Sehsüchte 20:20 Vision

Rückblick auf das 49. International Student Film Festival Sehsüchte

Diese Jahr ist ja alles anders – Corona … – dementsprechend auch das International Student Filmfestival Sehsüchte. Das 49. Festival fand dieses Mal als Hybrid-Festival statt. Das heißt, die Filme konnten sowohl an fünf Standorten in Potsdam und Berlin angesehen als auch online gestreamt werden. Beide Arten des Filmerlebnisses haben ihre Vor- und Nachteile.

Während man im heimischen Wohnzimmer vor Corona geschützt ist, sich die Sichtungszeit flexibel einteilen und es sich bequem auf der Couch machen kann, war von Atmosphäre natürlich weit und breit nichts zu spüren. Kein Kinderlachen, kein Popcorngekrümel, kein Applaus und auch kein Live-Q&A mit den Filmemachenden. Fazit: Ein Kinobesuch ist mit nichts zu vergleichen. Sowohl den Filmschaffenden als auch dem Publikum die Möglichkeit zu geben, die Filme auch über diesen Weg auszustrahlen und insgesamt das Festival mit einem veränderten Konzept stattfinden zu lassen, hat sicher das Herz aller Sehsüchte-Fans und -Teilnehmenden höher schlagen lassen. Dieser ganze Mehraufwand, um das Filmfestival in dieser Form zu veranstalten, verdient ganz besonderen Dank und Respekt an das Festivalteam.

Das Angebot an Genres und Themen war wie immer beträchtlich und sehr divers. Zu sehen waren u.a. kurze und lange Dokumentar-, Spiel-, Genre und Animationsfilme sowie VR-Produktionen. Natürlich gab es auch ein vielfältiges Rahmenprogramm. Die Titel der Filmblöcke klangen exotisch und machten neugierig, sie orientierten sich an ausgefallen klingenden Farbtönen wie bspw. Turbulent Turquoise, Ultra Violet oder Burnt Sienna. Aber nun sollen auch andere Stimmen zu Wort kommen. Zwei meiner Kolleginnen geben ihre Eindrücke zum erlebten Event wieder. Lena Wandner hat sich die Kinder- und Jugendfilmblöcke angesehen und Eva Lütticke war Teil des Festivalteams.

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Bilder: Sehsüchte 2020 Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF; Foto: Johanna Peters © Sehsüchte 2020

Wie habt ihr das Filmfestival Sehsüchte dieses Jahr erlebt, digital oder offline? Wie empfandet ihr die Stimmung?

Eva: Wir waren schon sehr aufgeregt, ob denn alles wie geplant über die Bühne geht bzw. in unserem Fall über die Kinoleinwand und den heimischen PC. Es war das erste Sehsüchte, welches online und offline stattgefunden hat. Coronabedingt mussten leider alle Offline-Veranstaltungen kleiner ausfallen als ursprünglich geplant. Nicht jeder Kinoplatz durfte besetzt werden. Es fand keine Party im Atrium statt. Es gab kein Kickerturnier und keine internationalen Filmemachenden vor Ort. ABER: Wir haben uns tolle Alternativen einfallen lassen wie beispielsweise mehrere Konzerte im Freien vor der Filmuniversität. Extra dafür ließen wir die Straße vor dem Unigebäude sperren. Es gab Sitzgelegenheiten (mit Mindestabstand) und super leckeres veganes Essen vom Foodtruck Vöner. Zusätzlich zu den Kinosälen in der Filmuni mieteten wir weitere Kinos in Potsdam und Berlin an. Viele Vorstellungen waren ausverkauft, was uns natürlich sehr freut. Auch die Filmschaffenden wurden mit Videobotschaften ins Festivalgeschehen eingebunden. Diese sind auf unserer Website sehsuechte.de zu finden. Insgesamt empfand ich Sehsüchte 2020 als einen vollen Erfolg – auch wenn die Kinos nur bedingt besetzt waren. Dafür gab es ein großes internationales Publikum vor den heimischen Bildschirmen.

Lena: Ich habe das Festival ausschließlich digital auf meinem Laptop verfolgt. Natürlich ist man somit nur „halb“ dabei und die sonst so besondere Festivalstimmung geht etwas verloren. Wenn man alleine schaut, fehlen natürlich auch die Reaktionen der anderen Zuschauenden, was gerade auch im Kino eine besondere Atmosphäre schafft. Gleiches gilt für den Austausch danach: Fanden die anderen bestimmte Szenen genauso ergreifend, aufwühlend, spannend? Fragen, die unbeantwortet bleiben. Natürlich hat dies aber auch seine Vorteile, schließlich kann man sich somit voll und ganz auf die eigene Wahrnehmung konzentrieren und wird dazu angeregt, das Gesehene allein zu reflektieren.

