ACT ON! #TikTok

Ergebnisse des 7. ACT ON! Short Reports


– Ein Beitrag von Nico Wolfsteller, Lena Wandner und Sandra Marquardt –

 

Das JFF führt in Kooperation mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) seit einigen Jahren Monitoring-Studien im Rahmen des medienpädagogischen Forschungs- und Praxisprojekts ACT ON! durch. Untersucht wird das Mediennutzungsverhalten von Heranwachsenden zu bestimmten Medienangeboten. Im aktuellen Short Bericht Nr. 7 werden Kinder und Jugendliche im Alter von zwölf bis 14 Jahren zur Nutzung der Videoplattform TikTok hinsichtlich Selbstdarstellung, Erfolgsdruck und Interaktionsrisiken befragt. (Wie funktioniert TikTok?: Informationen im Bericht , S. 11)

 

TikTok – aufstrebender Social-Media-Hit bei Jugendlichen?

Die Ergebnisse des 7. Short Berichts zeigen, dass die Hälfte der an der Befragung teilnehmenden Mädchen die App aktiv nutzt, ein Drittel davon mehrmals täglich und die Hälfte schalten auch eigene Videos frei. Als Beweggründe der Nutzung werden Unterhaltung und Inspiration genannt. Als klarer Vorteil der App sticht die hohe Usability hervor: Das Erstellen eines Videos ist einfach und der Einsatz von Effekten unkompliziert. Mit den Inhalten möchten sich die Heranwachsenden ausprobieren, spannende Geschichten erzählen oder auch eigene Hobbies präsentieren. Zudem sind ihnen das Feedback anderer und eine hohe Popularität des eigenen Kanals wichtig. Für die Mehrheit der Befragten gehören klassische Funktionen der App, wie das Folgen von anderen Usern und das Kommentieren von Videos zum Standardaktivitätsspektrum.

Selbstdarstellung

Der scheinbar vordergründige Spaßfaktor bei der Nutzung relativiert sich dahingehend, dass die Jugendlichen zugeben, bei Konzeption und Produktion von Inhalten einem enormen Perfektionsdruck ausgesetzt zu sein. Diese Wahrnehmung lässt sich darauf zurückführen, dass auf der Plattform viele Videos mit professioneller Aufbereitung zirkulieren. Um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Qualität und Erwartungshaltung zu entwickeln, bitten die Jugendlichen Gleichaltrige um Kritik oder Empfehlungen zu Darstellungs- und Bearbeitungskonzepten. Negative Reaktionen sollen somit weitestgehend unterbunden werden.

Bewertung und Anwendung von Filtern und Effekten

Obwohl die plattformeigenen Filter- und Effektoptionen sich hoher Beliebtheit erfreuen, werden auch Probleme ausgemacht. Positiv fiel ins Gewicht, dass die Filter und Effekte zu experimentellen Spielereien motivieren und bei richtigem Einsatz zum Identitätsschutz beitragen, z.B. wenn durch Maskenfilter die eigenen Gesichter unkenntlich gemacht werden. Für einige Effekte entstünden aber wohl auch Kosten und mit Anwendung der Filter und Effekte würde der Hang zum Perfektionismus gepusht; im Umkehrschluss die Authentizität herabsetzt. Dies kann Auswirkungen auf ethische Werte haben und die Diskussion um verzerrte Schönheitsvorstellungen anfeuern. Ein Teil der Befragten plädiert deshalb dafür, bei der Content-Produktion auf Ehrlichkeit und Authentizität zu setzen.

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Bild: pexels.com

Umgang mit Risiken – Beispiel: Hass und Hetze

Die Sanktionierung von abwertenden, entwürdigenden und anmaßenden Kommentaren seitens der Plattformbetreibenden wurde gruppenübergreifend als nicht ausreichend kritisiert. Hass komme, so die Jugendlichen, auf TikTok im Vergleich zu Snapchat und Instagram überproportional häufig vor. Anlässe für Hate Speech seien u.a. das Nichterfüllen von Darstellungsstandards, das Alter, Aussehen sowie bestimmte Religions- oder Nationalitätszugehörigkeiten. Transportiert werden diese abwertenden Anmerkungen über die Kommentarfunktion, aber auch mittels Reaktionsvideos. Diffamierungen und Anfeindungen sind somit für die gesamte TikTok-Community sichtbar (solange das Profil nicht auf privat gestellt wird). Die schwierige Rückverfolgbarkeit führe zu einer Steigerung der Bereitschaft, Hass-Kommentare zu schreiben, sodass den „Hatern“ formal kaum Barrieren auferlegt werden. Die wichtigste Maßnahme der Kinder besteht darin, die Kommentareingänge regelmäßig zu prüfen und dabei hassgetränkte Botschaften unmittelbar zu löschen. Manche nehmen zudem Kontakt zu den Video-Produzierenden auf.

