The North Water – Serienstart
Erste Staffel des MagentaTV Exclusive startet am 14. Oktober 2021 bei MagentaTV
„Die Welt ist eben die Hölle, und die Menschen darin sind einerseits die gequälten Seelen und andererseits die Teufel darin.“
Arthur Schopenhauer
Nachdem die Einblendung dieser auch in der Originalversion vorhandenen deutschen Texttafel verschwunden ist, bleibt Dunkelheit, aus der das Keuchen und Stöhnen eines Geschlechtsaktes dringt – so quälend, als wäre die Zeugung lebensbedrohlich wie die Geburt. Geld klingelt und die Dunkelheit hebt sich zögernd und lässt Harpunier Henry Drax erscheinen. Gespielt von Colin Farrell, der im Jahre 1859 keuchend und schnaufend wie ein Raubtier auf der Jagd durch die düsteren Gassen der Hafenstadt Hull torkelt. Er ähnelt einem dreckigen, verwahrlosten Bud Spencer, verweilt für einen Moment glotzend vor einem Schlachterladen und man möchte sich nicht vorstellen, was er am liebsten mit den darin hängenden, gehäuteten Fleischteilen anstellen würde. „Rum“, ist das erste menschliche Wort, das nach drei Minuten Filmzeit fällt.
Patrick Sumner schifft sich als Arzt auf dem Walfangschiff Volunteer ein. Er wurde im Sepoy-Aufstand 1857 verletzt und traumatisiert. Die muslimischen und hinduistischen Soldaten weigerten sich, die mit Tierfett wasserdicht gemachten Patronenhülsen für die neuen Enfield-Gewehre vor dem Laden aufzubeißen und töteten in Delhi wahllos Europäer. In England gaben die Vergewaltigungen und der Missbrauch an europäischen Frauen Anlass zu wilder, größtenteils frei erfundener, misogyner Gewaltpornografie, die sich in Wort und Bild sehr gut verkaufen ließ. Die Sepoy konnten nicht wissen, dass Patrick als Ire den Engländern kaum mehr wert war als sie selbst. Er versucht, einen einheimischen Jungen zu beschützen, der ihn vor den Sepoy rettet, um kurz darauf zu erleben, wie er von einer englischen Kugel zerfetzt wird. Unehrenhaft entlassen und opiumsüchtig ist die Volunteer seine letzte Chance.
YouTube-Kanal MagentaTV: The North Water – ab 14.10. nur bei MagentaTV
„Wir Walfänger sind Flüchtlinge vor der Zivilisation“, begrüßt ihn Kapitän Brownlee. Doch die Schattenseiten der Zivilisation sind längst an Bord, denn jeder manipuliert jeden: Der Schiffseigner Baxter hat Brownlee bereits zu einem Versicherungsbetrug manipuliert, dem die Volunteer für 12.000 Gulden mit Mann und Maus zum Opfer fallen soll. Patrick manipuliert seinerseits den Apotheker, ihm einen Riesenvorrat Laudanum auszuhändigen. Erster Maat Cavendish manipuliert Patrick, an einer Schlägerei teilzunehmen, bei der dieser wie geplant zu Boden geht. Cavendish und Drax durchwühlen seine Besitztümer und finden einen Diamantring aus dem Sepoy-Aufstand. Die beiden beschließen, Patrick bei der nächsten Gelegenheit umzubringen. Dabei sind sie längst alle – ohne es zu wissen – todgeweiht, während ihr „Ship of Fools“ gen Norden segelt. Während sie noch fleißig Robben töten, Walen ins Herz stechen, den Schiffsjungen sodomisieren und im Wasserfass entsorgen und alle irgendwie Pläne haben, als könnten sie dem Tod entgehen.
Wir identifizieren uns mit dem Homer lesenden Patrick und philosophieren über die Reise der Menschheit und deren nahendes Ende. Unser eigenes „Ship of Fools“ gleitet über Todeszonen im Meer am abschmelzenden Eis entlang und die paar zahmen Robben und Wale, die wir treffen – immer mit dem Peekhaken ins Hirn – sind nur noch eine Reminiszenz. Schonungslose, grandiose Bilder quellen aus dem Bildschirm. Staubkörner tanzen im Strahl der Wintersonne. Newtonsche Ringe flimmern. Die Arbeit des Tötens, des Schlachtens, des Segelns, des Sterbens ist nur minimal mit möglichst natürlichem Licht beleuchtet. Segeln durch kristallklare Winterozeane. Landschaften wie Mondkrater wie durch Bilder von CDF, wie durch Holzschnitte von Hiroshige. Segeln, wie die Besatzung, allesamt dem sicheren Untergang entgegen. „Nichts mehr zu verlieren – endlich frei“, notiert Patrick in seinem Journal. Kaum emotionsführende Musik auf der Tonspur: nur Keuchen, Hecheln, Schreien, Schießen. O-Töne. Gesänge. Frauen, die Betrunkene abschleppen, singen Folksongs. Die Männer bei der Arbeit singen ohne Instrumente – nur mit ihren wilden Stimmen. Grölen den Shanty Nelsons Blood im Abspann. Nelsons Blood bedeutet Alkohol. Der Admiral fing sich nach siegreicher Schlacht bei Trafalgar die tödliche Kugel eines Scharfschützen ein, aber statt mit einer Kanonenkugel in seine Hängematte eingenäht außenbords zu gehen, wurde er zur Konservierung in ein Rumfass gestopft und erst Monate später in London prunkvoll beerdigt.
