Unterwegs nach Santa Teresa – Ist die Zivilisation nur ein Tierversuch?

Breaking Bad Staffeln I – III

Walter White ist ein ganz normaler Mann, von Selbsthass und Zwangsneurosen geplagt, wie wir alle. Ein liebevoller Mann und Vater. Selbst die Ränder des wabbeligen amerikanischen Toastbrots sind ihm zu hart. Er kann es nicht leiden, wenn ein Tisch wackelt, und die Anwesenheit einer Fliege lässt ihn einen Luftkrieg beginnen.
Sein Glauben, ein Leben ohne Demütigungen als Gentleman führen zu können, gerät an Grenzen, als er für sein Überleben eine größere Summe Geldes benötigt. Er kann die Behandlung seiner Krebserkrankung nicht bezahlen, aber auch nicht einfach sterben.

Er hat einen behinderten Sohn, eine jüngere Frau, die schwanger ist, und sein Haus ist nicht abbezahlt. Als Behausung droht seiner Familie ein Pappkarton neben der Shoppingmall. Er will nicht betteln, er will etwas behalten, was den meisten Männern inzwischen scheißegal ist – seine Würde. Es ist immer nur von Respekt die Rede, aber Respekt ist bestenfalls etwas, das andere einem durch Autorität, Status oder Macht entgegenbringen. Respekt ist scheißegal. Das eigentliche Wort ist Würde. Denn Würde ist etwas Innerliches, etwas, das wir nur selber spüren, vor allem in dem klitzekleinen Moment, wenn wir eine Linie übertreten und die Würde verlieren. Das ist ein Vorgang, den wir nur selbst bemerken werden – umso schlimmer. Denn wir selbst stecken in unserer Hülle und sind gezwungen, das ganze Leben in unserer Gesellschaft zu verbringen. Was nützt uns Respekt, wenn wir unsere Würde verloren haben und uns selbst nicht mehr leiden mögen?
Walter White – ein Mann wie wir – wird kriminell, um seine Würde NICHT zu verlieren. Er besinnt sich auf seine Kernkompetenz als Chemielehrer und beginnt, das beste blaue Methamphetamin der Gegend zu produzieren.

Breaking Bad präsentiert selten mehr als drei bis vier Personen an einem Set. Mit minimalistischen Mitteln spielen sie ihre Rollen unter greller Sonne in einer Welt, die unentrinnbar von Bergen eingerahmt ist. Wie ein Mond-Meer über das Koyaanisqatsi-Wolken rauschen – Wüste, Villen im Pueblo-Stil und bunte Decken. Mexiko ist nicht weit und damit das Drogenkartell und Roberto Bolaños Santa Teresa auch nicht – die fiktive, tödliche Stadt der Zukunft.
Neben Walter White tritt Jesse auf, sein junger Adlatus und ewig verlorener Sohn. Er fragt sich, was für einen Sinn es hat, kriminell zu sein, wenn man dadurch so viel Verantwortung trägt. Dann ist da noch Gustavo Fring. Äußerlich macht er den Eindruck, als wäre er der freundlichste und rücksichtsvollste Mensch der Welt, betreibt das Verbrechen aber wie eine Wissenschaft – als eine logische Fortführung von ganz normaler Betriebswirtschaft.

Und Hank, Walter Whites Schwager und DEA-Agent, der wie eine Panzerfaust brennt. Er verfolgt die Droge, als wäre sie die blaue Blume der Romantik. Dafür setzt er seinen Körper ein, seine Seele und seinen Geist. Er ist ein Jäger ohne Grund. „Hoffentlich geht er endlich ins Licht“, wünscht sich Jesse, als Hank von vielen mexikanischen Projektilen getroffen um sein Leben ringt. Während Walters Frau Skyler auf den Schienen ihrer Prinzipien unbeirrbar an der Menschlichkeit vorbeirumpelt.
„Wer von euch will sich unbedingt verändern?“, fragt der Therapeut die Gruppe von Süchtigen. Zögernd gehen die Arme hoch. „Das ist schon euer größter Fehler“, kommentiert der Therapeut. „Ihr werdet nie der Präsident der Vereinigten Staaten sein. Findet euch mit dem ab, was ihr wirklich seid!“
„Und was qualifiziert dich hier über mein Leben zu sprechen?“, fragt Jesse, der glaubt am Tod seiner Geliebten Schuld zu sein. Sie ist neben ihm im Bett an ihrer Kotze erstickt. Liebevoll hat sie ihm noch, nachdem sie die Nadel aus seiner Vene gezogen hat, ein Kissen hinter den Rücken gestopft. Das hat er bei ihr versäumt. „Hast du je etwas wirklich Furchtbares in deinem Leben verbrochen?“ Der Therapeut kann immerhin damit aufwarten, besoffen und auf Koks seine zweijährige Tochter überfahren zu haben.

Das ist in Jesses Augen Qualifikation genug. Er versteht den Ansatz und wird mit dem Entschluss ‚Ich bin der Böse‘ wieder gesund.
Der Mensch wird auf seine Elementarteile reduziert. Wir sind nackt auf dem Objektträger eines Mikroskops. Jeder für sich allein. Zwänge bestimmen unser Leben. Scheinbar unverrückbare Einstellungen und Werte lassen uns auf der Autobahn des Lebens die Spur halten.
Nur der behinderte Sohn Walter White Junior hat noch Gefühle, kann sie verbalisieren und serientypisch beim Zuschauer evozieren. Er ist der einzige Unschuldige.
Der gespenstische Schrecken, den die Droge anrichtet, bleibt einem bei Breaking Bad nicht erspart. Wie vertrocknete Zombies folgen die Süchtigen nur noch ihrer Gier nach ein paar Stunden Glück, nach einer Erholung von ihren zerbrochenen Träumen, nach einem kurzen Moment der Distanz von sich selbst – einem Selbst, mit dem man es nicht mehr aushalten kann.
Zu welchem Typus gehören wir? Wer oder was modert in unseren Kellern? Ein Loch in der Wüste wartet auf alle. Sind wir alle süchtig? Sind wir alle Täter? Gott sei unseren armen Seelen gnädig.

Die ProgrammInfo der Serie Breaking Bad in der FSF-Programmprüfung gibt es hier. Und morgen um 22.00 Uhr  startet auf RTL NITRO die vierte Staffel Breaking Bad.

Über Uli Wohlers

Uli Wohlers ist DiplSoz Päd. Prüfer bei FSK und FSF. Er studierte u.a. Publizistik und Filmwissenschaft in Dublin und Lüneburg und lebt nun als freier Autor in Hamburg, Berlin, Dänemark und on the road. Wohlers textet nicht nur für den fsf blog, sondern schreibt Romane und Drehbücher. Sein aktuelles Werk heißt Projekt Rahanna, 2011 ist der Krimimalroman Die Spur der Schweinebeides bei Braumüller/Wien erschienen.