Ihr vom Festivalteam, mit welchen Problemen habt ihr euch dieses Jahr aufgrund der Corona-Pandemie konfrontiert gesehen?

Eva: Zunächst die Frage, ob wir Sehsüchte überhaupt stattfinden lassen können in diesem Jahr. Die Gesamtkoordination und Prof. Dr. Lothar Mikos haben sich dafür sehr eingesetzt, weshalb Sehsüchte dann in den September verschoben werden konnte. Eine Mammutaufgabe, da wir eigentlich schon alles für den April organisiert hatten. Ohne so ein großartiges Sehsüchte-Team hätte das niemals geklappt. Daher ein großes Lob an meine Kolleginnen und Kollegen! Aufgrund der Corona-Pandemie musste es natürlich einige Einschränkungen geben wie weniger Gäste, Hygienekonzepte, Corona-Beauftragte, ein komplett neues Rahmenprogramm, ein neues Szeno-Konzept und vieles mehr! Dazu kommt, dass wir das Programm auch online zeigen wollten. Was das alles an Aufgaben bedeutete, davon kann unser Webseiten-Verantwortlicher Phil bestimmt mehr erzählen (lacht).

Welcher Kinder- und/oder Jugendfilm hat euch am meisten begeistert? Eva, konntest du mit den Entscheidungen der Kinderjury konform gehen?

Eva: Gemeinsam mit meiner Kommilitonin Birte Rauch war ich dieses Jahr für die Kinder- und Jugendsektion zuständig. Insgesamt 19 Filme haben wir ausgewählt und der Kids- und Teens-Jury präsentiert. Der Gewinnerfilm o28 ist ein klarer Zuschauermagnet. Animationsfilme funktionieren immer sehr gut, das merkten wir auch an den Reaktionen des Publikums im Kino. Auch die Kinderjury empfand dies so und damit gehe ich absolut d’accord.

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o28 – Trailer from o28 on Vimeo

Laudatio der Kinderjury, gehalten von Lilith Jona:
„Der Film überzeugt uns durch die lustige und rasant erzählte Geschichte einer entkoppelten Tramfahrt in Lissabon, in der ein etwas propperes Pärchen ganz schön ins Schwitzen gerät. Liebevoll animiert baut sich die Spannung vor allem über die Gestik der Figuren auf. Mit vollem Einsatz rettet ein Pärchen ein Baby und findet bei dem Überlebenskampf in der entfesselten Tram wieder zueinander. Uns gefiel der Zusammenhalt und vor allem die Frauenpower, die dieser Film uns vermittelt.“

Mein persönlicher Liebling ist tatsächlich ausgezeichnet worden als bester Jugendfilm. RIO war die erste Einreichung, die ich gesichtet hatte, und dann gleich so ein fantastischer Film! Umso glücklicher bin ich, dass die Teens-Jury das genauso sah.

Laudatio der Jugendjury, gehalten von Tilman Döbler:
„Der Film vereint in seiner unkonventionellen Erzählweise verschiedene stilistische Mittel, die collagenartig ineinandergreifen. Dabei untermalen die Musik und der Ton gekonnt die Stimmungen und vermitteln den Zuschauer/-innen die Gefühlslage der Protagonistinnen. Diese träumen von einem anderen Leben fernab des Hotels. Metaphorisch und kunstvoll inszeniert erzählt der Film von diesen Träumen und lässt auch uns mit einem Sehnsuchtsgefühl zurück. Das überragende Schauspiel überzeugte uns schließlich, RIO als besten Jugendfilm auszuzeichnen.“

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RIO (teaser, 2019) from Zhenia on Vimeo.

El Club, Beef, I am Mackenzie – es gibt einige weitere Filme, die mir sehr gut gefallen. Eigentlich alle aus der Sektion Future, ansonsten hätte ich die Filme nicht ausgewählt.

Sandra: Ja, die von dir genannten Filme haben mich auch angesprochen. Viele Inhalte in dieser Sektion waren sehr stark. Mich haben am meisten KOTIMATKA/Homebound, der auch eine Besondere Erwähnung bei der Preisverleihung erhielt, aber auch XY sehr beeindruckt, und wie du schon erwähntest auch El Club und I am Mackenzie sehr zum Nachdenken angeregt.