„Schlauheit bringt dich nirgendwo hin. Es sind die Dummen, die brillant Dummen, die die Welt erben werden“, prophezeit Patrick unserem real existierenden Kapitalismus. „Es ist das Geld“, analysiert Baxter messerscharf.
„Es tut, was es will – egal, was wir uns wünschen.“
Diese Abenteuerserie könnte mit ihren schlicht großartigen Bildern Lust auf mehr aus diesem Genre machen, in dem das Individuum regelmäßig an Grenzen stößt, an denen es fast zerbricht.
Vielleicht ist das Unausweichliche, auf das wir immer schneller zusegeln, ja auch nur eine letzte scheinbar unüberwindliche Grenze. Also, Leute, zerschmettert eure Gläser und schwankt mit mir an Deck des schlingernden Kahns, um gemeinsam und mit aller Kraft Nelsons Blood in Sturm und Dunkelheit zu brüllen:
Oh, we’d be alright if the wind was in our sails
Oh, we’d be alright if the wind was in our sails
Oh, we’d be alright if the wind was in our sails
And we’ll all hang on behind …
Die Serie basiert auf den gleichnamigen Roman von Ian McGuire, der 2016 für den Man Booker Prize nominiert war. MagentaTV zeigt heute, 14. Oktober 2021, erst einmal die ersten beiden Episoden, weitere vier folgen dann in der Ausstrahlung am 21. Oktober 2021. Auf Anfrage teilt uns die Telekom mit, dass die von der BBC ursprünglich fünfteilige Serie für die internationale Auswertung in sechs Teile geschnitten wurde. Weitere Informationen zur Miniserie gibt es u.a. bei MagentaTV.
FSF: freigegeben ab ..?
Patrick Sumner, ein unehrenhaft entlassener Regimentsarzt, heuert 1859 als Schiffsarzt bei einer Walfangexpedition an, um seiner Vergangenheit zu entkommen. Während des Schiffsaufenthaltes trifft er auf den mörderischen Psychopathen und Harpunier Henry Drax. Die Expedition mündet in einen Überlebenskampf.
Die historisch angelegte Serie gibt Einblicke in die fremde, weit entfernte Welt der Seefahrt und Walfänger im 19. Jahrhundert – sie richtet sich nicht an ein jüngeres Publikum. Die Bildsprache der Dramaserie ist dunkel gehalten, die Erzählweise zunächst ruhig und dialogorientiert umgesetzt. Die Darstellung der Hauptfiguren mit ihren Erwachsenenproblemen und die „Zeitreise in die Vergangenheit“ wirken vom Sujet her für Heranwachsende nicht attraktiv und bergen keine Möglichkeiten der Identifizierung – sie weisen eine deutliche Distanz zum Lebensalltag hiesiger Jugendlicher auf. Anfänglich zu sehende Gewaltspitzen und die unheilvolle Grundstimmung entfalten jedoch keine übermäßig ängstigende Wirkung auf ab 12-Jährige. Im Verlauf der Serie kommen Bilder von brutaler Tiertötung sowie eine Tötungsschilderung aus dem Off hinzu. Diese Inhalte werden vom FSF-Prüfausschuss als heftig, aber verkraftbar für die Altersgruppe ab 12 Jahren gewertet, da die konkrete Gewalt nur angedeutet gezeigt wird. Die ersten beiden geprüften Episoden erhalten daher eine Freigabe ab 12 Jahren. (Stand: Oktober 2021)
Zu weiteren ProgrammInfos auf der FSF-Website geht es hier.
Pay-TV-Anbieter oder Streamingdienste können eine Jugendschutzsperre aktivieren, die von den Zuschauern mit der Eingabe einer Jugendschutz-PIN freigeschaltet werden muss. Somit gelten die üblichen Sendezeitbeschränkungen und Schnittauflagen nicht. Weitere Informationen zu Vorschriften und Anforderungen an digitale Vorsperren als Alternative zur Vergabe von Sendezeitbeschränkungen sind im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (§ 5 Abs. 3 Nr. 1; § 9 Abs. 2 JMStV) sowie in der Jugendschutzsatzung der Landesmedienanstalten (§ 2 bis § 5 JSS) zu finden.”
Bitte beachten Sie: Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Programm nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkungsrisiken mehr bedeutet.
Mehr Informationen zur Programmprüfung erhalten Sie auf unserer Website. Dort veröffentlichen wir jede Woche neue ProgrammInfos zum aktuellen Fernsehprogramm. Auch diese Auswahl stellt keine Empfehlung dar, sondern zeigt einen Querschnitt der Programme, die den Prüfausschüssen der FSF von den Mitgliedssendern und externen Antragstellern vorgelegt.
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