Vom Gangsta-Rap und dem ewigen Totschweigen

Ich besuchte die sechste Klasse an einem Gymnasium in Niedersachsen. Musik war für mich und meine  Mitschüler ein wichtiges Thema. Wer hörte was? Wer war auf Platz 1 der Charts und über welche Sänger berichtete die aktuelle Bravo. Neben Tokio Hotel, US5 und LaFee waren auch Rapper wie Bushido und Kollegah beliebt. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ein paar Mitschüler die Songs von Bushido und Co. in der Pause laut auf dem Handy abspielten.
Frauen wurden in diesen Songs „Fotzen“ genannt und Bushido drohte – wem auch immer – mit Gewalt. Diese Songs hatten durchaus eine ängstigende Wirkung auf mich. Aber ich habe die Textinhalte nie weiter hinterfragt – vermutlich weil ich noch zu jung war, den Inhalt der Lieder genauer zu verstehen und bestimmte Zusammenhänge herzustellen.

Dass viele den ‚Gangsta-Rap‘ sowohl damals als auch heute kritisch betrachten, ist bekannt. Und trotzdem: Rapper wie Bushido, Farid Bang oder Kollegah waren 2006 und sind auch heute noch erfolgreich. Das beweisen die Verkaufszahlen ihrer Alben und die Klicks ihrer Musikvideos auf YouTube.
Der Echo-Skandal 2018 um Farid Bang und Kollegah führte zu einer öffentlichen Debatte, die wochenlang die Medien beherrschte. Die beiden erhielten im April einen Echo für das Album Jung, brutal, gutaussehend 3, welches Passagen wie „Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen“ oder „Mache wieder mal ‘nen Holocaust, komm‘ an mit dem Molotow“ beinhaltet.
Campino von den Toten Hosen war entrüstet, er hielt bei der Verleihung des Echo eine Rede mit zitternden Händen. Für ihn sei eine moralische Grenze überschritten, wenn Liedtexte homophobe, rechtsextreme, antisemitische Beleidigungen und Diskriminierung jeder anderen Religion enthalten würden. Viele lobten Campino im Nachhinein für seinen Mut, dass er seine Meinung öffentlich kundgetan hat. Zahlreiche Prominente gaben daraufhin ihren Echo zurück.

 

Gangsta-Rap und Jugendschutz

Mit dem Echo-Skandal kamen Fragen auf. Wie weit darf Kunstfreiheit eigentlich gehen? Aber auch das Thema Jugendschutz rückte stärker in den Fokus.
Wie und hinsichtlich welcher Kriterien werden Lieder und dazugehörige Musikvideos mit Blick auf den Jugendschutz geprüft? Wie kann man Jugendliche für den Umgang mit derart problematischen Textinhalten sensibilisieren?

Die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen hat als Einrichtung des Jugendmedienschutzes unter anderem die Aufgabe, die von den Anbietern eingereichten Musikvideos hinsichtlich bestimmter Wirkungskriterien zu prüfen und damit die Sendezeitschiene und die Altersfreigabe für die Ausstrahlung im Fernsehen zu bestimmen. Aber was genau ist aus Sicht des Jugendschutzes bedenklich am Gangsta-Rap? Christina Heinen ist hauptamtliche Prüferin der FSF und prüft neben Filmen, Serien und Werbeclips auch Musikvideos. Im Gespräch mit ihr erhalte ich Antworten.

Die Kriterien für die Prüfung von Musikvideos seien letztlich die gleichen wie bei Spielfilmen und Serien. Sie setzen sich aus den drei Wirkungsrisiken zusammen: Gewaltbefürwortung bzw. -förderung, übermäßige Angsterzeugung und sozialethische Desorientierung. Sozialethische Desorientierung beziehe sich dabei auf Verstöße gegen einen Wertekonsens, auf den sich die Gesellschaft verständigt hat und der im Grundgesetz verankert ist. Bei den geprüften Rap-Videos werde dieser aber teilweise schon verletzt, da extreme Frauenfeindlichkeit sowie Gewaltbefürwortung und die Verherrlichung von Drogenkonsum und -handel durchaus zum Standardrepertoire gehören würden.
Dabei seien die in den Songs behandelten, aus Sicht des Jugendschutzes problematischen Inhalte wie Frauenfeindlichkeit oder Gewaltbefürwortung längst keine neuen ‚Phänomene‘, sondern schon länger präsent im Bereich Gangsta-Rap – und so auch Anknüpfungspunkte für die zu bestimmende Altersfreigabe in den Prüfungen.

 

„Man sollte mit Kindern und Jugendlichen reden, denn es ist nicht immer selbsterklärend, warum Erwachsene bestimmte Songtexte ablehnen.“

 

Als Christina Heinen die Schule besuchte, war das Lied Jeanny von Falco gerade in aller Munde. Thematisiert worden sei Jeanny von den Lehrern in der Schule allerdings nie – und das, obwohl das Lied ein heikles Thema verhandelt: die Vergewaltigung eines Mädchens. Diverse Rundfunkstationen weigerten sich, den Song zu spielen. Über das Musikstück wird bis heute öffentlich diskutiert. Dies macht ebenso deutlich, dass für die Gesellschaft als ‚problematisch‘ empfundene Textpassagen auch in anderen Musikrichtungen zu finden sind und teilweise in einer öffentlichen Debatte diskutiert werden.

 

 

Heute sehe ich die frauenverachtenden, homophoben Textpassagen wie auch die antisemitischen Lyrics aus dem Album Jung, brutal, gutaussehend 3 kritisch. Wenn ich an meine Schulzeit zurückdenke, dann hätte ich mir durchaus gewünscht, dass Lehrer mit uns Schülern über derartige Textinhalte offen gesprochen hätten und uns genauer erklärt hätten, warum welche Inhalte kritisch gesehen werden – ohne, dass wir uns für irgendetwas hätten rechtfertigen müssen.

 

 „Erwachsene sollen nichts vorgeben, aber wenigstens Stellung beziehen, dann können sich die Jugendlichen selbst Gedanken machen, wie sie dazu stehen. Jugendliche brauchen etwas, woran sie sich reiben können.“

 

Rückblickend auf ihre Schulzeit hätte Christina sich auch gewünscht, dass die Lehrer mit den Schülern über die Textinhalte von Jeanny gesprochen hätten. Wichtig ist es ihrer Meinung nach, dass Erwachsene den Dialog mit den Jugendlichen suchen und darlegen, warum sie ein Lied oder bestimmte Textzeilen kritisch sehen. Dabei sollten die Jugendlichen allerdings nicht für ihren Musikgeschmack verurteilt werden. Auch Verbote helfen nicht weiter. Eine Möglichkeit, solche Gespräche aufzubauen, könnte zum Beispiel die Integration von Erörterungen der Lieblingsmusik der Schüler in den Schulfächern Musik oder Deutsch sein.

 

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold? – Denkste, Fehlanzeige!

Im Nachhinein hat uns die Debatte um den Echo-Skandal gezeigt, dass es manchmal helfen kann, Dinge nicht totzuschweigen. Auch wenn es weiterhin frauenfeindliche, homophobe und gewaltbefürwortende Textinhalte im Gangsta-Rap geben wird.
Dennoch war diese Auseinandersetzung ein Anstoß für unsere Gesellschaft, mutiger zu sein, Probleme anzusprechen und seine Meinung zu äußern. Wünschenswert wäre, dass sich Eltern oder auch Lehrer gestärkt darin fühlen, offen mit Kindern oder Jugendlichen über derartige Textpassagen zu sprechen – und damit zu erreichen, dass Kinder und Jugendliche für den Umgang mit diesen problematischen Aussagen sensibilisiert werden.

Die Diskussion um die Echoverleihung ist letztlich auch in einer anderen Hinsicht nicht folgenlos geblieben – dieser Musikpreis wurde 2018 vorerst zum letzten Mal verliehen.

 

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Tipps zum Thema in tv diskurs – Verantwortung in audiovisuellen Medien:

 

Über Jule tom Dieck

Jule studiert Politik-und Kommunikationswissenschaft an der Universität Greifswald. Vor ihrem Studium absolvierte sie ein Freiwilliges Soziales Jahr in Frankreich und neben ihrem Studium hilft sie bei einer Kindertagesbetreuung aus. Während ihres Praktikums bei der FSF sammelte sie einige neue Erfahrungen im medienpädagogischen Bereich – sowohl für ihr Studium als auch für ihre berufliche Zukunft.