Lena: In der Rubrik der Kinderfilme hat mich vor allem der Film Wellen aus Licht begeistert. Ein toller Dokumentarfilm, der durch eine starke Protagonistin und einen Fokus auf kleine Details überzeugt. Das Portrait der zwölfjährigen Frida wurde mit viel Liebe gezeichnet, ihren reflektierten, teils herzerwärmenden Antworten wird viel Raum gegeben. Obwohl das Thema mich als Zuschauerin nachdenklich gestimmt hat, vermittelt der Film eine positive Botschaft.

Sandra: Da kann ich dir nur zustimmen. Den Film über die zwölfjährige Frida, die ihre Welt nur in Umrissen, Schatten und Farben wahrnimmt, weil sie blind ist, fand ich auch sehr bewegend. Ein Thema fernab des „normalen“ Lebens anderer Kinder und ein Einblick in den Lebensalltag und die Empfindungen eines erblindeten Mädchen.

Das Porträt ist zurzeit in voller Länge in der ARD-Mediathek abrufbar:

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Wellen aus Licht, Dokumentation, abrufbar bis 27. September 2021
Der Dokumentarfilm wurde auch für den GOLDENEN SPATZEN 2020 im Wettbewerb Kino TV eingereicht. 

Ich habe die beiden Blöcke der Sektionen Kinder- und Jugendfilm thematisch als etwas ernster als sonst wahrgenommen, mir fehlte ein wenig mehr Leichtigkeit. Ging euch das auch so?

Lena: Ja, diesen Eindruck hatte ich vor allem im Bereich der Jugendfilme. Auf den ersten Blick wurden hier viele „ernste“ Themen angesprochen. Auf den zweiten Blick sind diese Themen aber genau jene Aspekte, die im Alltag von Jugendlichen eine wichtige Rolle spielen und dadurch auch ungeschönt und ungefiltert die Realität abbilden. Gleichzeitig haben die Themen der Kurzfilme aktuelle Debatten abgebildet, die sowohl in der Gesellschaft als auch in der Politik stark polarisieren, wodurch die Filme bei mir auch noch stark nachgewirkt haben.

Lag das generell an den eingereichten Filmen und Themen der Filmeschaffenden, Eva, oder an der Auswahl durch die Kinder- und Jugendjury?

Eva: In der Auswahl der Filme war uns wichtig, Themen zu zeigen, die sonst weniger Beachtung finden im Mainstream-Kino. Dadurch sind die Blöcke vielleicht etwas ernster ausgefallen als in den letzten Jahren des Sehsüchte-Festivals. Ich empfand aber auch in den „ernsteren“ Themen Momente der Entlastung. Bei El Club beispielsweise belastet der Verlust der Mutter die Vater-Sohn-Beziehung, gleichzeitig findet Mateo aber auch seine erste Liebe. Diese Wechselseitigkeit finde ich super spannend und bereichernd für den Film.

Wie waren denn die Kinos von Kindern und Jugendlichen besucht, Eva?

Eva: Einige Schulen, die normalerweise Ausflüge zu uns in die Kinos machen, haben dieses Jahr in den Schulen das Kinder- und Jugendprogramm gestreamt. Trotzdem konnten wir uns über junge und junggebliebene Besuchende freuen. Aber klar, am Wochenende kamen mehr Kinogäste als am Donnerstagvormittag.

Und was hat für dich das diesjährige Sehsüchte besonders gemacht?

Eva: Für mich persönlich war es der Einsatz des ganzen Teams. Wir hätten Sehsüchte coronabedingt einfach ausfallen lassen können. Das ist aber nicht passiert, weil wir Studierenden (und Lothar Mikos) für das Festival brennen. Herausgekommen ist das Hybrid-Festival, welches uns ganz neue Möglichkeiten eröffnete.

Sandra: Auch außerhalb der Kinder- und Jugendfilme waren so viele sehr gute Filme dabei, dass man sich kaum auf einen besten Film festlegen kann. Als absolut nachvollziehbar empfand ich die Gewinner der Sektionen Spielfilm Kurz: The Lost Scot, Fokus Produktion: Trading Happiness und den Gewinner des Publikumspreises: Brüche.

Über Sandra Marquardt

Sandra Marquardt hat 2010 ihr Magisterstudium in Filmwissenschaft und Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der FU Berlin abgeschlossen. Seit 2011 arbeitet sie als Onlineredakteurin bei der FSF. Dort betreut sie u.a. zum einen den Onlineauftritt der FSF-Website, ist zum anderen für den fsf blog inklusive der Bildredaktion verantwortlich und festes Teammitglied der Newsletterredaktion. Als Praktikumsbeauftragte ist ihr die Betreuung der Praktikantinnen und Praktikanten eine Herzensangelegenheit.