Seit WhatsApp, Facebook und Co. beim Essen im Restaurant, auf Konzerten, eigentlich egal wo, nicht fehlen dürfen, ist es ist jedes Jahr das selbe (Trauer-)Spiel: Es ist der 01. Januar 2018, 00:01 Uhr oder etwas später. Es wurde angestoßen, laut ein frohes neues Jahr gewünscht und zack! haben fast alle ihr Handy vor der Nase. Es mutet fast wie ein Wettrennen an: Alle wollen zuerst die Wünsche fürs neue Jahr in die Welt simsen, whatsappen, twittern, facebooken, snapchatten. Passend dazu wird ein bereits vorab ausgesuchtes dämlich-albernes Bild mit Sinnspruch oder aber ein super spontanes, natürlich völlig ungestelltes Foto verbreitet. Dass das Netz regelmäßig zusammenbricht, weil sich alle zur selben Zeit mitteilen wollen, wird ausgiebig verflucht, ist aber kein Hinderungsgrund sich jedes Jahr aufs Neue darüber zu echauffieren. Auch dass Fotos, die Silvester um Mitternacht entstehen, in der Regel verwackelt und verrauscht sind, weil die Lichtverhältnisse zu schlecht sind, Menschen sich zu schnell bewegen und man ja gleichzeitig noch mit anderen Utensilien hantiert, ist selbstverständlich und wird ignoriert. Denn schließlich geht es ja darum, den Moment festzuhalten.
Zu dieser Situation findet sich auch einige Tipps im Internet – sei es, dass das Versenden über WLAN besser klappt als im Mobilfunknetz oder dass man Nachrichten am besten schon vorbereitet, um sie so schnell wie möglich zu senden. Allerdings fehlt hier ein ganz wesentlicher Tipp: Vielleicht reicht es auch, die Neujahrsgrüße am nächsten Tag zu schicken? Dann könnte man auch zeigen, dass man an den anderen gedacht hat – und die wenigsten schreiben ja in diesem Moment an Menschen, die arbeiten müssen oder gerade alleine sind. Das könnte ich verstehen. Aber ich glaube, bei vielen geht es weitaus weniger um andere oder um den Moment als um sich selbst. Sie wollen als Erste Neujahrsgrüße verschicken, sie wollen zeigen, wie toll und lustig das eigene Silvester ist, oder wahlweise auch, wie anders man Silvester verbringt, weil man sich natürlich von all den anderen abgrenzen will – durch Individualität, die anscheinend nur entsteht, wenn man darauf hinweist. Es geht um Selbstdarstellung und Distinktionsgewinn durch Likes auf Instagram, Facebook und Co., deren Anzahl dann auch regelmäßig gecheckt wird.
Dabei wird jedoch allzu oft vergessen, dass man dann in diesem Moment das Handy dem Gegenüber vorzieht. Das hat vor einigen Jahren bei einer Party in kleinerem Kreis mal dazu geführt, dass nach dem Anstoßen und Anschauen des Feuerwerks ein Großteil der Gäste auf das Handy starrte – als würden die Menschen, die Freunde, die dort mit einem sind, keine Rolle spielen oder zumindest keine so wichtige wie die Kontakte aus dem Telefon. In diesem Moment wurde mir sehr bewusst, dass doch das „wahre“ Leben eigentlich in diesem Zimmer ist. In diesem Moment. Seither reagiere ich äußert sensibel darauf, wenn in sozialen Situationen sofort das Handy gezückt wird – obwohl ich selbst alles anderes als technikfeindlich bin. Ähnlich ist es mit dem Fotografieren. Ich kann verstehen, dass man Silvester Fotos machen will. Seit Jahren überlege ich, ob ich zum Jahreswechsel nicht einmal eine höhergelegte Stelle aufsuchen sollte, die nicht befeiert wird, und von dort aus das Geschehen festhalten sollte. Aber das lässt sich mit Feiern nicht vereinbaren, denn wirklich gute Fotos sind vorbereitet – und das gilt insbesondere für die Nacht. Und selbst wenn es nur um einen Schnappschuss geht: Die meisten Momente sind schön, weil eben nicht alle ihre Handys vor der Nase haben, sondern tatsächlich da sind. Voll und ganz. Natürlich ist der Blick durch die Kamera ein Weg, die Welt wahrzunehmen. Ich fotografiere selbst und glaube, dass ich beispielsweise auf Städtereisen Dinge anders wahrnehme, wenn ich sie durch eine Foto-Linse sehe. Aber dabei geht es eben nicht um Schnappschüsse, nicht um den Beweis, dort gewesen zu sein oder mit besonders coolen Leuten abzuhängen, sondern um einen Blickwinkel, um Zeit zur Betrachtung. Silvester ist indes ein flüchtiger Moment, den man tatsächlich auch bewusst wahrnehmen kann, indem man einfach nur mal schaut. Und zwar nicht aufs Handy, sondern einfach mal in die Gesichter der Menschen, die um einen herum sind.