Kein Lächeln zu sehen

Regisseure und Produzenten beschreiben, wie sich beim Drehen unter Pandemie-Bedingungen ein Corona-Filter über die Filme legt

 

Es ist schon seltsam: Unterhaltungsshows müssen ohne Studiopublikum auskommen, in den Talkshows halten die Teilnehmenden Abstand, aber Filme und Serien sehen so aus wie immer; selbst wenn sie unter Corona-Bedingungen gedreht worden sind. Bis auf wenige Ausnahmen wie die ZDF-Serie Schlafsache wird die Pandemie in den fiktionalen Produktionen nicht thematisiert; abgesehen vom letzten Nachtschicht-Krimi im „Zweiten“ sieht man auch nie Menschen mit Mund-Nasen-Schutz. ZDF-Programmdirektor Norbert Himmler erklärt das mit der Einschaltmotivation der Zuschauenden: „Die Menschen suchen nach Unterhaltung und Eskapismus, um den Stress des Alltags zumindest vorübergehend zu vergessen.“
Joachim Kosack, als Geschäftsführer der UFA unter anderem für tägliche Serien wie Gute Zeiten, schlechte Zeiten (GZSZ, RTL) oder Verbotene Liebe – Next Generation (TVNOW) zuständig, verweist auf einen ganz anderen Aspekt: „Wir haben darüber diskutiert, ob wir die Pandemie berücksichtigen sollen, dann aber darauf verzichtet, weil die Masken ja nicht nur einen Schutz darstellen, sondern gewissermaßen ein Symbol für viele andere Maßnahmen sind; das wäre viel zu kompliziert geworden.“ Auch er verweist auf das Bedürfnis nach einer Flucht aus dem Alltag: „Wenn sich sowieso alles um Corona dreht, wollen die Zuschauer in GZSZ nicht auch noch Wolfgang Bahro mit Maske sehen.“

 

Die UFA-Serien entstehen größtenteils im Studio. Man sieht zwar Unterschiede zu früheren Jahren, weil sich die Mitwirkenden nicht berühren, aber Produktionen, die zu erheblichen Teilen unter freiem Himmel gedreht werden, stehen naturgemäß vor ganz anderen Herausforderungen, wie Mathias Lösel schildert. Der filmpool fiction-Produzent ist für die auf den Romanen von Jean-Luc Bannelec basierende ARD-Donnerstagskrimireihe Kommissar Dupin (Degeto) zuständig. Der neunte Roman, Bretonische Spezialitäten, spielt in Saint-Malo, dort sollte natürlich auch gedreht werden. Während der ersten Drehwoche Ende September 2020 wurde die Region zum Hochrisikogebiet hochgestuft. In der Altstadt mit ihren engen Gassen besteht rund um die Uhr Maskenpflicht. Die Dreharbeiten stellten daher laut Lösel „gerade für die Kamera-, Technik- und Ausstattungs-Teams eine große körperliche Belastung dar, weil sie zum Teil bis zu zwölf Stunden auf den Beinen waren und dabei stets eine FFP2-Maske tragen mussten. Der behördliche Aufwand war ebenfalls enorm.“

 

Regisseur Niki Stein, der den letzten NDR-Tatort mit Wotan Wilke Möhring und Franziska Weisz (Macht der Familie) unter Pandemie-Bedingungen gedreht hat, ist trotzdem überzeugt, dass man die „Corona-Filme“ in einigen Jahren klar identifizieren könne. Merkmale seien zum Beispiel die niedrigere Komparsenzahl oder die Reduzierung von Schauspielereinsätzen. Auch Motivbewilligungen würden nicht mehr ohne Weiteres erteilt: „Wer lässt in Pandemiezeiten schon gern ein fünfzigköpfiges Filmteam in sein Haus?“ Viele Szenen würden daher in den öffentlichen Raum verlegt, aber auch das sei oft problematisch: „Schon in der Vergangenheit wurden Flughäfen und Bahnhöfe immer mehr zu ‚No-go-areas‘; in der Pandemie werden auch Schulen, Krankenhäuser, Sportstätten und sogar Hafen-Terminals zu Problemzonen. Letztlich bleiben bloß Wälder, Felder, leer gefegte Straßen; Corona legt sich wie ein Filter über den Film.“

Foto von Martin Lopez von Pexels
Foto von Martin Lopez von Pexels

Die Produktionsbranche ist froh, überhaupt drehen zu können, deshalb beschwert sich natürlich niemand über die Hygieneauflagen. Die daraus resultierenden Mehrausgaben liegen bei einem durchschnittlichen Fernsehfilm laut Sebastian Werninger, Geschäftsführer der UFA-Sparte UFA Fiction, bei einer Summe zwischen 70.000 und 100.000 Euro. Theoretisch übernehmen die auftraggebenden Sender diese Kosten zu hundert Prozent. Weil im Einzelfall aber offenbar nicht immer klar ist, welche Ausgaben tatsächlich coronabedingt sind, bleiben die Produktionsfirmen offenbar auch schon mal auf einer fünfstelligen Summe sitzen. Wenn sich das summiere, sagt ein Produzent, könne einem Unternehmen sogar die Insolvenz drohen.

