Wasteland – Nachrichten aus der Nachbarschaft

Diese Miniserie ist ein Ereignis. Heute nimmt MagentaTV die tschechische Serie Wasteland (Original: Pustina) ins Serienportfolio auf. Es handelt sich um eine Produktion von HBO Europe aus dem Jahr 2016 (Regie: Alice Nellis, Ivan Zachariás). Entwickelt wurde die achtteilige Serie, die an britische Krimis oder Skandi-Noir erinnert, von Stepán Hulík.

Wasteland aka Pustina konfrontiert uns mit einer schwermütigen Packung aus Sozialdrama, Krimi und Thrillerandeutung. Die Serie spielt in einem trostlosen Ort namens Pustina am Rande eines Tagebaugebietes, in dem die Bergbaugesellschaft Turkowo den Bewohnern ihre Häuser und Bodenflächen abkaufen will, um neue Abbauflächen zu erschließen. Die Bürgermeisterin Hanka Sikorová wehrt sich dagegen und stößt natürlich auf Widerstand. Dann verschwindet eine ihrer Töchter. Die Suche nach ihr offenbart viele verborgene Beziehungen und Abgründe der Bewohner.

Was sich auf den ersten Blick wie eine osteuropäische Twin Peaks-Variante anfühlt, entpuppt sich als höchst sehenswertes, ausdifferenziertes Panorama mit einem harten Realismus, der nur reichlich zweieinhalb Autostunden von Deutschland entfernt stattfindet und wahrscheinlich noch viel näher heranreicht, als uns das bewusst ist. Selten war eine deprivierte Region so anmutig und verstörend zugleich in Szene gesetzt.

Wasteland – das ist die elegische Erinnerung an ein scheinbar verlorenes glückliches Leben, das durch Neoliberalismus, Systembruch, Niedertracht und Perspektivarmut niedergerungen wurde und nun in einem düsteren Überlebenskampf feststeckt. An den schroffen Klippen des Alltags zerschellen hier Biografien und Erwartungshaltungen.

Die Serie ist schauspielerisch ein Hingucker. Wie ein Sog fühlt sich der Blick in die müden und zugleich wachen Augen der Protagonisten an. Auch wenn die dystopische Anmutung der Serie durchaus vergleichbar ist mit der Optik ähnlich gelagerter Netflix- und Prime-Serien, so entfaltet sich in den acht Episoden eine realitätsnahe Großaufnahme eines Lebenspanoramas, das doch etwas anders ist und den Zuschauer nicht mehr loslässt.

 

… tschechische „Unverbrauchtheit“

Die Serie wartet mit einem ungewöhnlichen Figurenensemble auf, das auch von der „Unverbrauchtheit“ der tschechischen Darsteller aufgrund ihrer hiesigen relativen Unbekanntheit profitiert. Interessante Gesichter und Charaktere, sehr gutes Schauspiel. Da ist die Heldin Hanka Sikorova (Zuzana Stivínová), die als zweifache Mutter und Bürgermeisterin gegen das nahende Ende der Gemeinde kämpft. Stoisch müht sie sich, die Dorfbewohner zum Widerstand gegen das Bergbauunternehmen zu bewegen, was im Grunde genommen aussichtslos ist. Sie erträgt Anfeindungen und bleibt auch dann noch stark, als ihre Tochter Mischa verschwindet. Ihr Ex-Mann Karel (Jaroslav Dusek), ein Außenseiter, der an einer bipolaren Störung leidet, lebt in einer heruntergekommenen Waldhütte und hat nur spärlichen Kontakt zu Hanka und ihren Töchtern. Zu viele Wunden der Vergangenheit blockieren das familiäre Miteinander. Die exzentrischen Eskapaden Karels (u.a. harter Sex mit Prostituierten, Alkoholismus und Drogenkonsum) tun ihr übriges. Und gerade deswegen ist Karel einer der interessantesten Charaktere, denn wie bei vielen in dieser Serie ist auch sein Erscheinungsbild nur eine Fassade, hinter der sich etwas anderes verbirgt.

Die Miniserie ist auch ein Close Up auf eine Chrystal-Meth-Jugendkultur, die hier im tschechisch-polnischen Grenzland ausgelebt wird. Auch die Geschichte um die Jungs aus dem Erziehungsheim (Filip, Tibor), das Straucheln von Lukás und der elegische Polizei-Hauptmann Rajner (Leos Noha) verleihen den Episoden einen hohen Schauwert, der schonungslos soziale Verwerfungen fokussiert, die hier nicht mit einer Feelgood-Dramaturgie übertüncht werden.

 

FSF: freigegben ab ..?

FSF: freigegeben ab 12 Jahren | Hauptabendprogramm © FSFUnter Jugendschutzaspekten hält dieses Serienjuwel einiges bereit. Die Inszenierung setzt auf naturalistische, realitätsnahe und teils drastische Szenen und auf einen gewissen Schauwert der Tristesse. Die immer wieder aufscheinende Hoffnungslosigkeit, die Ambivalenz der Charaktere und Beziehungen machen die Serie interessant, sind aber kaum ängstigend. Auch die Sprache ist oft grob und milieubedingt derb. Die Serie richtet sich deutlich an ein Erwachsenenpublikum, kann aber auch für ein interessiertes jüngeres Publikum ab 12 Jahren punktuell schon Anknüpfungspunkte bieten. Die Story ist teilweise auf die jugendlichen Protagonisten (z.B. Filip, Klára und Lukás) fokussiert. Allerdings ist die Gesamtanlage der Serieninszenierung wahrscheinlich für Kinder und Jugendliche nicht sehr attraktiv. Gewalt spielt in den Beziehungen der Protagonisten eine nicht unerhebliche Rolle, wird aber im Kontext der Episodenplots nicht positiv konnotiert oder abgefeiert. So werden zumeist die Leiden der Protagonisten oder die Konsequenzen von Gewalt in Szene gesetzt. Die Ambivalenz vieler Charaktere, bei denen die Grenze zwischen Gut und Böse uneindeutig ist, entspricht dem düsteren Episodenplot und gehört plausibler Weise zum Panorama dieser Serie. Abträglich wirkende oder entwicklungsbeeinträchtigende Identifikationsmuster sind nicht auszumachen. Die Mehrzahl der Episoden wurden ohne Auflagen ab 12 Jahren freigegeben.

Zu weiteren ProgrammInfos auf der FSF-Website geht es hier.

Pay-TV-Anbieter oder Streamingdienste können eine Jugendschutzsperre aktivieren, die von den Zuschauern mit der Eingabe einer Jugendschutz-PIN freigeschaltet werden muss. Somit gelten die üblichen Sendezeitbeschränkungen und Schnittauflagen nicht. Weitere Informationen zu Vorschriften und Anforderungen an digitale Vorsperren als Alternative zur Vergabe von Sendezeitbeschränkungen sind im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (§ 5 Abs. 3 Nr. 1; § 9 Abs. 2 JMStV) sowie in der Jugendschutzsatzung der Landesmedienanstalten (§ 2 bis § 5 JSS) zu finden.”

Bitte beachten Sie: Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Programm nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkungsrisiken mehr bedeutet.

Mehr Informationen zur Programmprüfung erhalten Sie auf unserer Website. Dort veröffentlichen wir jede Woche neue ProgrammInfos zum aktuellen Fernsehprogramm. Auch diese Auswahl stellt keine Empfehlung dar, sondern zeigt einen Querschnitt der Programme, die den Prüfausschüssen der FSF von den Mitgliedssendern und externen Antragstellern vorgelegt.

Über Uwe Breitenborn

Dr. Uwe Breitenborn, hauptamtlicher Prüfer der FSF, Dozent und Autor, Bildungsreferent der Medienwerkstatt Potsdam, zahlreiche Veröffentlichungen zur Mediengeschichte, Musiksoziologie, und Kulturwissenschaft. Von 2014-2019 Vertretung der Professur Onlinejournalismus an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Zuvor u.a. Arbeit an der Martin-Luther-Universität Halle und beim DRA Babelsberg.