Fernsehen für alle? Partizipation für alle.

#meinfernsehen2021

 

Der öffentlich-rechtliche Auftrag von ARD, ZDF und Co. ist gerade Gegenstand vieler Initiativen und Aktionen, in denen „Volkes Wille“ ausgelotet wird. Die Medienpolitik der Länder hat sich 2021 zum Ziel gesetzt, den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) zu erneuern, sodass zahlreiche Medienkongresse und Veranstaltungen in diesem Jahr im Kern die Grundfrage beinhalten: Wie soll sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk zukünftig aufstellen, wenn er auf eine breite gesellschaftliche Akzeptanz in einer immer fragmentierteren Gesellschaft treffen soll? Um der Antwort dieser Frage näherzukommen, haben die beiden Großprojekte ARD-Zukunftsdialog und #meinfernsehen2021 zu einem aktiven Beteiligungsprozess aufgerufen. Während in diesem Beitrag die Ergebnisse des Partizipationsprojektes #meinfernsehen2021 vorgestellt werden, da dieses Projekt abgeschlossen ist, befinden sich die Beiträge der Bürgerresonanz des ARD-Zukunftsdialogs noch in der Auswertung und werden im November 2021 bekannt gegeben.

„Wie sieht das Fernsehen der Zukunft aus?“

So lautete die zentrale Frage der Partizipationsplattform #meinfernsehen2021 und darin intendiert: „Ist der Auftrag des ÖRR noch zeitgemäß? Der gemeinsamen Initiative von Grimme-Institut, Bundeszentrale für politische Bildung/bpb und Düsseldorfer Institut für Internet und Demokratie (DIID) lagen drei Phasen der Zuschauerbeteiligung von November 2020 bis März 2021 zugrunde. Die Ergebnisse wurden am 27. Mai 2021 im Rahmen einer Tagesveranstaltung veröffentlicht und u.a. mit Senderverantwortlichen, Vertretern aus der Fernsehbranche, Medienkritik, Medienforschung und Aufsicht sowie Interessierten erörtert. Die Ergebnisse basieren nicht auf einer repräsentativen Befragung, sodass letztlich nicht die Sichtweisen der Gesamtbevölkerung, sondern „nur“ die der Teilnehmenden abgebildet wurden.

Reformbedarf beim ÖRR

Fast 700 Menschen haben sich mit ca. 3.600 Wortbeiträgen während des Projektzeitraums online beteiligt und somit ihre Form der Partizipation wahrgenommen. Aus den Ergebnissen des Beteiligungsprojektes geht hervor, dass eine große Einigkeit über den Reformbedarf des öffentlich-rechtlichen Rundfunks herrscht. Dazu gehört u.a. die Technik zu modernisieren und die Mediatheken zu optimieren. Viele Stimmen wünschen sich aber auch mehr Transparenz und eine stärkere Einbindung des Publikums bei der Programmgestaltung. Zudem solle weniger die umstritten ermittelte Quote Ausschlag für das Programm geben als mehr auf die Qualität der Sendungen geachtet werden.

Strittig wurden die Punkte gegenderte Sprache, die Anzahl der Sender (Regionalität) und die Inhalte der Sendungen gesehen. Die Meinungen differierten in der Diskussion auch bei folgenden Punkten: Soll der Anteil an leichter Unterhaltung zu Lasten hochwertiger kultureller Angebote gehen und die Qualitätsdokumentationen zu publikumswirksameren Zeiten ausgestrahlt werden? Im Abstimmungsverfahren entschied die Mehrheit: nein. Auch wurde sich nach eingehender Diskussion mehrheitlich für einen höheren Sendezeitanteil an Informationsangeboten entschieden.

Ist das lineare Fernsehen noch von Bedeutung?

Da die Beteiligten am Partizipationsverfahren im Alter zwischen 30 und 79 Jahren waren, gab die bpb eine Fokusgruppenstudie in Auftrag, die 14- bis 17-jährige Jugendliche zu ihrem Nutzungsverhalten befragte. Während nämlich die ältere Befragungsgruppe sich für die bestehende Anzahl der Sender und mehr aktuelle regionale Berichterstattung im Fernsehen aussprach, traf dies auf die jüngere Zielgruppe der SINUS-Studie nicht zu. Auch unterschieden sich die beiden Altersgruppen in ihrer Ansicht, ob aktuelle gesellschaftsrelevante Themen Eingang in fiktionale Formaten finden sollen. Die „Älteren“ wünschen sich dies weniger, die „Jüngeren“ hätten gern mehr gesellschaftlich relevante Debatten in fiktionalen Stoffen. Wie also ein Fernsehen für alle konzipieren? Uneinigkeit herrschte auch hinsichtlich der Weiterverbreitung öffentlich-rechtlicher Inhalte auf anderen Kanälen und großen Plattformen. Wenig überraschend kam dabei heraus: die Jüngeren sind dafür, die Älteren sind aufgrund der Finanzierungsgrundlage dagegen.

