Die Daten von 87 Millionen Facebook-Nutzer*innen sind durch das „Leck“ getropft oder gelaufen oder – was eigentlich? Es ist schon bemerkenswert, kaum reden wir über „das Internet“, meinen wir eigentlich nur das World Wide Web und verwenden vor allem Metaphern aus dem aquatischen Bereich: Wir surfen im Internet, es gibt einen Datenstrom oder gar ein Datenmeer und nun schlägt besagtes Datenleck, einer der bekanntesten Datenkraken, hohe Wellen. Aber diese Sprachbilder führen in die Irre – und in eine bedenkliche Richtung.
Zunächst einmal handelt es sich bei dem, was bei Facebook passiert ist, nicht um ein Leck. Ein Leck ist eine „undichte Stelle, die Wasser eindringen bzw. eine Flüssigkeit auslaufen lässt“, erklärt der Duden. Aber erstens ist die Stelle, durch die Cambridge Analytica die Daten erhalten hat, nicht undicht, vielmehr wurde das System, mit dem Facebook Geld verdient, ausgenutzt. Es ist keine Neuigkeit, dass Facebook und andere Social-Media-Unternehmen oder auch Google davon leben, dass sie Informationen über ihre Anwender verkaufen. Was viele aber nicht wussten, aber wenigstens jeder WhatsApp-Nutzer wissen sollte, ist, dass auch Informationen über Freunde und Kontakte preisgegeben werden.
Zweitens fließen die Daten auch nicht aus Facebook heraus. Sie werden gezielt abgegriffen. Und auch hier gilt: das ist das Geschäftsmodell. Nicht nur in der digitalen Welt, auch von sehr vielen Kundenkarten wie Payback. Denn so abstrakt es manchen vorkommen mag: Daten sind wertvoll, gerne wird auch davon gesprochen, dass sie das „Erdöl der Zukunft“ seien – und deshalb ist es wichtig, wie mit ihnen umgegangen wird. Denn auch bei dem Erdölboom war es ja so, dass einige profitierten und viele die Folgen zu tragen haben.
Doch indem mit Sprachbildern wie „Datenleck“ gearbeitet wird, wird das Geschäftsgebaren verharmlost. Es zeigt, wie hilflos wir immer noch vielen Vorgängen im Internet gegenüberstehen. Denn die Daten der Facebook-Nutzer*innen wurden verkauft, gespeichert und beispielsweise im Wahlkampf von Donald Trump eingesetzt. Dazu passt das Bild einer undichten Stelle nicht mehr.
Aber das „Datenleck“ fügt sich so schön zu der „Datenkrake“. Eigentlich ist eine Krake ein Kopffüßer oder ein sagenhaftes Meeresungeheuer mit acht Fangarmen mit Saugnäpfen, aber mittlerweile wurde dieses Bild durch die Diskussionen um den Datenschutz allen antisemitischen Tendenzen zum Trotz zu einem negativ konnotierten Begriff für Unternehmen wie Google und auch Facebook. Aber letztlich sagt auch dieses Wort nichts darüber aus, was die sogenannten Datenkraken mit unseren Daten dann eigentlich machen. Außerdem bewegen sie sich nicht einfach durch das Datenmeer und dabei bleibt dann hier oder dort mal etwas an den Fangarmen oder Saugnäpfen hängen, sondern die Daten werden systematisch und gezielt abgegriffen. Sie werden auch nicht geklaut, schließlich hat der Benutzer dieser Dienste eingewilligt, sie zur Verfügung zu stellen.
Deshalb sind diese aquatischen Begriffe letztlich symptomatisch für eine Situation, in der sich das gesamte tiefe Misstrauen gegen die Computertechnik in hilflosen Metaphern spiegelt und in Rufen nach Kontrolle entlädt. Indem man diese Vorgänge im Internet entweder verharmlost oder zu dämonisieren versucht, verschleiert man die Hintergründe. Stattdessen darf man das Problem nicht kleinreden, dass Unternehmen mit Daten, die ihm aus freien Stücken überlassen werden, Geld verdienen.
Nichts Neues eigentlich und dennoch blenden viele von uns es aus, sodass auch ich es an dieser Stelle nochmal niederschreiben muss: Macht Euch bewusst, welche Risiken mit der Benutzung eurer Daten verbunden sind. Es reicht nicht, sein Facebook-Konto zu löschen. Vielmehr ist angezeigt – sowohl on- als auch offline – darauf zu achten, wie man ganz grundsätzlich mit seinen Daten umgeht und sich zu informieren, welche erhoben, verarbeitet und weitergegeben werden. Denn auch mit gesetzlichen Regelungen, nach denen nun allenthalben gerufen wird, begegnet man zunächst den bestehenden Problemen – und hier könnte die Datenschutzverordnung, die ab Ende Mai europaweit den Umgang mit Daten regelt ein erster Schritt sein. Aber der technologische Fortschritt und das erkennbare Bedürfnis der Menschen nach Vernetzung lassen sich nicht aufhalten. Und wir, die Nutzer*innen, können die Entwicklung beeinflussen: indem wir verantwortungsbewusst mit unseren Daten umgehen. Und wer weiß, vielleicht wird Social Media noch einmal neu erfunden. Mit Benutzermodellen, in denen die Nutzer*innen die Kontrolle über ihre Daten erhalten.