Es ließen sich Bücher füllen über diesen Antiwestern Django aus dem Jahr 1966, der bis heute Regisseure auf der ganzen Welt beeinflusst. Django Unchained von Quentin Tarantino aus dem Jahr 2012 ist dabei nur ein Beispiel von vielen. Gemeinsam mit anderen Vertretern des sogenannten Spaghettiwestern überführte Regisseur Sergio Corbucci das Genre in eine neue Zeit, emanzipierte es aus der patriotischen, reaktionären John-Wayne-Ideologie eines Sheriffs, der für Gerechtigkeit in rechtlosen Zeiten sorgen muss. In Django ist es der titelgebende Antiheld, der die systemimmanente strukturelle Gewalt nicht hinnimmt, der sich auflehnt gegen die Ausbeutung von entrechteten Mexikanern und Frauen, und auf seine – freilich überaus gewalttätige Art – für ausgleichende Gerechtigkeit sorgt. Das Westerngenre wurde somit nicht nur entstaubt, sondern auch politisiert. Ein Pfad, den Tarantino in seinem ironisch überhöhten Sklavenepos weiterverfolgte.
Buchstäblich versinkt die von Corbucci meisterhaft entworfene Welt des Wilden Westen im Schlamm. Der Ort, in den Django seinen legendären Sarg schleift, scheint am Ende der Welt, besiedelt von nur wenigen Überlebenden, ein abgehalfterter Barmann mit einer Handvoll Prostituierten, ein Saloon in der Geisterstadt, eine einzige Schlammwüste. Nach dem Filmwissenschaftler Björn Thiele ist das eine postapokalyptische Szenerie und Django einer der ersten Endzeitfilme; von innen und außen kaputt, ohne moralische Integrität oder Menschlichkeit. Nur eine Anekdote von vielen ist, dass der aus Geldmangel in den Studios von Rom gedrehte Antiwestern deshalb so verwaschen aussieht, da wegen der kaputten Kulissen ständig die Nebelmaschine angeworfen wurde. Was hat das alles mit dem Jugendschutz zu tun? Sehr viel, denn die gezeigte drastische Gewalt, die auch 52 Jahre nach ihrer Entstehung des Films noch stellenweise durchaus eindringlich wirkt, lässt sich nicht aus dieser gesellschaftskritischen Metaebene herauslösen.
Schockiert war die Welt des Jugendschutzes seinerzeit bestimmt über die beiläufige, extreme und zynische Art der Gewaltdarstellung. Corbuccis Held Django ist im modernsten Sinne eine ambivalente Figur: gebrochen, traumatisiert durch den Tod der Ehefrau, illusionslos und entfesselt im Verfolgen seiner Ziele, die sich nur durch Gewalt erreichen lassen; auch ein zum Scheitern verurteilter Held. Django folgt dabei seinem eigenen moralischen Kompass. Er schlägt sich auf die Seite der armen Mexikaner, die in einer unter die Haut gehenden Sequenz von Südstaatlern in einer regelrechten Menschenjagd vor den Augen ihrer Kinder hin gemeuchelt werden. Das menschenverachtende Spiel lässt an Die Tribute von Panem denken oder aktuell an die HBO-Serie Westworld, in der menschengleiche Roboter in einem Western-Vergnügungspark abgeknallt werden können. Django schlägt sich auch loyal auf die Seite der verfolgten Halbmexikanerin Maria.
Django ist der Mann, der einen Sarg hinter sich herzieht, aus dem er in einer Schlüsselszene ein Maschinengewehr hervorholt. Eine effektive Massentötungsmaschine, mit welcher der Titelheld Rache nimmt für – so will es scheinen – alle Entrechteten der Erde. Dieser Subtext ist aus der heutigen Rezeption nicht wegzudenken. Im Jahr 1966 sah das die FSK freilich anders und verweigerte in einer ersten Prüfrunde die Freigabe. In der zweiten Vorlage wurde sich dann auf keine Jugendfreigabe verständigt, was im Jahr 2003 wiederum bestätigt wurde. Zu einem etwas milderen Ergebnis kommt die aktuelle Prüfung durch die FSF.
Der bildmächtige Antiwestern mit seinem gebrochenen Helden, der aus eiskalten blauen Augen in die ihn umgebende kaputte Welt blickt, ist auch aus heutiger Sicht wegen seiner visuellen, thematischen und dramaturgischen Qualität noch wirkungsmächtig. Von Anfang an wird Gewalt als zentrales Thema, als handlungsleitendes Topos gesetzt: mit der Auspeitschung Marias, die an Hexenverfolgung denken lässt, und der anschließenden massenhaften Hinrichtung der fiesen Täter durch den Titelhelden. Auch visuelle Gewaltspitzen, wie das abgeschnittene Ohr in der Mitte des Films und die verstümmelten Hände des Helden zu Ende des Films, wirken durchaus noch recht zeitgemäß und dürften ihre schockierende Wirkung – zumindest auf die jüngere Altersgruppe der Jugendlichen – nicht verfehlen. Gleichzeitig lässt sich festhalten, dass Gewaltdarstellungen heutzutage selbstredend eine weitaus zwingendere Realitätsnähe und Explizitheit aufweisen.
In diesem Western sterben massenhaft Menschen durch Schüsse und Körpertreffer, die allein durch theatralische Stürze auf den Boden visualisiert werden.
Natürlich kann der Film sein Alter nicht verhehlen. Aber Gewalt wird nicht nur als Mittel zur Lösung aller Konflikte eingesetzt, im Verlauf der Handlung gibt es auch regelrecht ikonografische Gewaltbilder. Hierzu zählt der Gewaltexzess, in welchem die wahre Funktion des Sarges offenbar wird. Django entnimmt der zweckentfremdeten Holzkiste ein schweres Maschinengewehr und tötet damit massenhaft in heroischer Pose seine Feinde, die wie die Fliegen im Schlamm versinken. Die Sequenz wird mit den lapidar geäußerten Worten zu einem Schwenk über das Leichenfeld beschlossen, er hätte wohl so ziemlich alle umgebracht. Die Gewaltprägung des Films, die zu verzeichnende Beiläufigkeit der Tötungen, die Dichte und Explizitheit der Gewaltdarstellungen und deren inhaltliche Rahmung durch den Racheplot lassen zwar für unter 16-Jährige Beeinträchtigungen in Bezug auf Gewaltbefürwortung, sozialethische Desorientierung, auch Ängstigung vermuten.
Durch den thematischen Überbau, die kulissenhafte Realitätsferne und auch die in großen Teilen nicht mehr zeitgemäßen Gewaltspitzen – und natürlich auch eingedenk geänderter Sehgewohnheiten und der aktuellen Spruchpraxis – kann ein milderes Urteil als zuletzt durch die FSK erteilt werden. Die Möglichkeit von Schnittauflagen wurde nicht gesehen. Ganz abgesehen davon, dass diesem Meisterwerk damit auf ungebührliche Art zu Leibe gerückt werden würde.
Tele 5 zeigt den Klassiker am kommenden Sonntag, 4. Februar, im Rahmen eines Westernabends um 22.30 Uhr.
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Bitte beachten Sie: Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Programm nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkungsrisiken mehr bedeutet.
Mehr Informationen zur Programmprüfung erhalten Sie auf unserer Website. Dort veröffentlichen wir jede Woche neue ProgrammInfos zum aktuellen Fernsehprogramm. Auch diese Auswahl stellt keine Empfehlung dar, sondern zeigt einen Querschnitt der Programme, die den Prüfausschüssen der FSF von den Mitgliedssendern und externen Antragstellern vorgelegt werden.