikum im besten Fall strohdoof und im schlimmsten Fall obendrein rassistisch und frauenfeindlich ist. Der Filmkritiker Mark Kermode meinte mal, dass Bay der Engel der Zerstörung sei, der abgesandt wurde, um den Film mit seinem brennenden Schwert aus gigantischem Schrott zu vernichten.

Die Kritik entzündet sich jedoch nicht an Bay oder hohlen Actionarien wie etwa der Fast&Furious-Reihe, sondern an Superheldenfilmen. „Opening with lots of zeroes, All we get are superheroes“, rappte Jack Black in einem Seitenhieb auf das Action-Subgenre bei der Oscar-Verleihung. Und Iñárritu bezeichnete Comicbuchverfilmungen als kulturellen Genozid.
Superhelden sind also Schuld am Verfall der Filmkultur? Es gibt definitiv schlechte Superheldenfilme und auf die eine oder andere Reihe könnte man sicherlich verzichten. Doch diese Kritik ist nicht durch die Bank berechtigt. Marvel etwa ist ein denkbar schlechtes Beispiel dafür und scheint dennoch im Moment viel davon abzubekommen. Es stimmt, dass das Studio weit im Voraus plant. Ihr Drei-Phasen-Filmuniversum sieht Produktionen bis 2019 vor. Die Filme der einzelnen Superhelden wie Iron Man, Captain America, Thor und anderen werden dabei – wie derzeit in Avengers 2: Age of Ultron – immer wieder zusammengeführt.

Doch die Tatsache, dass es sich dabei um eine lange Reihe von Filmen handelt, reicht nicht, um sie als Sargnagel des Kinos abzustempeln. Marvel-Filme haben hervorragende Schauspieler, visionäre Filmemacher, großartige Actionsequenzen, geistreiche Dialoge und sind bevölkert von vielschichtigen Figuren. Sie machen ihre Superhelden verletzlich und glaubwürdig. Und vor allem beleidigen sie die Intelligenz ihrer Zuschauer nicht. Die Filme haben einen soliden gesellschaftspolitischen Unterbau (was Comics im Übrigen auch schon immer hatten). Sie behandeln Fragen wie die, ob wir zur Gewährleistung unserer Sicherheit Einschränkungen unserer bürgerlichen Freiheiten hinzunehmen sollten – ein motivischer roter Faden des Marvel Cinematic Universe (MCU). In Avengers: Age of Ultron erschafft ein traumatisierter Tony Stark (Iron Man) das, was dieses Problem in Reinform verkörpert. Er tut es in dem fehlgeleiteten Versuch, dem nächsten Angriff durch eine unbekannte Macht zuvorzukommen. Doch, wie Steve Rogers (Captain America) ihm so treffend erwidert: „Jedes Mal, wenn jemand versucht einen Krieg zu gewinnen, bevor dieser begonnen hat, sterben unschuldige Menschen.“

Marvel-Filme sind die einzigen des Actiongenres, die sich mit der Verwüstung befassen, die ihre dramaturgischen Höhepunkte hinterlassen.

Die Ereignisse in Daredevil etwa, einer hervorragenden Marvel-Netflix-Serie, sind teils das Ergebnis der Verwüstung, die durch die Endschlacht im ersten Avengers-Film entstand. Und auch Avengers 2 nimmt sich dieses Aspekts deutlich an. Bitte nicht missverstehen: Diese Filme sind weder hochphilosophisch, noch hochpolitisch – sie sind Unterhaltung. Doch anstatt hirnlose Zerstörungsspektakel zu sein, fordern sie ihre Zuschauer auf vielerlei Weise heraus. Die Ansage, über 20 Filme in gut zehn Jahren herauszubringen, deren Geschichten häufig miteinander verbunden sind, ist auch ein unglaublich ambitioniertes Unterfangen. Es kann nur gelingen, wenn man kontinuierlich hohe Qualität abliefert. Zugegeben, auch die Marvel-Reihe hat ihre Tiefen. Aber auch schwächere Marvel-Filme sind mit ihrem Wortwitz und dem stetigen Unterwandern von Actionklischees immer noch um Meilen besser als jedes Michael-Bay-Machwerk.

DC versucht derzeit mit einem ähnlichen Projekt einzusteigen. Deren Saga knüpft an die Batman-Trilogie von Christopher Nolan an. Filme, die genau wie Marvel als Gegenbeispiel für die Kritik am Superheldengenre herhalten könnten. Nolan-Filme sind laut Kermode Arthouse-Geschichten, die so tun, als seien sie Blockbuster und ein Paradebeispiel dafür, dass Unterhaltungsfilme ihre Zuschauer nicht zwangsläufig geistig unterfordern müssen. Marvel ist da nicht allein. Doch leider wurden der DC-Nachfolger Man of Steel und wird das demnächst anstehende Batman vs. Superman, Dawn of Justice von Oberfläche-über-Substanz-Regisseur Zac Snyder gedreht. Und der reicht nicht mal annähernd an Nolans Niveau heran. Es könnte also sein, dass das DC-Universum zu einem Beleg für Hollywoods filmkulturbedrohende ‚Franchisilitis‘ wird. Doch auch dann wäre das immer noch kein spezielles Problem des Superheldengenres. Denn die Angst neues zu wagen, anstatt ewige Prequel und Sequel zu produzieren, zeigt sich genreübergreifend. Und nicht alles, was nach Franchise aussieht und Superhelden beinhaltet, führt automatisch den Untergang des Kinos herbei. Gerade Marvel hat diesen Vorwurf absolut nicht verdient. Im Gegenteil. Das Studio legt die Latte für das Actiongenre sehr hoch. Andere werden sich daran messen lassen müssen. Auch gutes Unterhaltungskino zu machen, ist nicht einfach, und das sollte anerkannt werden, egal wie der Kritiktrend gerade aussieht.

Über Katja Dallmann

Katja Dallmann hat ein Übersetzer-Diplom und einen Bachelor in Publizistik- und Kommunikationswissenschaft abgeschlossen. Sie ist freie Übersetzerin und Autorin, hat als Onlineredakteurin gearbeitet und verschiedentlich in Print und Online publiziert. Katja ist leidenschaftlicher Serienfan und bloggt sonst unter Serielle Schnittstelle.