Steven Soderbergh öffnet die Wunden des Lebens und Leidens der Menschen rund um das fiktionale Knickerbocker Hospital in New York City zu Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts. Die Bilder, die er uns gewährt, lassen sich am besten durch die Finger hindurch beobachten. The Knick testet die Grenzen des Ertragbaren – gleichermaßen die der Figuren der Begebenheiten sowie unsere als augenblicklicher Zuschauer.
Die Krankenhäuser der Stadt rivalisieren um zahlende Patienten, Ambulanzfahrer sind mit Schlagstöcken ausgerüstet und durchaus gewillt, diese im Kampf um Kranke und Verletzte gegen die Konkurrenz einzusetzen. Die Ärzte und Mitarbeiter des Knick – wie es generell abgekürzt wird und auch namensgebend für die Serie ist – sind furchtlos, dem medizinischen Fortschritt zugewandt, innovativ in ihrer Arbeitsweise und doch der Gönnerschaft New Yorks Geldadels unterworfen. Die Ära der Technisierung und Moderne verspricht grenzenlose Möglichkeiten. Etwa vierzig Jahre zuvor waren der afroamerikanischen Gesellschaft mit dem 14. Zusatzartikel der Verfassung ihre Bürgerrechte zugesprochen worden. New Yorks Bewohner sind eine Agglomeration von Immigranten, neu-altem Bürgertum aus Europa in zweiter oder dritter Generation und der Arbeiterklasse. Der Kampf um gesellschaftlichen Status und Rechte wird am Beispiel des Krankenhauses aufgezeigt.
Die Zuschauer werden in eine Welt eingeführt, die mit unserem heutigen Wissenstand der Medizin als dilettantisch und grausam erscheint. Eine Zeit, in der das Penicillin noch nicht erfunden ist, die Sterblichkeitsrate höher liegt als die der Überlebenden und Operationen ohne Handschuhe und Gesichtsmasken vonstattengehen. Das Gezeigte lässt eine Dauergänsehaut (ent-)stehen und dennoch fällt es schwer, sich abzuwenden.
The Knick legt die Zerbrechlichkeit des Körpers offen. Die Ärzteschaft um Dr. John W. Thackery (Clive Owen), der überraschend zum neuen Leiter der chirurgischen Abteilung ernannt wurde, leitet ein Team junger, wissenshungriger Ärzte durch die Gewinde der modernen Medizin. Thackery selbst gibt dem Zeitgeist Ausdruck: „We now live in a time of endless possibilities“. Sein Vorgänger begeht zu Beginn der ersten Episode nach einem missglückten Kaiserschnitt, bei dem sowohl Mutter als auch Kind sterben, Selbstmord. Thackery erklärt diesen drastischen Schritt seines Vorgängers mit der Verlagerung dessen Blickwinkels: „He stopped seeing the work and started seeing the death.“
Der neu ernannte Chefarzt ist selbst nicht frei von solchen Dämonen. Seine Sucht für Kokain nährt er in chinesischen Bordell-/Spielhäusern, in denen er häufig die Nächte verbringt, um dann direkt im Anschluss wieder am OP-Tisch zu stehen. Manchmal wird noch in der Kutsche auf dem Weg ins Spital ein Schuss zwischen die Zehen gesetzt. Sein faustisches Streben nach Wissen um den menschlichen Körper hüllt ihn in eine scheinbar nicht gänzlich selbst gewählte Einsamkeit. Für Kollegen und Angestellte des Krankenhauses ist er Lebensretter und Inkonstante in einem, schwierig im Umgang und schwer durchschaubar.
Als der, unter anderem in Europa ausgebildete, afroamerikanische Chirurg Dr. Algernon Edwards (André Holland) durch den Vorstand eingestellt wird, um die nun zu füllende Position in Thackerys Team einzunehmen, gerät das ohnehin schon schwankende Konstrukt The Knick in bedrohliche Schieflage. Die interne Politik des Krankenhauses gefährdet sein weiteres Bestehen ebenso wie die Pflege der Bedürftigen. Rassismus ist weiter stark in der Gesellschaft verankert und der nun gespaltenen Belegschaft wird in diesen schweren Zeiten eine düstere Zukunft aufgezeigt, sollte der Kurs nicht korrigiert werden.
Steven Soderbergh zeigt in The Knick nicht nur cineastische Inszenierungen von Operationen und gesellschaftlichem Klassenkampf samt royaler Besetzung, sondern hat mit Cliff Martinez auch noch einen Komponisten für den Soundtrack gewonnen, der dem Werk einen elektronisch-futuristischen Klang verleiht. Dieses Gesamtkonstrukt schafft eine Atmosphäre, die gleichermaßen schmeichelt und schockiert. The Knick spielt mit der Ästhetik und dem Grauen der damaligen Zeit, ist jedoch „frei von jeglicher Nostalgie“ (wie es Soderbergh beschreibt) und eben das ist es, was die Serie so reizvoll macht. Am Ende verbleibt große Dankbarkeit darüber, welch weiten Weg die Medizin bis heute zurückgelegt hat.
The Knick startet heute, am 25. November 2014, um 21 Uhr auf Sky Atlantic HD.
Der historische Rahmen der zu Beginn des Zwanzigsten Jahrhunderts spielenden Serie nimmt den mitunter detailreich inszenierten und u.U. tragisch endenden Operationen ein möglicherweise ängstigendes Potenzial und bietet eine außerordentlich distanzierende Wirkung. Das Setting bietet keine jugendaffinen Bezugsmöglichkeiten und auch kein hervorzuhebendes Identifikationspotenzial für Kinder. Die OP-Bilder sind stets Teil einer Gesamthandlung, in der auch andere Problembereiche dialogreich verhandelt werden. Deshalb ist davon auszugehen, dass The Knick Zuschauer ab 12 Jahren fordert, aber nicht überfordert.
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