YouTube: #meinfernsehen2021 – Höhepunkt: Veranstaltung am 27.05.2021 (Beginn: ab Minute 28:58)
Alle Videos zu dem Projekt gibt es in dieser Playlist: youtube.com

Ausgewogenheit

Als ein Thema von großer Tragweite entwickelte sich die mehr oder weniger ausgewogen empfundene Darstellung und Präsentation von Nachrichten. So wurde die Grenze zwischen Informationsvermittlung und Meinungsfärbung von den Zuschauenden kritisch hinterfragt und die vielfältige Darstellung gesellschaftlicher Realitäten im ÖRR vermisst. Diese Themen fanden in den Panel-Diskussionen ihren Raum. Mit dem Panel Politische Ausgewogenheit & Neutralität wurden im Kreis von Medienpolitik, Medienforschung und Medienmachern erörtert, ob es im ÖRR eine ausgewogene und neutrale Berichterstattung im Sinne von Objektivität, Professionalität, Überparteilichkeit und sozialer Repräsentation gibt. Dabei wurde v.a. die Qualität der Sendungen selbstkritisch unter die Lupe genommen und zumindest von einzelnen Panel-Teilnehmenden eine „problematische Tendenz zur Einseitigkeit“ festgestellt.

Mangelnde Diversität vor und hinter der Kamera sowie auch in der Themenauswahl, zu wenig Vielfalt in der Programmgestaltung sowie eine unzureichend abgebildete Lebensrealität im Programm – diese aus der Zuschauerbefragung hervorgegangenen Wortbeiträge wurden im zweiten Panel debattiert.

Auch im weiteren Verlauf der Tagung wurden die Befunde aus der Befragung Gegenstand des diskursiven Austauschs. (Gesamte Tagung: hier abrufbar)

Handlungsempfehlungen

Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass es große Unterschiede zwischen den Generationen und deren Ansprüche an dem ÖRR gibt. Als Fazit entwickelten die Projektinitiatoren einige Handlungsempfehlungen für den ÖRR. Unter anderem sollten Entscheidungen und Strukturen transparenter vermittelt und die Verbindung zwischen Entscheidungsträgern und Publikum gestärkt werden. Dies könne in Form von neuen Kommunikationskanälen geschehen, denn schließlich solle ein Qualitätsdiskurs für alle eröffnet werden, sodass die Diskussion über die Qualität des Fernsehens nicht nur von und mit Experten geführt wird, sondern die Bürger miteinbezieht. Es wird eine produktive Veränderung des ÖRR erhofft, die eine ernsthafte Form eines differenzierten Austauschs und der aktiven Mitgestaltung Interessierter ermöglichen sollte.

Wissenslücke: Finanzierungsmodell

Insgesamt betrachtet ermöglichte das Partizipationsverfahren auch Einblicke in Wissenslücken der Beteiligten über das Finanzierungsmodell des ÖRR, zur Gremienzusammensetzung und hinsichtlich der Entscheidungskompetenz der Länder. Inhalt und Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Auftrags sollten nicht als bestehendes Basiswissen in der Gesellschaft erwartet werden. Vielmehr muss dies über Einrichtungen der Medienbildung, der Medienpolitik und letztlich des ÖRR selbst vermittelt werden, um eine höhere Zustimmung für den Auftrag und die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, bei dem sich die Beteiligten ein Mitspracherecht wünschen, zu gewinnen.

Intransparenz vs. Öffentlichkeit

Aus dem Dialog über die Beteiligungsplattform lässt sich jede Menge mitnehmen, v.a. konstruktive Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk und darüber hinaus. Nun frage ich mich, wie sollten die Begriffe „Partizipation“ und „Transparenz“ grundsätzlich definiert werden, wenn selbst einige Rundfunkräte mangelnde Transparenz und nicht nachvollziehbare Entscheidungsprozesse bemängeln?

Ob und/oder wie sich die Ergebnisse des ARD-Zukunftsdialogs von denen zu #meinfernsehen2021 unterscheiden, bleibt mit Spannung abzuwarten.

 

Quellen:

Links geprüft am 01. Juli 2021

Über Sandra Marquardt

Sandra Marquardt hat 2010 ihr Magisterstudium in Filmwissenschaft und Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der FU Berlin abgeschlossen. Bis 2022 arbeitete sie als Onlineredakteurin bei der FSF.