Die Abschaffung der Menschenrechte endet in einem Albtraum

The Handmaid’s Tale – Der Report der Magd.
Start der Austtrahlung der dritten Staffel ab heute bei MagentaTV

 

In den USA setzen sich die christlichen Fanatiker durch und gründeten den Staat Gilead, eine Diktatur, in der Menschenrechte und individuelle Freiheiten abgeschafft sind, jeder seinen Platz zugewiesen bekommt und Frauen sich bedingungslos unterzuordnen haben. Arbeit, Bildung und selbst das Lesen ist ihnen verboten. Die Hauptfigur und Erzählerin June – je nach „Besitzer“ DesFred oder DesJoseph genannt –, gehört zu den wenigen Frauen, die trotz der ruinierten Umwelt noch gebärfähig sind und hat in dieser Rolle als Magd zu dienen. Diese Dystopie stammt aus der Feder der Kanadierin Margaret Atwood und ist aus dem Jahr 1985 (D, 1987), wurde aber erst 2017 mit der Verfilmung als Serie erfolgreich, vielleicht auch, weil Atwood ihrer Zeit damals voraus war.

Die dritte Staffel, die nun in Deutschland anläuft, führt die Handlung weiter und flicht aktuelle Zeitbezüge ein – wie das Auseinanderreißen von Familien auf der Flucht an der Grenzmauer. Immerhin sind die Aufgeknüpften, die dort hängen, in der Realität noch unvorstellbar. Die düstere Erzählung richtet sich an ein erwachsenes Publikum und fordert dem Zuschauer einiges ab. Durchgängiges Thema ist das individuelle Leid, das entsteht, wenn eine Diktatur mit rigiden Strafen und Psychoterror den Alltag bis ins Detail bestimmt und auch die sexuelle Selbstbestimmung unmöglich macht.

… das individuelle Leid, das entsteht, wenn eine Diktatur mit rigiden Strafen und Psychoterror den Alltag bis ins Detail bestimmt und auch die sexuelle Selbstbestimmung unmöglich macht.

Die Beziehungen in Gilead sind brüchig und kompliziert, niemand weiß, woran er ist und auf wen er sich verlassen kann. Das Miteinander ist von Unsicherheit und Misstrauen geprägt, denn hier stehen nicht nur Männer gegen Frauen, Mägde gegen die Herrschaft oder Gläubige gegen Fundamentalisten. In allen Bereichen, auch in den Familien, gibt es zahlreiche Binnenkonflikte, was die Qualität der Serie ausmacht.


Auch das Thema Asyl spielt eine große Rolle, denn die einzige Perspektive für kritische Untertanen ist die Flucht nach Kanada. Ein paar Freunde von June haben es bis hierher geschafft. Aber sie will nicht weg ohne ihre Tochter, die einer einflussreichen Familie überlassen wurde und die in Gilead das typische Schicksal junger Mädchen erwartet: kein Spielraum zur persönlichen Entfaltung, keine Bildung, Heirat mit 14. Alle diese deprimierenden Umstände sind dezent inszeniert, ebenso wie die rituellen Vergewaltigungen, die euphemistisch „Zeremonie“ genannt wird.

Das Thema Asyl spielt eine große Rolle, denn die einzige Perspektive für kritische Untertanen ist die Flucht nach Kanada.

June wäre nicht June, wenn sie diesen ganzen Zumutungen nicht mit Kraft, Mut und Einfallsreichtum entgegentreten würde, was immer wieder für Hoffnungsschimmer sorgt.

Die Serie verklausuliert Vieles und erschließt sich älteren Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren vermutlich nicht in Gänze. Was sie aber klar vermittelt, ist die Botschaft, dass eine Abschaffung der Menschenrechte in einem Albtraum endet. Wenn sie ab 12-Jährige auf diesen wenig jugendaffin präsentierten Stoff überhaupt einlassen mögen, kann er ein Reflexionsangebot sein.

 

FSF: freigegeben ab ..?

FSF: freigegeben ab 12 Jahren | Hauptabendprogramm © FSF

Obwohl The Handmaid’s Tale als dystopisches Format Jugendliche ansprechen könnte, lassen der Look der Serie, das Alter und die spezifische Problemkonstellation der Heldin keine hohe Jugendaffinität der Serie vermuten. Die Handlung wird in Zeitsprüngen und verschachtelter Dramaturgie erzählt und aus dem Off von der Ich-Erzählerin June kommentiert. Die Sprünge in der Handlung sind durch die verschiedenartigen Stilrichtungen der Zeit und die andersartigen Settings leicht zu unterscheiden. Eine Verwechslungsgefahr mit aktuellen Bezügen oder eine Übertragung auf den Lebensalltag hiesiger Jugendlicher wird daher nicht vermutet. Das entworfene Schreckensszenario wird in keiner Weise als vorbildhaft dargestellt. Insgesamt bestimmt eine ruhige Erzählweise die Geschichte, oft auch in hellen Bildern, Erinnerungsbilder wurden teils mit Weichzeichner verstärkt. Kurze, ausreichend zurückhaltend umgesetzte Gewaltspitzen sind in ruhige und entlastende Passagen eingebettet. Die Heldin bleibt durchgängig souverän und stark, sie verfügt über einen moralischen Kompass, der auch dem Zuschauenden Orientierung bietet und zudem das Vertrauen stärkt, dass irgendwann wieder ein menschlicheres System diese Diktatur verdrängen wird. Letztlich handelt es sich um eine hoch dramatische, düstere Geschichte, die dem Publikum einiges abverlangt, allerdings auch ein interessantes Reflexionsangebot bietet. In den meisten Episoden wurde Gewalt in Bildern oder Szenen nicht so drastisch inszeniert, dass es ab 12-Jährige – die bereits relativ kompetent mit potenziell ängstigenden Medieninhalten umgehen können – überfordert. Die Episoden, in denen dies nicht zutrifft, die Drastik zunimmt und die bedrohlich wirkende Stimmung und die ständige Gefahr für die Sympathieträgerin June von ab 12-Jährigen nicht angemessen eingeordnet werden können, erhielten eine Freigabe für das Spätabendprogramm, ab 16 Jahren. (Dieser Text bezieht sich auf die Inhalte der Staffeln 1 bis 3)

Zu weiteren ProgrammInfos auf der FSF-Website geht es hier.

Bitte beachten Sie: Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Programm nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkungsrisiken mehr bedeutet.

Mehr Informationen zur Programmprüfung erhalten Sie auf unserer Website. Dort veröffentlichen wir jede Woche neue ProgrammInfos zum aktuellen Fernsehprogramm. Auch diese Auswahl stellt keine Empfehlung dar, sondern zeigt einen Querschnitt der Programme, die den Prüfausschüssen der FSF von den Mitgliedssendern und externen Antragstellern vorgelegt werden.

Über Susanne Bergmann

Susanne Bergmann ist Dozentin und Autorin, u.a. für den Kinderfunk von rbb und dlr. Seit 1995 Prüferin bei der FSF. Seit 2020 Ehrenamtliche Richterin am Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen.