Serious Games – von Unterhaltungsspielen mit Lerneffekt

Die Gamingindustrie hat den Ruf, vor allem Unterhaltungsmedien zu Tage zu fördern. Doch gehen die Themen in diesen Spielen deutlich tiefer. Serious Games nennt sich die Kategorie, die ein unterhaltendes Spielerlebnis mit nachhaltigem Lerneffekt zu verknüpfen sucht. Was genau diese Art der Spiele ausmacht, erläutert uns Thomas Tregel., M. Sc., der sich seit 2016 an der TU Darmstadt am Fachgebiet Multimedia Kommunikation in der Forschungsgruppe Serious Games intensiv mit dieser Thematik befasst. Tregel forscht v.a. im Bereich der automatisierten Inhaltsgenerierung und Spieleranpassung für location based games. Bei KOM, dem Multimedia Communication Lab der technischen Universität Darmstadt, werden technisch fokussierte Prototypen entwickelt und die positiven Effekte auf den Spielenden erforscht.

Das Erzielen eines positiven Lerneffekts, auch „characterizing goal“ genannt, ist das vorrangigste Merkmal von Serious Games gegenüber anderen Unterhaltungsspielen. „Die Abgrenzung findet klar in diesem zusätzlichen characterizing goal statt. Ein Serious Game hat also ein Unterhaltungsspiel als zentrale Grundlage und bedient dann zusätzlich ein ausgewähltes characterizing goal.“, erklärt Tregel. Dieser Unterschied mache sich bereits in der Produktion solcher Spiele bemerkbar. „Ein Serious Game benötigt analog zu klassischen Unterhaltungsspielen eine Vielzahl von verschiedenen Akteuren unterschiedlichster Disziplinen. In klassischen Unterhaltungsspielen sind dafür nur mal zu nennen: Artists (Grafik/Sound), Level Designer, Game Designer, ggf. Engine- und Tools-Programmierer sowie jede Menge QA. Dazu kommen für Serious Games eben noch die „Serious Aspekte“, die von Fachleuten aus den entsprechenden Disziplinen fundiert eingebracht werden müssen, wie etwa Sportwissenschaften, Pädagogik oder Medizin.“
Allerdings ist auch die Unterhaltungscharakteristik ein notwendiger Bestandteil, um eine weitere Abgrenzung zu schaffen. „Sämtliche „Gamification“-Anwendungen (sind) keine Serious Games, da deren Vorgehen genau den umgekehrten Ansatz verfolgen: Zu einem Element einer ernsthaften Anwendung vereinzelt Spielkomponenten hinzuzufügen”. Gemeint sind beispielsweise Anwendungen wie Fitness-Apps, die mit Punkten und anderen Belohnungsmechanismen arbeiten. Serious Games befinden sich also gewissermaßen zwischen Unterhaltungsspielen und Lernprogrammen.

Diese sogenannten characterizing goals können sich auf unterschiedlichste Kategorien beziehen. So beschäftigt sich die Forschungsgruppe Serious Games der TU Darmstadt beispielsweise mit Projekten, die einen ökonomischen oder gesundheitsfördernden Ansatz verfolgen. Das vom Land Hessen geförderte LOEWE-Projekt (LandesOffensive zur Entwicklung Wissenschaftlich-ökonomischer Exzellenz) beschäftigt sich mit der Förderung von umweltfreundlichen Mobilitätsverhalten. „Das heißt also, wie kann ich Nutzer dazu motivieren, auf das Auto zu verzichten und stattdessen umweltfreundliche Alternativen zu nutzen, sei es Fahrrad oder öffentliche Verkehrsmittel.“ Wiederum andere Projekte widmen sich eher medizinisch relevanten Aspekten, wie der Bewegungsförderung schwer-adipöser Jugendlicher oder der Parkinson-Früherkennung durch Sensorauswertung im Rahmen von Spielen, die auf die Erkennung einiger der auftretenden Symptome ausgelegt sind. Aber auch psychische, ethische, politische, historische oder sogar religiöse Themen können einen Ansatz für Serious Games bieten, wie die folgenden Beispiele zeigen.

 

Exemplarische Serious Games

Ein historisches Setting wird in vielen Spielen als zeitliche Rahmung, stilgebendes Motiv oder zentrales Thema verwendet. Selbst große Titel der Gamingbranche, wie beispielsweise die Assassin’s Creed-Reihe, beruhen auf diesem Konzept. Das lehrreiche Potenzial des Settings wurde im zehnten Teil der Spiele-Reihe in der Erweiterung um einen „Discovery Modus“ ausgeschöpft. In diesem Modus können Spielende erstmals die historisch möglichst korrekt nachempfundenen Orte des alten Ägyptens ungestört durchstreifen und sich spielerisch informieren.
Ein weiteres Beispiel für Spiele, die erst im Nachgang ihr lehrreiches Potenzial entdeckt und entfaltet haben, ist das beliebte Sandbox-Spiel Minecraft. Es wurde später um eine im Unterricht anwendbare Version erweitert. „Die Spiele sind klassische Beispiele dafür, wie die Entwicklung eines erfolgreichen Serious Games laufen kann: die Entwicklung eines vollwertigen Unterhaltungsspiels und das Hinzufügen eines characterizing goals.”, bestätigt Tregel.

