Schauspieler fürchten Impfpflicht durch die Hintertür

Vor einigen Wochen sorgte die österreichische Schauspielerin Eva Herzig für Schlagzeilen, als sie verkündete, sich nicht gegen das Coronavirus impfen lassen zu wollen. Das Drehbuch für die kommende Episode der ORF-Landkrimi-Reihe aus der Steiermark wurde daraufhin entsprechend überarbeitet; die demnächst beginnenden Dreharbeiten werden ohne Herzig stattfinden. Weil es ein ausländischer Vorgang ist, wollen sich deutsche Sender und Produktionsfirmen nicht dazu äußern. Auch der Bundesverband Schauspiel beschränkt sich auf eine knappe Antwort: „Die Entscheidung, sich nicht impfen zu lassen, rechtfertigt in keiner Weise eine arbeitsrechtliche Kündigung.“

Schauspieler fürchten dennoch eine Impfpflicht durch die Hintertür, zumal am 30. September der Ausfallfonds für TV-Produktionen endet. Dieser Fonds springt ein, wenn Dreharbeiten trotz Einhaltung der Sicherheitsmaßnahmen unterbrochen werden müssen, weil Mitwirkende oder Mitglieder der Crew positiv auf das Coronavirus getestet worden sind. Ab dem 1. Oktober, mutmaßt ein vielbeschäftigter Schauspieler, „würde ein Produzent in so einem Fall komplett auf den Kosten sitzenbleiben, wenn er eine Produktion unterbrechen muss, weil es einen positiven Test bei einem Ensemblemitglied gab. Ein Teammitglied kann ausgetauscht werden, ein wichtiger Schauspieler nicht.“ Er vermutet, dass die Produktionsfirmen spätestens im Herbst, wenn die sogenannte vierte Welle anrolle, „keine ungeimpften Menschen mehr ans Set lassen. Das wäre aus unternehmerischer Sicht ein viel zu großes Risiko.“

In der Branche gehen viele daher davon aus, dass eine Impfung bereits ein Auswahlkriterium bei der Besetzung sein werde. Spätestens beim Casting stelle sich raus, ob Schauspielerinnen und Schauspieler geimpft seien. Ein Vorwand für eine Ablehnung, heißt es, finde sich immer. Es wird auch nicht ausgeschlossen, dass Agenturen damit werben würden, wenn ihre Klientinnen und Klienten geimpft seien. Fraglich ist zudem, ob auch weiterhin getestet wird, wenn alle Anwesenden am Set geimpft sind. Der zitierte Schauspieler beziffert die Kosten für regelmäßige Tests auf 70.000 bis 80.000 Euro pro Film. Das werde sich kein Unternehmen auf Dauer leisten können, zumal sich die Sender mit Hinweis auf die fehlende Testpflicht bei geimpften Personen irgendwann weigern könnten, sich an diesen Kosten zu beteiligen. Er vermutet daher, dass die Produzenten ab dem 1. Oktober auf Tests verzichten werden, wenn alle Beteiligten geimpft seien: „Es könnte ja trotzdem jemand positiv sein.“ Derzeit würden täglich Schnelltests sowie mehrmals pro Woche PCR-Tests durchgeführt, die Testunwilligkeit steige jedoch mit der Zahl der Impfungen. Einige Hygieneauflagen ließen sich ohnehin nicht immer konsequent durchführen. So könnten zum Beispiel die Abstandsregeln zum Team „gar nicht immer eingehalten werden, weil man bei Dialogszenen als Anspielpartner neben der Kamera stehen muss.“ Weil in solchen Momenten die Mimik wichtig sei, könnten die Schauspieler nicht ständig Maske tragen, selbst wenn sie nicht im Bild seien.

Trotzdem haben sich die Maßnahmen, die die Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse (BG ETEM) im Frühjahr 2020 in Abstimmung mit der Allianz der Film- und Fernsehproduzenten entwickelt hat, offenbar bewährt. Herzstück ist ein Schutzstufenkonzept inklusive Testmaßnahmen und Schutzzeiten, das laut Juliane Müller, bei der Allianz Ansprechpartnerin für Arbeitsschutz- und Hygienemaßnahmen, im Wesentlichen nach wie vor gültig sei. Gerade das differenzierte Schutzstufenkonzept habe sich als wirkungsvoll erwiesen: „Mitwirkende werden danach klassifiziert, wie eng und lange sie Kontakt mit anderen Personen am Set haben. Darstellende, die nur sehr kurz den Mindestabstand unterschreiten und keine Sprechszenen haben, werden demnach anders behandelt als solche, die eine Kuss- oder Kampfszene drehen.“ In den höheren Schutzstufen seien die Maßnahmen in Form engmaschiger Testmaßnahmen und  Schutzzeiten deutlich strenger. Die überwiegende Mehrheit der Produzenten habe zudem freiwillige Maßnahmen ergriffen, die über die Handlungshilfen hinausgehen: „Wie gut sich die Branche an die Auflagen gehalten hat, zeigt sich unter anderem daran, dass der Ausfallfonds kaum in Anspruch genommen werden musste.“

Foto von Martin Lopez von Pexels
Symbolbild: Foto von Martin Lopez von Pexels

Tatsächlich ist die Film- und Fernsehbranche im Vergleich etwa zur Gastronomie auch dank der strengen Hygieneauflagen mit einem blauen Auge durch die Pandemie gekommen, selbst wenn die Produzentenallianz mitteilt, dass fast 30 Prozent der befragten Mitglieder die Coronapandemie und ihre Folgen als existenzbedrohend bezeichnet hätten. Der Rückgang im Produktionsvolumen des letzten Jahres sei im Vergleich zu 2019 zwar gering gewesen, doch die Umsätze und vor allem die Gewinne seien laut Müller, Projektleiterin für die Sektion Entertainment, bei zwei Dritteln der Mitglieder deutlich zurückgegangen. Das wiederum legt die Frage nahe, ob die Sender wirklich in jedem Fall ihrer öffentlichen Ankündigung gefolgt sind und die coronabedingten Mehrausgaben zu mindestens 50 Prozent übernommen haben. Am Ende, sagt ein Mitglied der Produzentenallianz, „ist das Budget das Budget: Offiziell tragen die Sender die Mehrausgaben, inoffiziell erwarten sie von den Unternehmen, dass sie das Geld an anderer Stelle wieder einsparen. Das ist immer auch eine Frage des Verhandlungsgeschicks.“ Den Firmen, heißt es, bleibe nichts anderes übrig, als einzuwilligen: „In der Not frisst der Teufel Fliegen.“ Nennenswerte Sparmöglichkeiten gebe es allerdings kaum noch, weil die Budgets schon jetzt äußerst eng konzipiert seien. Viele Produzenten würden daher zähneknirschend zustimmen und hoffen, dass die Gewinne wieder wachsen, wenn die Pandemie überwunden ist.

Auch das Fazit des Schauspielers fällt positiv aus: „Alles ist extrem gut organisiert.“ Die Dreharbeiten seien allerdings oft eine logistische Herausforderung, weil große Gruppen mit wenigen Statisten simuliert werden müssten. Für viele öffentliche Motive wie etwa Krankenhäuser, Schulen oder Verkehrsmittel gebe es zudem keine Dreherlaubnis. Dennoch sei die Stimmung lange positiv gewesen: „Alle waren froh, dass sie arbeiten durften“, selbst wenn es aufgrund der Masken und der Abstandsregelung deutlich schwerer falle, einen Teamgedanken zu entwickeln. „Filmteams sind ein fröhlicher, kontaktfreudiger Haufen. Mit Masken fällt es schwer, persönliche Kontakte zu knüpfen.“ Müller spricht allerdings von einer „gewissen Unruhe“, weil es noch keine allgemeine Ausnahmeregelung für Geimpfte und Genesene gebe; auf alle Beteiligten würden dieselben Regeln angewendet. Es sei für viele Produzenten jedoch immer schwerer nachzuvollziehen, „warum die Auflagen der BG ETEM für Dreharbeiten um ein Vielfaches strenger sind als etwa im Fußball.“ UFA-Geschäftsführer Joachim Kosack versichert jedoch: „Auch wenn wir einige Maßnahmen lockern konnten, halten wir uns weiterhin streng an die Hygieneauflagen. Nach über einem Jahr Corona haben sich die Mitarbeitenden an die Hygieneregeln gewöhnt und sie in ihren Alltag integriert. Darüber hinaus konnten wir für viele unserer festen Produktionen über die Betriebsärzte Impfungen anbieten und unterstützen das sehr.“

Bleibt noch die Frage, ob die Sender wegen ihrer Beteiligung an den Mehrkosten weniger Filme und Serien in Auftrag geben. Bislang ist das offenbar nicht der Fall. Die Mediengruppe RTL hat ihre Investitionen laut Hauke Bartel (Bereichsleiter Fiction) im vergangenen Jahr verdoppelt, „und in diesem Jahr verdoppeln wir sie noch mal.“ Auch Christoph Körfer, Sprecher der Sender ProSieben und Sat.1, sagt, Covid 19 habe zwar die Produktionen beeinflusst, aber nicht das Produktionsvolumen, denn abgesagte Produktionen seien durch neue ersetzt worden. Die Präventionsmaßnahmen hätten die Budgets im Schnitt um knapp 3 Prozent erhöht. Auch bei ARD und ZDF sind fast alle geplanten Produktionen realisiert worden. Hier liegen die coronabedingten Mehrausgaben im zweistelligen Millionenbereich.

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Über Tilmann P. Gangloff

Tilmann P. Gangloff ist Journalist und Autor. Er lebt und arbeitet in Allensbach am Bodensee. Als freiberuflicher Medienfachjournalist sowie Fernseh- und Filmkritiker arbeitet er für Fachzeitschriften wie epd medien, Blickpunkt:Film, tv diskurs, das Internetportal tittelbach.tv und diverse Tageszeitungen. Schwerpunktgebiete seiner Arbeit sind Fernsehfilme, Programmentwicklung, Formatfernsehen, Jugendmedienschutz und Kinderprogramme.