Der Diskurs ist das Ziel

Auf der Feier ihres 25. Geburtstags präsentierte sich die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) gut vernetzt und gut gelaunt

Joachim Moczall (Vorstandvorsitzender FSF und Jugendschutzbeauftragter RTL) begrüßt die Gäste des medien impuls "fern. sehen. Zukunftsvisionen" © FSF/shDer Vorstandsvorsitzende Joachim Moczall erinnerte daran, dass die FSF im Gründungsjahr 1994 von der damaligen Bundesministerin für Frauen und Jugend, Dr. Angela Merkel, als „Feigenblatt“ gesehen wurde. Inzwischen hat der Verein 37 Mitgliedssender und sein Ziel nicht aus den Augen verloren: Nach wie vor geht es bei den Programmprüfungen darum, einheitliche Bewertungsmaßstäbe zu finden, um Kinder und Jugendliche vor entwicklungsbeeinträchtigenden Fernsehinhalten zu schützen.

Das funktioniert gut – nach einhelliger Einschätzung der Gäste, die anlässlich der Feier zur Fachtagung fern. sehen. Zukunftsvisionen geladenen waren, unter ihnen war auch der KJM-Vorsitzende Dr. Wolfgang Kreißig, der es als Chef der Kontrollinstanz wissen muss. Allerdings verliert das klassische, lineare Fernsehprogramm für Kinder und Jugendliche an Bedeutung. Und hier liegt ein zentrales Problem. Der Jugendmedienschutz hat mit der Medienkonvergenz der letzten Jahre nicht Schritt gehalten und wirkt nicht nur auf Außenstehende etwas anachronistisch und kompliziert organisiert. Doch das ändere sich bald, versprach die aktuelle Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Dr. Franziska Giffey und kündigte einen ersten Gesetzentwurf für ein neues Jugendschutzgesetz noch in diesem Jahr an.

Dr. Franziska Giffey (Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) auf dem medien impuls /Jubiläum 25 Jahre FSF "fern. sehen. Zukunftsvisionen" © FSF/sh

Ist konvergenter Jugendmedienschutz am Ende der Legislaturperiode Realität?

Auf die Frage „Ist konvergenter Jugendmedienschutz am Ende der Legislaturperiode Realität?“, antwortete auch Heike Raab (Staatssekretärin, Bevollmächtigte des Landes Rheinland-Pfalz beim Bund und in Europa, für Medien und Digitales) mit einem schlichten „Ja“.
Es tut sich also Einiges in Sachen Medienpolitik. Das ist wichtig, denn nicht nur das Nutzungsverhalten, auch die Anbieter, der Markt und der Wettbewerb haben sich entscheidend verändert, wie Annette Kümmel (Senior Vice President Governmental Relations & Regulatory Affairs bei ProSiebenSat.1 Media SE) darlegte. Sie teilte die Ansicht von Prof. Egbert van Wyngaarden (Macromedia Hochschule München), dass es für Medienanbieter zukünftig mehr um Nutzerbeteiligung, das Einbinden von nutzergenerierten Inhalten und das Schaffen von Ereignissen gehe. Anders als er, sieht Kümmel „TV-Entertainment“ aber auch in der Zukunft als Leitmedium. Sie stellte als Zukunftsvision einen „Jugendschutz-Hub“ vor, wo nationale und internationale Angebote unabhängig vom Vertriebsweg nach einheitlichen Kriterien erfasst und bewertet werden.
Allein aufgrund der Masse und der Herausforderung durch nutzergenerierte Inhalte werden algorithmenbasierte Verfahren dabei an Bedeutung gewinnen. Erste Schritte zur sinnvollen Verzahnung von Gremienarbeit und Selbstklassifizierungselementen sind bereits gegangen worden.

Tobias D. Krafft (Universität Kaiserslautern) befasst sich als Informatiker mit algorithmischen Entscheidungssystemen. Er bewertete die automatisierte Auswertung des Nutzerverhaltens durchaus kritisch und stellte die Problematik für Kinder an einem YouTube Beispiel vor. Als Konsequenz forderte Krafft einen Verzicht von „A/B-Testing“ und des Einsatzes „aufmerksamkeitsheischender Maßnahmen“ für kindliche Nutzer, die ansonsten bereits durch das Fehlen wertvoller Entwicklungszeit gefährdet seien.

Talkrunde beim medien impuls (v.l.n.r.): Dr. Stephan Dreyer, Dr. Wolfgang Kreißig, Dr. Anja Bundschuh (Moderation der Talkrunde), Heike Raab, Annette Kümmel © FSF/sh

In allen Beiträgen wurde deutlich, dass sich der Jugendschutz national und international neu aufstellen muss, um den aktuellen Anforderungen gerecht zu werden. Doch es stand nicht in Frage, dass er gebraucht wird. Familien und Lehrer, Aufsichtsbehörden und Anbieter sind mit den Entscheidungen der FSF zwar nicht immer einverstanden, und in heiklen Fällen sind sich auch die Jugendschützer untereinander nicht einig. Doch der Diskurs ist das Ziel, und die FSF hat sich vorgenommen, zukünftig auch Kinder und Jugendliche daran zu beteiligen. In einem Filmbeitrag mit Interviews von Andreas von Hören (Medienprojekt Wuppertal) und Christiane Radeke (Autorin, FSF-Prüferin) wurde deutlich, dass der selbstreflexive Blick auf das eigene Medienverhalten in diesen Altersgruppen mehr Aufmerksamkeit verdient.

Die Geschäftsführerin der FSF, Claudia Mikat, erntete spontanen Applaus mit der Feststellung: „Den Erziehenden ist es völlig gleichgültig, ob eine Serie auf einem öffentlich-rechtlichen oder privaten Kanal läuft, welche der vier Selbstkontrollen in welcher Weise zu einem Ergebnis kommt und ob ein Alterskennzeichen ein Verwaltungsakt ist oder nicht. Am Ende werden wir daran gemessen werden, wie hilfreich und verlässlich unsere Hinweise sind, nicht mehr und nicht weniger.“

Die Zukunft der „regulierten Selbstregulierung“ wird auf KI und Gremienarbeit setzen. Nur so ist die Flut an Bildern zu bewältigen – und der Verantwortung für gesellschaftspolitische und ethische Fragen gerecht zu werden. Denn diese Fragen werden auch in Zukunft von Menschen beantwortet werden müssen. Nicht ein für allemal, sondern immer wieder neu ausgehandelt vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen. Insofern bleiben die Debatten auch in den nächsten Jahren schön konfliktträchtig und spannend – der Jugendmedienschutz lebt!

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Weiterführende Links:
Die Veranstaltung wurde von ALEX BERLIN im Livestream übertragen und steht im YouTube-Kanal der FSF in zwei Teilen zum Abruf bereit: Teil 1 + Teil 2.

Weitere Infos rund um die Tagung fern. sehen. Zukunftsvisionen finden sich auf unserer Website.

Über Susanne Bergmann

Susanne Bergmann ist Dozentin und Autorin, u.a. für den Kinderfunk von rbb und dlr. Seit 1995 Prüferin bei der FSF. Seit 2020 Ehrenamtliche Richterin am Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen.