Religiöser Fanatismus als Diktatur

Es ist nicht immer ganz leicht, den Spagat in Filmen zu finden, Historie weitestgehend korrekt abzubilden und trotzdem durchweg Spannung zu erzeugen. Der Thiller Colonia Dignidad – Es gibt kein Zurück von Florian Gallenberger (John Rabe) erfüllt beide Voraussetzungen. Die Rahmenhandlung bewegt sich innerhalb Chiles im Jahr 1973. Der sozialistische Präsident Salvador Allende wird über Nacht durch einen Putsch gestürzt und fortan regiert das Militär unter dem General Augusto Pinochet quasidiktatorisch im südamerikanischen Land. Der deutsche Aktivist Daniel (Daniel Brühl), der sich vor dem Putsch in einer Studentenbewegung für Allende stark gemacht hat, wird tags darauf verhaftet und in die sogenannte Colonia Dignidad verschleppt. Dabei handelt es sich um eine Einrichtung einer sektenähnlichen Gemeinschaft um den deutschen Laienprediger Paul Schäfer (Mikael Nyqvist), der dem chilenischen General Einrichtungen für Verhöre und Folter von Gefangenen zur Verfügung stellt. Daniels Freundin Lena (Emma Watson) macht sich daraufhin auf die Suche nach ihm …

Düsteres Setting, spannend inszeniert

Die durchweg gruselige Stimmung des Thrillers verleiht der authentischen Story eine beklemmende Note. Obwohl der Film ab und zu seine Stimmungslage wechselt – von Liebes- zu Abenteuerfilm und dann zu Thriller – die Inszenierungsart ist ähnlich wie bei anderen Spielfilmen für die Hauptabendprogrammschiene.

Mehr Sein, weniger Schein

Die historische Vorlage bietet sich dabei für eine filmische Umsetzung an: der gebürtige Bonner Paul Schäfer floh 1961 mit seinen Anhängern aus Deutschland und errichtete auf über 15.000 Hektar Land eine religiöse Gemeinschaft. Wie im Film dargestellt, wurden die Männer von den Frauen und die Kinder von ihren Eltern strikt getrennt. Der sadistische Umgang von Schäfer mit seinen Untergebenden wird wirkungsvoll im Film dargestellt und entspricht auch in seinen Ausmaßen denen der Realität. Die der FSF vorliegende Fassung wurde in der Intensität der gezeigten Folterszenen gekürzt und die Passagen, die den Kindesmissbrauch thematisieren, werden nur angerissen – die Botschaft wird dennoch überzeugend vermittelt. Auch wenn der Film sich weitestgehend an der Wirklichkeit orientiert – für eine realistische Darstellung der Geschehnisse befragte der Regisseur ehemalige Sektenmitglieder – werden manche Filmabschnitte dramaturgisch verstärkt. Vor allem das Ende wirkt arg von Hollywood inspiriert, wirft jedoch kein nachhaltig schädigendes Bild auf den sonst gelungenen Gesamteindruck.

„Der Herr liebt uns, in all unserer Unvollkommenheit“

Eine große Stärke des Films gelingt im Umgang mit dem religiösen Fanatismus. Durchgehend wird anschaulich gemacht, dass Paul Schäfer innerhalb der geschlossenen Gemeinschaft alle Zügel in der Hand hält. Alle leiden unter seiner sadistischen Art, und selbst seine Untergebenen gehen mit gleicher Niedertracht mit anderen, ihnen untergeordneten Gemeindemitgliedern, um. Allerdings werden unter dem Deckmantel – Gott würde durch ihn sprechen – alle seine Taten an seinen Jüngern legitimiert. Auch hier wurde nicht viel getrickst, Schäfer genoss innerhalb seiner „Kolonie“ alle Freiheiten und seine Kooperation mit der chilenischen Militärregierung erbrachte ihm erhebliche Steuervorteile.

Aufarbeitung? Fehlanzeige

Doch nicht nur die chilenische Regierung war in Schäfers Machenschaften verwickelt. Auch der deutschen Botschaft und einigen christdemokratischen Politikern wurde vorgeworfen, Schäfers Tun ignoriert oder sogar unterstützt zu haben. Auch nach seiner Festnahme im Jahr 2006 verpasste es die Bundesregierung, das Geschehen aufzuarbeiten. So liefert der Spielfilm vor allem einen wichtige Botschaft zum Ende: eine Anregung, über die Vorgänge nachzudenken, die von Deutschen außerhalb des eigenen Landes mit Wissen einiger Politiker verübt und geduldet wurden.

ProSieben zeigt das Drama heute um 20.15 Uhr.

FSF ab 12 Jahren Hauptabendprogramm © FSF

FSF: freigegeben ab …
Der auf bedrückenden realen historischen Ereignissen beruhende Thriller mit Ergänzung der fiktiven Liebesgeschichte wurde gekürzt zur Prüfung vorgelegt. Entfernt wurden die Szenen, die aufgrund ihres Inhalts und ihrer Intensität in der Originalversion zu einer Freigabe ab 16 Jahren führten. Die Atmosphäre des Films bleibt trotz der Kürzungen düster, das historische Grauen wird allerdings nur noch angedeutet und bildet lediglich eine Folie, vor der sich der genretypisch inszenierte Liebes- und Abenteuerplot abspielt. Mit der angstfreien Protagonistin Lena führt eine souveräne Hauptfigur durch das Geschehen. Die Liebesgeschichte und viele inszenierte Klischees sowie das zu vermutende Happy End geben die Möglichkeit zur Distanzierung und Entlastung, sodass diese Filmfassung für ein Publikum ab 12 Jahren freigegeben wird.

Zur dieser und weiteren ProgrammInfos auf der FSF-Website geht es hier.

Bitte beachten Sie: Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Programm nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkungsrisiken mehr bedeutet.

Mehr Informationen zur Programmprüfung erhalten Sie auf unserer Website. Dort veröffentlichen wir jede Woche neue ProgrammInfos zum aktuellen Fernsehprogramm. Auch diese Auswahl stellt keine Empfehlung dar, sondern zeigt einen Querschnitt der Programme, die den Prüfausschüssen der FSF von den Mitgliedssendern vorgelegt werden.

Über Paul Schubert

Paul Schubert studierte Kommunikations- und Politikwissenschaft an der Universität Greifswald und baute danach seine Kenntnisse im Masterstudium der Kommunikations- und Medienwissenschaften an der Leipziger Uni aus. Während seines Studiums war er bei einigen studentischen Medien aktiv und absolvierte ein Praktikum bei der FSF. Immer wieder gern arbeitet Paul als Kleindarsteller für Film und Fernsehen.