 

Davon abgesehen haben die Hygieneauflagen durchaus Folgen für die Arbeit am Set, wie Stein beschreibt: Als erstes habe er Team, Besetzung und Komparserie weitestgehend minimiert, um numerisch das Ansteckungsrisiko zu senken. Außerdem habe er die Drehorte so ausgewählt, dass sich dort das Drehteam und die Schauspielenden nicht auf den Füßen stehen. Einen Film mit Maßstab und Mindestabstand zu drehen, laufe seiner Ansicht nach jedoch „der Hauptidee des Filmemachens, nämlich der Abbildung menschlichen Verhaltens, zuwider: So verhält sich Mensch, wenn überhaupt, nur in der Pandemie.“ Stein, für das Scientology-Drama Bis nichts mehr bleibt (ARD) mit dem Bayerischen Fernsehpreis für Buch und Regie ausgezeichnet, hat die Maskenpflicht als „ungeheuer anstrengend“ empfunden, „weil man als Regisseur dauernd reden muss, erklären, Kommandos geben. Unter der Maske wird das zur Tortur. Die Mimik ist eben doch ein ganz entscheidender Kommunikationsfaktor; die Verständlichkeit hinter einer Maske stößt schnell an ihre Grenzen.“

 

Grimme-Preisträger Miguel Alexandre (Grüße aus Kaschmir, ARD) ist es ganz ähnlich ergangen. Der Regisseur diverser Großprojekte wie Die Frau vom Checkpoint Charlie (ARD) oder Starfighter (RTL) hat während der Pandemie auf der Insel Amrum einen Spielfilm für Netflix gedreht. Durch die Insellage seien Team und Ensemble quasi in einer Quarantänesituation gewesen, alle hätten sich isoliert und keinerlei privaten Besuch gehabt. Trotzdem habe es neben regelmäßigen Tests auch eine Maskenpflicht gegeben, weshalb auch er sich stark eingeschränkt gefühlt habe: „Wo früher ein Blick in Verbindung mit einem leisen Lächeln genügte, um einen Schauspieler oder eine Schauspielerin wissen zu lassen, dass man von der Performance berührt ist, muss man jetzt auf verbale Kommunikation setzen. Das ist aber nicht das Gleiche.“ Ihm sei durch die Pandemie klar geworden, „wie sehr wir auf unsere Mimik angewiesen sind, um mit Menschen in Kontakt zu treten. Im Bereich des Filmemachens ist das eine riesige Hürde, wenn man eine Maske trägt, da es doch ständig um Zwischentöne in der Kommunikation geht. Auch körperliche Berührung gehört dazu, ein sanfter Griff an die Schulter, an den Arm, eine Umarmung. All‘ das sind Mittel im täglichen Umgang, um die Solidarität und Empathie für die Arbeit seines Gegenübers kommunizieren.“

 

Regiekollege und Grimme-Preisträger Kilian Riedhof (Homevideo, ARD) ist bei den Dreharbeiten zu seinem Kinofilm Meinen Hass bekommt ihr nicht mitten in den Beginn der zweiten Welle geraten. Das Team sei damit sehr professionell und diszipliniert umgegangen: „Die PCR-Tests waren seriös organisiert, fanden vor Drehbeginn statt und fraßen praktisch keine Zeit.“ Den „Lockdown light“ im Oktober habe er einerseits als Segen empfunden, „weil sich niemand nach Drehende in einer Kneipe infizieren konnte“, aber andererseits habe das soziale Element sehr gefehlt: „Aufstehen, arbeiten, schlafen und wieder aufstehen – das ist auf Dauer schon très triste.“ Am nervenzehrendsten sei die Situation allerdings für die Produktionsfirma Komplizen Film gewesen: „Wir drehten in einem Studiobau mit einem dreijährigen Kind in einer größeren Rolle. Ein positiver Corona-Fall im Drehteam hätte einen Abbruch der Dreharbeiten, einen völligen Neuanfang und damit drastische finanzielle Folgen haben können.“

 

Auch deshalb merkt Kosack an, man dürfe „nicht vergessen, dass über jeder Produktion ein Damoklesschwert schwebt, weil man immer damit rechnen muss, dass die Dreharbeiten gestoppt werden. Natürlich gab es ein gewisses Risiko schon immer, weil ein Hauptdarsteller die Treppe runterfallen und sich ein Bein brechen konnte; aber dann ist die Versicherung eingesprungen. Bei Corona liegen die Dinge ganz anders.“ Davon abgesehen hofft der UFA-Geschäftsführer, „dass die Gesellschaft während der Pandemie eine Achtsamkeit und Sensibilität für den Infektionsschutz entwickelt hat, die uns erhalten bleibt. Wenn früher eine Hauptdarstellerin am letzten Drehtag erhöhte Temperatur hatte, hieß es: ‚Nimm eine Tablette, das schaffen wir schon.‘ Das würde heute niemand mehr sagen.

 

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Über Tilmann P. Gangloff

Tilmann P. Gangloff ist Journalist und Autor. Er lebt und arbeitet in Allensbach am Bodensee. Als freiberuflicher Medienfachjournalist sowie Fernseh- und Filmkritiker arbeitet er für Fachzeitschriften wie epd medien, Blickpunkt:Film, tv diskurs, das Internetportal tittelbach.tv und diverse Tageszeitungen. Schwerpunktgebiete seiner Arbeit sind Fernsehfilme, Programmentwicklung, Formatfernsehen, Jugendmedienschutz und Kinderprogramme.