Welchen Einfluss haben Darstellungen von Drogenkonsum auf Kinder und Jugendliche?

Was sagen Praktiker im Jugendschutz zur Darstellung von Drogenkonsum im Fernsehen?
Vier Fragen, acht Antworten.

Christina Heinen, Hauptamtliche Vorsitzende in den Prüfausschüssen der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF), hat dazu einige ihrer Kollegen bei der FSF befragt, die in ihrem Berufsleben mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben. Michael Conrad, Jugendschutzsachverständiger bei der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK), Medienpädagoge und Geschäftsführer des Kulturrings der Jugend im Jugendinformationszentrum (JIZ) Hamburg, und Andreas von Hören, Medienpädagoge und Geschäftsführer des Medienprojekts Wuppertal e. V. nehmen im Interview Stellung zu den Fragen.

In welchem Alter bilden sich Einstellungen den Konsum illegaler Drogen betreffend heraus? Gibt es ihrer Ansicht nach diesbezüglich eine besonders sensible Phase?

Conrad: Die sensible Phase beginnt ab 12 Jahren. Die soziale Herkunft scheint dabei nur ein Indikator von vielen zu sein. Der Freundeskreis, die soziale Umwelt ist zumeist entscheidend. Nicht Medien, sondern Peer Groups und ältere Jugendliche und Erwachsene, die Drogen und Alkohol konsumieren, können Vorbildcharakter entwickeln.

Von Hören: Das Problem der Nutzung illegaler Drogen tritt erst ab der Pubertät auf. Das größte Problem hier ist das Kiffen, das man fast als Jugendkulturelement oder Mode bezeichnen kann. Alkohol, welcher in diesem Alter auch noch verboten ist, ist das zweite große Problem. Kinder und Jugendliche orientieren sich nach oben, das heißt sie interessieren sich und lernen von den Älteren. Alles was verboten ist hat noch dazu einen besonderen Reiz auf sie. Und Sucht wird gelernt. Schon bei älteren Kindern in der Vorpubertät muss also geschaut werden, ob diese Drogen positiv und nachahmenswert im Zusammenhang des Formates dargestellt werden, besonders der Erwerb und der Konsum sind hierbei wichtig. Je jünger die Drogenkonsumenten sind, je risikoreicher ist für sie der Drogenkonsum in seinen Auswirkungen für sie selbst. D.h. es ist wichtig, dass die – möglicherweise – negativen Auswirkungen des Konsums dargestellt oder zumindest problematisiert werden.

Welchen Einfluss haben Darstellungen von Drogenkonsum in Fiction-Fernsehformaten auf entsprechende Einstellungen bei Kindern und Jugendlichen?

Von Hören: Die Wirkungen können sein:

  • Innere Legitimation des eigenen Drogenkonsums durch die TV-Vorbilder,
  •  Jugendliche denken, der Drogenkonsum wäre Standard in ihrer Subsubkultur,
  • Jugendliche probieren diese Drogen aus, um Teil dieser Subkultur zu sein,
  • Jugendliche erkennen, das Drogenkonsum sozial Anerkennung schafft,
  • Illegalität schafft den Anreiz des Verbotenen, da die Problematik der Illegalität für den Nutzer nicht dargestellt wird.

Conrad: Medieninhalte sind mehrschichtig zu bewerten. Sie können Drogenkonsum möglicherweise bestätigen, nicht aber befördern. Ohne Zweifel können die Gefahren in Serien und Filmen natürlich trivialisiert und banalisiert werden und somit fahrlässig verharmlosende Wirkungen entfalten. Der Einfluss wurde aber bis in die achtziger Jahre überschätzt. Das zeigen damalige FSK- Freigaben, wie auch Entscheidungen der Bundesprüfstelle. Ich habe den Verdacht dass bei den Kinofreigaben der siebziger Jahre das Antibürgerliche dieser Produktionen genauso stark bewertet wurde wie der Umgang mit Drogen. Heute wird realistischer und den gesellschaftlichen Entwicklungen entsprechend differenzierter eingeschätzt und bewertet. Grundsätzlich gilt: jede Darstellung von Drogenkonsum und ihr möglicher Einfluss in Fiction-TV-Formaten  ist im Einzelfall genau zu prüfen und zu bewerten.

Vor allem das Kiffen ist in Soaps und in Comedyserien in den letzten Jahren immer selbstverständlicher geworden. Hat diese beiläufige Darstellung von Drogenkonsum Auswirkungen auf entsprechende Einstellungen und Verhaltensweisen?

Von Hören:  Die Wirkungen der Drogen d.h. deren Wirkungsrisiken sind altersmäßig unterschiedlich, das wird aber in den TV-Formaten nicht thematisiert oder problematisiert. Eine Darstellung des Kiffens oder Trinkens als Normalität für junge Menschen entspricht zwar für einen ganzen Teil dieser Altersgruppe (und im Alter zunehmend) der Realität, besonders der „Gefährdungsgeneigten“, sie wird aber durch die nicht-problematisierende Darstellung im Fernsehen unterstützt. Übertragungswirkungen als Modell haben wahrscheinlich die DarstellerInnen, welche die Jugendlichen als Vorbilder bzw. als Identifikationsfiguren nutzen. Je cooler die mit ihrem Drogenkonsum als Teil ihrer coolen Persönlichkeit rumkommen, je stärker wird die Wirkung auf die Kinder und Jugendlichen sein.

Conrad: Die Mehrzahl der Serien und Filme dieser Genres bietet Figuren, die durch die Einnahme von Drogen charakterisiert werden sollen. Zumeist nach dem Motto: Drogen machen gute Laune, befördern vermeintlich witzige Situationen. Zumeist handelt es sich bei diesen Charakteren um Sidekicks  die die schrägen, teilweise auch lustigen oder freakigen Kiffertypen darstellen. Diese zumeist männlichen Protagonisten stehen aber bei der Entscheidung wer nun das Mädel für das Happy End  bekommt, ganz hinten an. Die Wirkungsmacht dieser Figuren ist also begrenzt, sie sind nicht die Identifikationsfiguren, sondern zumeist für ulkig/witzig gemeinte Situationen zuständig. Das Stück „Realitäten“ ist in Soaps und dieser Form von Comedy zumeist sehr klein. Trotzdem gilt es natürlich diese Protagonisten zu hinterfragen und im Einzelfall zu bewerten.

Problematischer als Comedy und Soaps sind jedoch Videoclips, insbesondere aus dem Bereich Hip Hop, in denen Drogen, Sex und Gewalt verschmelzen und gefeiert werden.

Was sind ihrer Ansicht nach sinnvolle Gesichtspunkte für die Bewertung von Darstellungen von Drogenkonsum unter Jugendschutzaspekten?

Conrad: Folgende Aspekte sollten vornehmlich diskutiert und bewertet werden:In welchem Kontext, in welchem gesellschaftlichen und sozialen Umfeld agieren die Figuren? Werden für diese Protagonisten dramaturgische Mechanismen entwickelt, die zu einer Identifikation führen sollen und damit Wirkungsmacht entfalten können? Wie glaubwürdig, wie realistisch und alltagsnah sind sie? Wie verantwortungsvoll gehen die Produzenten, Autoren etc. mit dem Thema um. Wird Drogenkonsum bewusst verharmlost oder sogar propagiert. Zum Beispiel von der Tabak- oder Alkoholindustrie protegiert.

Von Hören: Kiffen und Alkoholkonsum vor allem von möglichen Identifikationsfiguren sollte in der Altersgruppe bis 16 Jahren nie ohne Problematisierung des Konsums dargestellt werden. Die Gefahr steigt in dem Maße, wie nah die TV-Vorbilder in Bezug auf Alter und Lebenssituation der jungen ZuschauerInnen sind.                                                                                                      

In der aktuellen tv diskurs nimmt außerdem Ursula Arbeiter, Fachreferentin für Medienpädagogik und Jugendmedienschutz bei der badenwürttembergischen Landesarbeitsstelle der Aktion Jugendschutz, zu den Fragen Stellung. Zum Beitrag geht es hier.

Über tv diskurs

Die Fachzeitschrift tv diskurs – Verantwortung in audiovisuelle Medien informiert wissenschaftlich, pointiert und verständlich über aktuelle Entwicklungen im Bereich des Jugendschutzes, der Medienforschung und der Medienpädagogik. Sie erscheint viermal im Jahr und bietet ein Forum für unterschiedliche Positionen. Es werden nicht nur aktuelle Entwicklungen im Medien- und Jugendschutzbereich aufgegriffen, sondern auch grundlegende, philosophische Fragestellungen diskutiert.