„Fresse auf den Bordstein – sofort!“

Auch gut 20 Jahre nach der Entstehung lässt sich über den Film American History X trefflich diskutieren.

Denn er hat nichts an seiner Strahlkraft eingebüßt. Im Gegenteil, die dort verhandelten Themen scheinen aktueller denn je: Fremdenfeindlichkeit, empfundene Ungleichbehandlung, mangelnde Perspektiven und eine nicht enden wollende Spirale der Gewalt, die sich immer spontaner und „grundloser“ Bahn bricht, wie die vielen U-Bahn-Attacken und hasserfüllten Auseinandersetzungen bei Demonstrationen und Fußballspielen zeigen. Seinerzeit viel diskutiert wurde insbesondere die sogenannte „Bordsteinkick“-Szene, in der einem Afroamerikaner durch den charismatischen Neonazi Derek das Genick gebrochen wird und der mutmaßlich als Vorbild für einen ähnlich gelagerten Mord im uckermärkischen Potzlow war.

Aufgrund der ungeschminkten Gewalt, aber auch aus der Befürchtung heraus, dass viele rechtsextreme Aussagen von einem entsprechenden Publikum „missverstanden“ werden könnten, wurde der Film 1999 von der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) erst ab 16 Jahren freigegeben. Dabei bedient der Film offenen Rassismus und rechte Ideologien nur in den ersten 30 Minuten, dies allerdings von Edward Norton dermaßen überzeugend gespielt, dass viele Filmkritiker auch bei der Altersgruppe der 12- bis 15-Jährigen eine rein selektive Wahrnehmung befürchteten. Rhetorisch geschult, durchaus intelligent mit einem großen Hakenkreuz auf der durchtrainierten Brust weiß Derek in seinen rechten Kreisen zu überzeugen.

Nach der Verurteilung und Entlassung nach drei Jahren Gefängnis avanciert er zum Star der rechten Szene. Was aber niemand ahnt: Im Knast hat Derek eine Läuterung durchgemacht und schwört nun dem rechten Gedankengut ab. Er weiß, dass er nur durch die Freundschaft zu einem Schwarzen in der Gefängniswäscherei den harten Knastalltag überleben konnte und von den schwarzen Gangs verschont blieb. Auch wurde er in der Dusche ausgerechnet von seinen eigenen Nazi-Kameraden vergewaltigt. Nach seiner Entlassung setzt er alles daran, seinen kleinen Bruder Danny, der ebenfalls dem rechten Spektrum zuneigt, aus der Szene herauszuholen.

Nach heftigen, gewalthaltigen Auseinandersetzungen mit früheren Kameraden scheint dies auch zu gelingen. Danny schwört ab, jedoch ist die Spirale der Gewalt bereits überdreht. Wie aus dem Nichts wird er von einem jungen Afroamerikaner, den er zuvor beleidigte, auf der Schultoilette regelrecht hingerichtet.

Aufgrund „veränderter Zeitumstände“ lag der Film der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) zunächst in der Originalfassung für eine Ausstrahlung im Hauptabendprogramm vor, was jedoch vom  FSF-Prüfausschuss mehrheitlich abgelehnt wurde. Neben der als durchaus attraktiv gezeichneten Kameradschaft unter den Neonazis stachen vor allem die oben erwähnten Gewaltspitzen (Kick, Vergewaltigung und die sehr blutige Erschießung Dannys) dermaßen heraus, dass für die Originalfassung eine Freigabe verweigert werden musste. Für eine Neuvorlage wurden die genannten Gewaltspitzen wirkungsvoll eingekürzt, ohne jedoch die Hässlichkeit der Gewalt zu verharmlosen. In einer nach wie vor kontrovers geführten Diskussion, innerhalb des FSF-Prüfausschusses, wurde die für ab 12-Jährige unmissverständlich zu decodierende gewaltkritische Komponente des Films als tragend und die Intensität der Gewaltdarstellung als nicht (mehr) übermäßig angsterzeugend erachtet. Die Läuterung des Protagonisten Derek erscheint nachvollziehbar und glaubwürdig, und auch die vermeintlich attraktive Seite der rechten Gesinnung wird durch den aus der Gewaltspirale resultierenden Tod Dannys hinreichend konterkariert. Der immer noch hochaktuelle Film American History X ist in der Primetime angekommen. Dort gehört er hin!

Kabel eins zeigt American History X am 29. März 2017 um 20.15 Uhr.

FSF-ProgrammInfo: freigegeben ab …

American History X setzt sich ungeschönt und anspruchsvoll mit den hochaktuellen und gesellschaftspolitisch brisanten Themen Rassismus und Rechtsradikalismus auseinander. Eindringlich wird die Geschichte zweier Brüder erzählt, die versuchen einer tückischen Spirale aus Hass, Fanatismus und Gewalt zu entkommen – und dies vor dem spezifischen Hintergrund der bis heute nicht überwundenen Rassentrennung und dem darin liegenden besonderen Gewaltpotenzial in den USA.
Drastische Gewaltspitzen wurden in der gekürzten Filmfassung auf ein ab 12-Jährigen zumutbares Maß zurückgenommen. Suggestive Bilder, Perspektivwechsel und Zeitsprünge in der verschachtelten Erzählweise schaffen Distanz. Trotz der unkonventionell dargestellten fiktionalen Handlung und der pointierten Dialoge bietet der Film mit seinen brisanten Themen und den mehr oder weniger sympathisch erscheinenden Protagonisten Anschluss an die hiesige Lebensrealität von Jugendlichen und älteren Kindern. Der Prüfausschuss ist sich allerdings mehrheitlich einig, dass ab 12-Jährige die kritische Auseinandersetzung des Dramas mit dem Themen Gewalt und Rassenhass sicher einzuordnen vermögen. Die Läuterung des Protagonisten Derek erscheint glaubwürdig und die vermeintlich attraktive Seite der rechten Gesinnung wird durch den weiteren Handlungsfortgang hinreichend konterkariert.

FSF: freigegeben ab 12 Jahren | Hauptabendprogramm © FSFZur dieser und weiteren ProgrammInfos auf der FSF-Website geht es hier.

Bitte beachten Sie: Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Programm nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkungsrisiken mehr bedeutet.

Mehr Informationen zur Programmprüfung erhalten Sie auf unserer Website. Dort veröffentlichen wir jede Woche neue ProgrammInfos zum aktuellen Fernsehprogramm. Auch diese Auswahl stellt keine Empfehlung dar, sondern zeigt einen Querschnitt der Programme, die den Prüfausschüssen der FSF von den Mitgliedssendern vorgelegt werden.

Über Nils Brinkmann

Nils Brinkmann studierte Publizistik, Kunstgeschichte und Soziologie (M.A.). In der Zeit von 1991 bis 2011 war er Prüfer bei der FSK. Seit vielen Jahren prüft Nils Brinkmann als hauptamtlicher Prüfer bei der FSF, ebenso prüft er im Beschwerde- und Gutachterausschuss der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia (FSM).