FSF-Prüferfortbildung zum Thema „Ab 16 oder ab 18? Die Verarbeitungsfähigkeiten Jugendlicher und die schwierige Abgrenzung zum Erwachsenenfernsehen“, am 18. April 2016 in Berlin
In den letzten Jahren haben sich sowohl die soziokulturellen Rahmenbedingungen als auch die technischen Möglichkeiten für Darstellungen von Gewalt verändert. Nicht nur die Zahl der Gewaltdarstellungen hat dabei (wieder einmal) zugenommen. Ihre Inszenierung ist ausgefeilter und drastischer geworden, auch scheinen sie legitimer, akzeptierter und rezipierbarer zu sein. Bewertungsstandards haben sich verändert, das Publikumsinteresse ist groß. Der Kinder- und Jugendmedienschutz verortet härtere Gewalt bzw. deren Darstellung in der Regel in das Spätabend- und Nachtprogramm, also die Altersgruppen ab 16 Jahren.
Eine schwierige Aufgabe bei der Programmprüfung ist somit die Unterscheidung zwischen einer Sendung für Jugendliche ab 16 (Spätabendprogramm) und der Freigabe ab 18 Jahren (Nachtprogramm), also für Erwachsene.
Zu klären sind dabei Fragen nach Kontext, Inszenierung, Bewertung. Wann überwiegt der Sport- und Wettkampfcharakter bei Mixed-Martial-Art-Kämpfen (Ultimate Fighting Championship: ab 16) und ab wie viel harten Tritten und Schlägen gegen den Kopf des Gegners verselbständigt sich der Gewalteinsatz, wird zum Selbstzweck (UFC: ab 18)? Ist Zombiegemetzel und Überlebenskampf in Verbindung mit einer adäquaten moralischen Diskussion noch vertretbar (The Walking Dead: überwiegend ab 16), oder geraten sie ohne eine solche in den Bereich der Jugendgefährdung (Z-Nation: überwiegend ab 18, mitunter sendeunzulässig)? Präsentiert das Programm eine Art von Lust an Gewalt (Banshee: in Teilen ab 18 Jahren) oder eine Form von Lust an der Gewaltdarstellung (Kill Bill: Vol.1, ab 16 Jahren).
Doch ist eine Unterscheidung zwischen dem 16-jährigen Jugendlichen und dem 18-jährigen Erwachsenen überhaupt noch zeitgemäß und zielführend? Auskunft erhoffte sich die versammelte FSF-Community von Prof. Dr. Uwe Sander (Universität Bielefeld), der in seinem Vortrag „Wählen ab 16, Führerschein ab 17, Filmfreigabe ab 18 – Wann sind Heranwachsende selbstständig?“ bezüglich der Persönlichkeitsentwicklung von Jugendlichen in soziokultureller Hinsicht (Mode, Konsum, Sexualität, Musik, eigene Lebensmuster, Freizeit) auf eine „tendenzielle Verfrühung“ hinwies, im Bereich der sozialökonomischen Autonomie (Ausbildung, Ehe, Kinder, Beruf, „eigene Existenz“, richtiges Erwachsenenalter) jedoch eine „tendenzielle Verspätung“ feststellte.
Da es den klassischen Jugendlichen heute nicht mehr gäbe, würden auch klassische Gesetzgebungen obsolet sein. Die Frage nach der Auflösung der Unterscheidung zwischen einer Freigabe ab 16 und 18 Jahren durch Abschaffung der 18er verneinte aber auch er, bestünde doch dann die Gefahr einer Verrückung der Nachtprogramminhalte ins Spätabendprogramm (worauf Fernsehwissenschaftler und FSF-Prüfer Prof. Dr. Lothar Mikos einwarf, dass auch die Gefahr der Vermehrung von als sendeunzulässig eingestuften Programme größer würde).
Auch wenn Sanders Ausführungen keine unmittelbaren Rückschlüsse für die FSF-Prüfpraxis zum Ziel hatten, war sein Plädoyer für das Problematisieren und Hinterfragen klassischer Jugendmedienschutzbegriffe wie Jugendaffinität, sozialethische Desorientierung, Desensibilisierung oder Gewaltästhetisierung instruktiv.
Die bewährte Form der Sichtung ausgewählter Programmbeispiele zum Thema (American Horror Story, Sons of Anarchy, The Walking Dead) mit anschließender Diskussion in simulierten Prüferrunden machte deutlich, dass die Einschätzungen sowohl der Prüfer untereinander aber auch der Sendervertreter dicht beieinander liegen. „Unsere Bewertungskriterien sind gar nicht so unklar“, resümierte Christina Heinen (FSF-Programmprüfung), und Differenzierungskompetenz ist, wenn notwendig, vorhanden.
Mit dem Hinweis, dass Medieninhalte – abgesehen von politischen Verwerfungen zu erzeugen – auch 22- oder 62-Jährige zu beeinträchtigen im Stande sind, ging die Fortbildung zu Ende. Das letzte Wort gehörte daher auch hier Bundeskanzlerin Angela Merkel, wenn auch in jungen Jahren. In einer schon allein unter Gender-Aspekten heute befremdlich anmutenden Diskussionsrunde (Explosiv – Der heiße Stuhl, 1992), musste sich die damals 38-jährige Bundesministerin für Frauen und Jugend in Fragen des Kinder- und Jugendmedienschutzes gegen eine geballte Männerrunde (Prof. Dr. Jürgen Grimm, Prof. Joachim von Gottberg, Dietrich Kuhlbrodt, Christoph Schlingensief, Wilfried Baasner) verteidigen, was selbstverständlich gelang.