Foto von Alexander Kovalev von Pexels: 3977908

Foto von Alexander Kovalev von Pexels

Bei Spielen wie beispielsweise dem historischen Strategiespiel Through the Darkest of Times ist der Lerneffekt schon stärker fokussiert. In der Rolle eines Widerstandskämpfenden gegen den Nationalsozialismus während des Dritten Reichs in Berlin wird die bedrückende Atmosphäre vermittelt und taktisches Vorgehen gefordert. Ein Bewusstsein für zeitliche Umstände kann aber nicht nur retrospektiv, sondern auch zukunftsgerichtet in Spielen wie State of Mind oder Orwell: Keeping an Eye on You angeregt werden. Die Auseinandersetzung mit den Schattenseiten technischen Fortschritts und ethischen Fragen zum Datenschutz werden in diesen tendenziell realistischen Dystopien gefördert.

Auch gibt es Spiele, die einen moralisch-religiösen Ansatz verfolgen, wie bspw. That Dragon, Cancer oder Paper Please. Hier muss sich der Spielende in emotional herausfordernden Situation zurechtfinden.

 

Was muss der Jugendmedienschutz beachten?

Bekanntermaßen bedarf es im Jugendmedienschutz einer vielseitigen Betrachtung der Prüfgegenstände. Basierend auf den Leitkriterien der Unterhaltungssoftware-Selbstkontrolle (USK) lassen sich im Hinblick auf die oben genannten Beispiele ein paar Faktoren besonders hervorheben. Alle der hier genannten Beispiele fallen rein optisch schon durch ihren kunstvoll verfremdeten Look auf. Sei es die grob verpixelte Machart von Papers Please, der farbverringerte, scherenschnitthafte Stil von Through the Darkest of Times, der zentralperspektivische Blick auf This War of Mine, die eher zweidimensionale, zeichentrickhafte Machart von Valiant Hearts oder der moderne, kantige „Low-Poly-Look“ wie bei That Dragon, Cancer, State of Mind und Orwell: Keeping an eye on you. Ein verfremdetes Aussehen der Spielwelt und ihrer Figuren können abschwächend auf Faktoren wie Realismusgrad, Glaubwürdigkeit und Identifikationspotential wirken.

Verschiedene Spielmodi wirken sich beispielsweise auf den Stressfaktor des empfundenen Handlungsdrucks aus. Ein relativ hoher Handlungsdruck entsteht bei Spielen wie Papers Please oder This War of Mine, bei dem die Kombination aus Schnelligkeit und guter Entscheidungen über die Gesundheit der eigenen Familie entscheidet. Nahezu kein Handlungsdruck geht von Spielen wie That Dragon, Cancer aus, die dem Spielenden das Nachvollziehen einer linearen Story ermöglichen. Hierbei sind es eher die inhaltlichen Aspekte, die emotional fordernden Themen, welche auf eine potenzielle Überforderung und Ängstigung bestimmter Altersgruppen hin untersucht werden müssten.

 

Fazit

Eine endgültige Definition von Serious Games lässt sich selbst mit der Abgrenzung zu Unterhaltungsspielen kaum leisten, da viele weitere Faktoren zur Diskussion beitragen. „Oftmals wird der Begriff selbst auch vermieden, obwohl es sich klar um ein Serious Game handelt. Die Spiele werden häufig mit niedriger Qualität assoziiert, da in der Vergangenheit oft nicht viel Geld (in diese Kategorie) investiert wurde und/oder selten gute Studios sich mit deren Entwicklung beschäftigt haben”, erklärt Tregel. Außerdem ließen sich Lerneffekte strenggenommen in fast jedem Spiel nachweisen; der Diskurs darüber, welche Fähigkeiten über das Spiel heraus Anwendbarkeit fänden, bleibt. „Nichtsdestotrotz werden in Shootern u.a. die Hand-Augen-Koordination und Raumwahrnehmung geschult. Trotzdem würde sie aktuell keiner als Serious Game betiteln. Ein Spiel kann also „Serious“-Aspekte haben, ohne dabei ganzheitlich als Serious Game bezeichnet zu werden.” Letztlich hilft uns der Begriff Serious Games auch einfach, den Blick für den Mehrwert und das Lernpotenzial von Videospielen zu schärfen.

 

Zusatz

Dass positive wie auch negative Auswirkungen von Spielen von gesellschaftlichem Interesse sind, zeigte nicht zuletzt die Ende letzten Jahres neu aufgenommene Diskussion zur Glücksspielproblematik. Hierzu wurde vor kurzem ein Paper von Thomas Tregel im Sammelband Serious Games veröffentlicht.

Imagespot zu Serious Games der TU Darmstadt (2011):

 

Quellen

Auswahl an Serious Games

Über Janina Pickel

Janina Pickel ist Masterstudentin der Filmwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Im Februar 2018 wurde sie als ehrenamtliche Prüferin der FSK tätig und arbeitet seit Juni 2019 nebenbei als Filmvorführerin des F.W. Murnau Filmtheaters in Wiesbaden. In ihrer Bachelorarbeit zum Thema Der Horrorfilm für Kinder spiegelt sich ihr besonderes Interesse für mediale Grenzgänger und Themen des Jugendmedienschutzes wider. Dies bewog sie u.a. dazu, ein Praktikum bei der FSF zu absolvieren. Mittlerweile wurde sie auch zur Prüferin der FSF benannt.