„Politik macht mobil“

Ausflug in die „Wiener“ Gesellschaft

Der Faszination seiner Songs konnte ich mich – trotz der fragwürdigen Textpassagen – nie erwehren, … sie drangen ins Ohr und blieben – bis heute. So wundert es nicht, dass die zweite Assoziation zu Beginn der Serienrezeption von M – Eine Stadt sucht einen Mörder sofort dem Song Jeanny gilt. Der erste Bezug verbindet sich natürlich unweigerlich mit dem gleichnamigen Filmtitel zu Fritz Langs Original (1931) – dem Klassiker der deutschen Filmgeschichte. Aber eben auch Falco bestückte seinen 1985er Song intramedial mit Anleihen aus mehreren Filmen, u.a. aus Langs „M“.

Fernab der Berlinale durfte ich die Serie im Zuge unserer Programmprüfung gucken, denn für den Abruf bei TV NOW* und der späteren Ausstrahlung bei RTL Crime wurde uns die Sendung zur Vergabe der Altersfreigaben* vorgelegt.

 

Lust auf eine Städtereise ins winterliche Wien?

Die Farbdramaturgie fällt sofort ins Auge. Es lässt sich blitzschnell zusammenfassen: überwiegend gedeckte Töne, viel grau, selbst das sonst so beschaulich und glitzern wirkende Schneeweiß verkommt trotz seiner märchenhaften „Dickflockigkeit“ in ein traurig anmutendes, gar hinterhältiges Schlammweiß – wie unter einer Smogglocke. Das winterliche Wien lädt nicht zum Verweilen ein, zwängt dem Zuschauer einen trüben Schleier der Düsternis auf, der seinesgleichen sucht. Die einzigen Farbtupfer wirken allesamt bedrohlich. Einerseits zieht sich das kräftige Blutrot des Filmtitels wie ein roter Faden durch die Episoden und sticht in der elementaren Kindergarderobe von Winterjacke über Pullover bis Strickmütze als Sinnbild vergangenen Lebens hervor (… erinnert erneut an: „zu viel Rot auf deinen Lippen“). Andererseits kommen daneben nur die wenigen grellen, zugleich warnenden Farbnuancen in der Kleidung des clownesken und „ES“-ähnlichen Ballonverkäufers zum Tragen. Die Dominanz der matten, dunklen Farben legt sich wie ein Farbfilter über die leuchtend bunte Winterwelt von 2018, um womöglich an das Original in Schwarz-weiß-Optik anzuschließen, in jedem Fall aber die Verdunklung der Ereignisse einzuläuten. 

 

Worum geht es?

Der Filmkenner weiß um die Story: Kleine Mädchen verschwinden – ihr Tod scheint gewiss – gesucht wird ein Mörder – der Mob macht sich auf, ihn zu suchen.

Die Serie beginnt, wie eingangs erwähnt, mit der Nachricht über ein verschwundenes Flüchtlingsmädchen: Layla Rachmany. Gleich darauf begegnet uns Elsie, bis auch sie plötzlich ihrem wenig harmonischen Zuhause fernbleibt. Ihre Eltern scheinen mehr als merkwürdig, teilen diese Eigenschaft jedoch mit der restlichen Personage. Der Spannungsbogen wurde so gestrickt, dass fast ein Jeder einmal die Möglichkeit erhält, als potenzieller Täter oder Mitwisser ins Spiel zu kommen. Später tauchen Leichen auf. Kommen welche hinzu – wie viele? Die komplette Geschichte wird hier aus Spoilergründen nicht erzählt.
Die für die Handlung verwendete Zeitachse fordert die Aufmerksamkeit des Zuschauers. Wie bereits angesprochen, wird die Serie von einer düsteren Farbgestaltung getragen, unterstützt wird dies durch die Audiospur. Mal lässt eine wiederholt einfließende Pfeifmelodie nichts Gutes erahnen, mal gesellt sich eine weitere Unheil ankündigende Tonfolge hinzu.

Serienmacher David Schalko (Braunschlag, Altes Geld) hat die klassische Filmstory mit aktuellen politischen und gesellschaftlichen Bezügen vermischt bzw. man kann auch sagen, sie sind „wieder aktuell“. Der Zeitpunkt der Neuauflage scheint ausreichend Anlass zu geben und spielt ausgerechnet in Wien – Österreich! Stichworte: Immigration, Grenze; aber auch Vereinsamung, Macht, Geltungsbedürfnis, Profitgier etc.

 

Der Cast – welch eine Überraschung

Begrüßt werden wir von einer Künstlergruppe, über die zumindest ich mich nur freuen konnte: Lars Eidinger – notorischer Fremdgeher, wieder einmal ein Charakter, wie für ihn auf den Leib geschneidert. Verena Altenberger – die Mutterfigur scheint ihre Paraderolle (2017: Die beste aller Weltenhier nachzulesen, warum der Film nur zu empfehlen ist). Beide zusammen bilden das gestörte Elternpaar der verschwundenen Elsie. Aber zusammen ist das falsche Wort, dem Zuschauer wird sich diese Floskel bei der Rezeption erschließen.
Ein skurriles Wiedersehen gibt es mit Sophie Rois – herrlich als „Hogwarts“ Wilde bzw. Wiener Unterweltenchefin mit einer Vorliebe für Kakteen. Auch dabei: Udo Kier als abseits teils weltentfremdet erscheinender Fotograf, der mit beispielloser Qualität seiner fotografischen Aufnahmen „glänzt“. Sonst eher für Musik bekannt, erhält auch Bela B (Felsenheimer) seinen Auftritt als quasi „bleicher Mann“ mit übernatürlichen Sinnen. Und man möge mir die subjektive Färbung verzeihen, aber ich kann nicht anders: auch die Mitwirkung von Moritz Bleibtreu sollte nicht unerwähnt bleiben als aalglatter und sensationsheischender Medienmogul!
Der Cast ist weitaus umfangreicher bestückt und das hier nicht alle Erwähnung finden, hat nichts mit der Qualität der schauspielerischen Leistung zu tun, sondern mit der Begrenzung der Textlänge.

Alle sechs Episoden von M – Eine Stadt sucht einen Mörder bei tvnow.de
Es handelt sich hierbei um eine Koproduktion zwischen TV NOW, dem ORF und Superfilm. Die im Netz verfügbaren Ausstrahlungsdaten differieren zwischen dem 22. (RTL-Angabe) und 23. Februar 2019 (TV NOW).

 

Freigegeben ab? 

Die gesichteten Episoden richten sich mit ihrer gefühlskalt und manieriert inszenierten Story – gespickt mit einem Ensemble an kruden und überwiegend emotionslosen Gestalten – nicht an ein kindliches Publikum. Eingehend diskutiert wurde während der FSF-Programmprüfung über möglicherweise desorientierende und ängstigende Inhalte der Sendung: schließlich handelt es sich bei den verschwundenen Charakteren um Kinder, deren Misshandlung oder Ermordung nicht ausgeschlossen werden kann. Die teils nüchtern und wenig rasant inszenierte Erzählweise und die immer wieder künstlich und damit realitätsfern wirkende Handlung lässt eine übermäßige Ängstigung auf 12-jährige Zuschauer nicht vermuten. Distanz zum Geschehen wird ihnen ermöglicht, weil im Fokus nicht die Angst der Beteiligten steht, sondern die Konzentration auf die Profilneurosen jedweder erwachsenen Figur. Die Serienprotagonisten bleiben fremd, laden weder zum Mitfühlen noch zur Identifikation ein und die Handlung bietet in ihrer merkwürdig versponnenen Art keine Anknüpfungspunkte an die Alltagswelt von Kindern. Aufgrund ihrer bereits gewonnenen Genrekenntnis wird der Altersgruppe der ab 12-Jährigen zugetraut, die sehr bemühte und stellenweise geradezu eitel daherkommende Überzeichnung der zahlreichen Figuren zu Karikaturen zu durchschauen und somit die Serie ohne nachhaltige Beeinträchtigungen einordnen und verarbeiten zu können.

FSF: freigegeben ab 12 Jahren | Hauptabendprogramm © FSF

Drastische Gewaltbilder oder Bedrohungssituationen treten nur sporadisch auf und wurden für die beantragte Freigabe ab 12 Jahren in Abhängigkeit von der Drastik und Intensität der Darstellung teilweise mit Schnittauflagen belegt. Gewalt bestimmt die Rahmenhandlung, ja – sie wird aber als Bedrohung kaum in Szene gesetzt oder verharrt in diffusen Bildern – und ihre erwähnten Folgen werden weder relativiert noch beschönigt, sondern verdeutlichen eher die Unmenschlichkeit des Dargebotenen. Nicht leicht zu ertragende Rassismen sind in der Sendung enthalten, sollen allerdings dazu dienen, zwielichtige Kreise als negativ zu charakterisieren und damit das Gut-Böse-Schema der Serie zu unterstreichen. Sie werden also als wenig ernstzunehmend und auch aufgrund ihrer Kürze als nicht negativ wirkmächtig eingeschätzt. So wurde beschieden, dass die gesichteten Episoden – zum Teil jedoch nur unter Schnittauflagen – für ein Publikum ab 12 Jahren verkraftbar sind.

Zu weiteren ProgrammInfos auf der FSF-Website geht es hier.

 

Wer sich belesen möchte:
hier gibt es u.a. weitere Informationen (aber, das Internet ist groß):

 

Wer die Serie nun gucken möchte:
M – Eine Stadt sucht einen Mörder bei TV NOW zum Abruf bzw. Streamen und demnächst auch bei RTL Crime.

 

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*Pay-TV-Anbieter oder Streamingdienste können eine Jugendschutzsperre aktivieren, die von den Zuschauern mit der Eingabe einer Jugendschutz-PIN freigeschaltet werden muss. Somit gelten die üblichen Sendezeitbeschränkungen und Schnittauflagen nicht. Weitere Informationen zu Vorschriften und Anforderungen an digitale Vorsperren als Alternative zur Vergabe von Sendezeitbeschränkungen sind im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (§ 5 Abs. 3 Nr. 1; § 9 Abs. 2 JMStV) sowie in der Jugendschutzsatzung der Landesmedienanstalten (§ 2 bis § 5 JSS) zu finden.”

Bitte beachten Sie: Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Programm nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkungsrisiken mehr bedeutet.

Mehr Informationen zur Programmprüfung erhalten Sie auf unserer Website. Dort veröffentlichen wir in unregelmäßigen Abständen neue ProgrammInfos zum aktuellen Fernsehprogramm. Auch diese Auswahl stellt keine Empfehlung dar, sondern zeigt einen Querschnitt der Programme, die den Prüfausschüssen der FSF von den Mitgliedssendern und externen Antragstellern vorgelegt werden.

Über Sandra Marquardt

Sandra Marquardt hat 2010 ihr Magisterstudium in Filmwissenschaft und Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der FU Berlin abgeschlossen. Seit 2011 arbeitet sie als Onlineredakteurin bei der FSF. Dort betreut sie u.a. zum einen den Onlineauftritt der FSF-Website, ist zum anderen für den fsf blog inklusive der Bildredaktion verantwortlich und festes Teammitglied der Newsletterredaktion. Als Praktikumsbeauftragte ist ihr die Betreuung der Praktikantinnen und Praktikanten eine Herzensangelegenheit.