Verbesserungswürdig: Privatsphäre-Einstellungen

Als kritikwürdig wurden auch die begrenzten Einstellungsmöglichkeiten zur Privatsphäre eingeschätzt. Im Regelfall sind veröffentlichte Videos für die breite Nutzerschaft sichtbar (Account: öffentlich) und von jedem bewertbar; die Veröffentlichung eines Videos in einer begrenzten Gruppe durch Einstellung des Accounts auf privat führt hingegen natürlich zu einem geringeren Bekanntheitsgrad. Auch ist dann der Austausch mit anderen App-Nutzenden reduzierter auf die zugelassenen Kontakte. Popularisierung und hohe Reichweite liegen dementsprechend in der Ferne.

Das Löschen von Inhalten

Bedenken erschlossen sich auch dahingehend, dass gelöschte Videos nicht komplett von der Bildfläche verschwinden, weil sie weiterhin über Messengerdienste in Umlauf gebracht werden können. Bezüglich eigener Fehler betrachten Jugendliche ihre ursprünglich selbst erstellten Videos auch aus der Retrospektive kritisch: Ältere Videos werden nicht selten gelöscht, weil die darin inbegriffenen Selbstdarstellungen gegenwärtig als unreif oder peinlich bewertet werden.

Fazit

In Summe wurden vielzählige dimensionsübergreifende Risiken der TikTok-Nutzung und ebenso hilfreiche Regulierungsmöglichkeiten von den befragten Heranwachsenden erläutert. Positive Aspekte und negative Folgen der App-Verwendung halten sich die Waage. Für manche weibliche Jugendliche verkörpert TikTok eine wichtige Instanz zur spielerischen Erprobung der eigenen Identitätsfindung, da ihnen das Feedback von Gleichaltrigen wichtig ist. Durch die räumliche, emotionale und zeitliche Distanz fällt es nicht nur den Content-Produzierenden leicht, sich mitzuteilen, sondern auch den anderen Usern, ehrlich gemeintes Feedback in Form von Kommentaren und Reaktionsvideos zu entgegnen. Eigene Kommunikationsvorstellungen müssen leider oftmals den Nutzungsbedingungen der Plattform unterworfen werden, um die gewünschte Popularität zu erlangen. Persönliches Eigentum und Inhalte, die eigentlich nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich gemacht werden sollen, können jedoch über TikTok auch schnell einen unübersichtlichen Personenkreis erreichen.

Gemeinschaftsaufgaben: Aufklärung, Bewältigung und Veränderung

Um Jugendliche für ein selbstbestimmtes und gemeinschaftsorientiertes (Erwachsenen-) Leben stark zu machen, müssen sie mit gesundem Selbstvertrauen und der Fähigkeit zur kritischen und selbstreflexiven Analyse ausgestattet werden. Dies gilt genauso für digitale Handlungsräume. Folglich bestehen die Aufgaben medienpädagogischer Akteure darin, Handlungsorientierungen für Jugendliche zu entwerfen, Kenntnisse zum Urheberrecht zu fördern und alternative Darstellungskriterien im Social-Media-Bereich vorzustellen, die die Heranwachsenden in ihrem Selbstbewusstsein und ihrer Authentizität stärken. Auch Begegnungen mit Hasskommentaren müssen akribischer aufgearbeitet und anschließend präventiv aufbereitet werden. Bereits eigeninitiierte Lösungsvorschläge der Kinder könnten zudem direkt an die Plattformbetreibenden kommuniziert werden und möglicherweise positive Veränderungen herbeiführen. Ebenso sollten die Eltern als Ansprechpartner für Probleme und Nachfragen fungieren können und sich dementsprechend mit dem Medienkonsum ihrer Kinder und den Plattformbedingungen auseinandersetzen. Anbieter von Social-Media-Plattformen sollten zudem verwirrende Reglements in ihren Einstellungsmöglichkeiten beseitigen, um einen transparenteren Datenschutz gewährleisten zu können.

 

Links/Quellen:

 

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Über FSF

Die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) ist ein gemeinnütziger Verein privater Fernsehanbieter in Deutschland. Ziel der FSF ist es, einerseits durch eine Programmbegutachtung den Jugendschutzbelangen im Fernsehen gerecht zu werden und andererseits durch Publikationen, Veranstaltungen und medienpädagogische Aktivitäten den bewussteren Umgang mit dem Medium Fernsehen zu fördern. Seit April 1994 lassen die Vereinsmitglieder ihre Programme bei der FSF prüfen, seit August 2003 arbeitet die FSF als anerkannte Selbstkontrolle im Rahmen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV).