Bahnshee: Provinzrausch zwischen Schweinehälften, Sex und Prüderie

Mit glänzenden Augen habe ich vor dem Fernseher geklebt und mich von Agent Dale Cooper und seinem perfekt liegenden, von Pomade glänzendem Haar bestechen lassen. Ich war fasziniert von der plastikfolierten Leiche Laura Palmers, schlief nächtelang schlecht, weil ich BOB hinter meinem Holzbett vermutete. Tatsächlich hat mir Twin Peaks vorgeführt, was im Format der Fernsehserie alles möglich ist: präzise erdachte Figuren zwischen Witz, Angstschweiß, surrealistischen Zwergenparaden und asiatischen Sägewerkträumen: „Fire Walk with me“!
Vollmundig hatte die TV-Spielfilm Banshee als die kleine Schwester von Twin Peaks angekündigt und damit große Erwartungen geweckt. Nach Sichtung der ersten Episode ist klar: Bahnshee und Twin Peaks haben in etwa soviel gemein wie Casablanca und Star Wars. Aber der Reihe nach:

Lucas Hood wird in New York aus dem Knast entlassen, trinkt sein erstes Bier und legt – first things first – die Kellnerin flach.
Hood, ein kerniger Draufgänger, der viel von Wolverine hat (allerdings mit kurz geschorenen Haaren und ohne Superkräfte), sucht nach einem 10 Millionen Dollar schweren Diamanten, dessen Raub ihn vor fünfzehn Jahren ins Gefängnis brachte

Die Beute vermutet Hood bei seiner Freundin Anastasia, die mittlerweile in der Kleinstadt Banshee, Pennsylvania lebt, sich Carrie nennt und keinen Diamanten, dafür aber eine pubertierende Tochter und einen Ehemann hat.

Der neue, aus Oregon abkommandierte Sheriff von Banshee schafft es leider nur in die versiffte Kneipe am Stadtrand, wo er zunächst Bekanntschaft mit den frustrierten Hoods und gleich darauf mit den örtlichen Rednecks und mehreren ihrer Kugeln macht. Eine willkommene Gelegenheit für Hood, der mit blutbeschmierter Marke die Identität des Sheriffs und die Polizeiwache übernimmt, die sich mangels dörflichen Etats im ausrangierten Cadillac-Autohaus befindet.

Klingt vielversprechend – und tatsächlich hat Banshee das, was eine gute Serie ausmachen könnte: ein undurchsichtiger Fall, eine Hauptfigur mit Doppelleben und Rachegelüsten, einen Ultra-Bösewicht und die undurchsichtige Sekten-Gemeinschaft der Amish.
Leider sind die Handlungsstränge etwas platt, entsprechend folgen die Charaktere akkurat der Vorschrift des amerikanischen Kleinstadt-Klischees. In Banshee gibt es die Guten, die Bösen und die Außenseiter, es gilt das gängige Muster: Die Amish sind verkniffen, verbittert und werden verkloppt. Die örtlichen Rednecks haben fettiges Haar und eindrucksvolle Gewehre. Plakativ pubertieren die Jugendlichen, sie stören die dörfliche Idylle mit zerrissenen Strumpfhosen und nächtlichen Techno-Partys, zu denen sie glimmende Knickarmbändchen tragen und Ecstasy einwerfen. Die Drogen kommen vom stadtbekannten Bösewicht Kai Proctor, der – wie könnte es anders sein – einen Schlachthof betreibt. Zwischen abgezogenen Schweinehälften und blutigen Fliesen treibt Proctor sein ländliches Unwesen, immerhin mit einer Schwachstelle – seiner Amish-Abstammung. Dazwischen tummeln sich Hood, Carrie und ein transsexueller Asiate in High Heels.

Das Proctors Handlanger aussieht wie Karl-Theodor zu Guttenberg kann Produzent Alan Ball nicht beabsichtigt haben und gerade das macht es zu einem guten Witz. Ansonsten lässt sich festhalten: Gewalt und Sex sind überdosiert – was nicht anders zu erwarten war von Ball, der zumindest seine Vorliebe für exponierte Sexualität schon in den Vampirorgien von True Blood zur Genüge zur Schau gestellt hat –, Leises, gar Mysteriöses – Fehlanzeige. Während bei Twin Peaks dunstiger Nebel über die Berge kriecht, rauchen bei Banshee höchstens die Reifen. Weniger grell, laut und vorhersehbar und Banshee wäre um Längen besser, aber es bleiben uns ja noch etliche Folgen und das Potenzial.

Die ProgrammInfo zur Serie Banshee: Small Town. Big Secrets mit einer Erläuterung zur vergebenen Altersfreigabe gibt es auf fsf.de. Die Serie startete bei Sky Atlantic HD.

Über Lena Ackermann

Lena Ackermann teilt sich ihren Geburtstag mit Michael Jackson und hoffte jahrelang auf eine Einladung nach Neverland. Sie hat in Köln Geschichte studiert, in Hamburg bei einer Filmproduktionsfirma gearbeitet und in Berlin ein Volontariat beim Rolling Stone gemacht. Sie schreibt für Erwachsene und Kinder. Mittlerweile hat sie Graceland besucht – auf die Einladung nach Neverland wartet sie weiterhin.