Studie: „Die Unsichtbaren“ – Flüchtlinge und Migranten kommen in den Medien kaum zu Wort

Wenn in den großen deutschen Leitmedien über Migration gesprochen wird, kommen Geflüchtete und Menschen mit Migrationshintergrund selten bis kaum zu Wort. Dies geht aus einer neuen Untersuchung des Medienforschers Thomas Hestermann im Auftrag des Mediendienstes Integration hervor. Am 08. Juli wurden erste Ergebnisse bei einer Online-Pressekonferenz vorgestellt und diskutiert.

Im Fokus der Untersuchung stand die Frage, wie Leitmedien in Deutschland über eingewanderte und geflüchtete Menschen berichten und welches Bild hinsichtlich der Chancen und Risiken von Integration gezeichnet wird. Hierfür wurden Hauptnachrichten und Boulevardmagazine der acht reichweitenstärksten bundesweiten Fernsehsender sowie der fünf auflagenstärksten Tageszeitungen analysiert.

 

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Einwanderung als mediales „Angstthema“

Eine der wichtigsten Erkenntnisse: Einwanderung ist in den untersuchten Leitmedien vor allem ein Angstthema. Über Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten wird insbesondere dann berichtet, wenn ihnen eine Gewalttat angeheftet wird. Hingegen wird kaum über Vorfälle berichtet, in denen Eingewanderte selbst zum Opfer werden. Doch nicht nur in der Gewalt-Berichterstattung zeigt sich ein einseitiges Bild, auch in der Alltagsberichterstattung werden vor allem Risiken der Migration hervorgehoben. Dabei geht es insbesondere um Rechtsverstöße, Kosten und die Angst vor Überfremdung. Zwischen den einzelnen Medien zeigen sich jedoch Unterschiede. Während die BILD vor allem Risiken der Einwanderung fokussiert, betont die WELT vergleichsweise häufig Chancen und positive Aspekte.

 

Medial unsichtbar

Beim Thema Einwanderung werden die Stimmen von Migrantinnen und Migranten medial scheinbar ignoriert. In nur jedem achten Beitrag und damit in nur 12,3 Prozent der untersuchten Beiträge kommen Eingewanderte und Geflüchtete zu Wort, wobei sie meist nur als Randfiguren und mit einer kurzen Stellungnahme abgebildet werden. Der Studientitel Die Unsichtbaren könnte also passender nicht sein. Doch wer bestimmt den medialen Diskurs, wenn es um die Themen Migration und Integration geht? Die Studie zeigt: Es sind vor allem politische Parteien, dicht gefolgt von Polizei und Justiz, die das Thema medial erläutern und diskutieren. Nichtregierungsorganisationen und Stiftungen kommen nur selten zu Wort. Pro Asyl wird gerade mal in 1,2 Prozent der Beiträge zitiert.

 

Deutsche Medien unter Druck

Die Studienergebnisse zeichnen ein ernüchterndes, aber vor allem verzerrtes Bild. Entsprechend stand auch im Rahmen der Pressekonferenz die Frage im Raum: Worauf ist das negativ konnotierte Migrationsbild in den Medien zurückzuführen? Thomas Hestermann, Leiter der Studie, verweist auf die Vorfälle der Silvesternacht 2015 und das darauffolgende Medienecho. Deutsche Medien sähen sich seit diesem Ereignis immer wieder mit den Vorwürfen konfrontiert, Integration zu beschönigen bzw. zu verharmlosen, so Hestermann. Der Professor für Journalismus vermutet, dass in Folge dessen vor allem die Risiken der Integration beleuchtet werden. Gleichzeitig plädiert er für ein bunteres Medienbild – über Risiken und Positivbeispiele müsse gleichermaßen berichtet werden.

 

Redaktionen müssen diverser werden

Für die Diskussion der Studienergebnisse waren neben Thomas Hestermann auch die stellvertretende ZDF-Chefredakteurin Bettina Schausten sowie der deutsch-arabische Journalist Jaafar Abdul-Karim online zugeschaltet. Einhellig wurde die Wichtigkeit hervorgehoben, Redaktionen diverser zu besetzen. So argumentierte Abdul-Karim, dass dies eine Grundvoraussetzung für eine diverse und vielfältigere Berichterstattung sei. Gleichzeitig forderte der Journalist, der seit Kurzem Teil der Chefredaktion der Deutschen Welle ist, dass Menschen mit Migrationshintergrund nicht nur ausschließlich zu Migration, sondern auch themenübergreifend als Expertinnen und Experten berücksichtigt werden.

Die Studie wurde unterstützt durch die Hochschule Macromedia, die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen sowie den Mediendienst Integration. Im Jahr 2021 ist eine Weiterführung der Studie geplant, wieder mit Unterstützung der FSF.

 

Quellen: 

 

Über Lena Wandner

Lena Wandner studierte Kommunikationswissenschaft und Romanistik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und Kinder- und Jugendmedien an der Universität Erfurt. Ihr Interesse gilt insbesondere der Medienwirkungsforschung und dem Jugendmedienschutz, weswegen sie sich auch für ein Praktikum bei der FSF entschied, zeitweise als freie Blogautorin arbeitete und in 2020 als Social-Media- und Bogredakteurin für die FSF tätig war.