Die Berlinale Series Sektion wertet die Leistung der Drehbuchautoren auf
Es ist eine feine Sektion, die seit drei Jahren die Berlinale ergänzt und die Zeichen der Zeit erkannt hat. Sie schenkt der filmischen Erzählform ein öffentliches Forum, der die Zukunft gehört. Horizontale Erzählweise, ambivalente Charaktere, Komplexität und Experimente in Inszenierung und Gestaltung, das sind die Zauberworte der sogenannten Qualitätsserien, die eine grenzenlose Vielfalt an erzählerischen Möglichkeiten eröffnen. Serien sind die Romane der Gegenwart, nichts ist in diesem Format unmöglich, das dem geneigten Zuschauer über einen längeren Zeitraum Reisen in neue und fremde Serienwelten gestattet. Die Serienmacher danken es der Berlinale, ihre Werke vor einem großen Publikum im festlichen Rahmen sehen zu können, indem sie alle – wirklich alle – zu den Vorführungen kommen. Produzenten, Regisseure, Headautoren, auch genannt Creator oder Showrunner, der Hauptcast, Kameramänner und weitere Filmgewerke – sie alle sind da und verleihen der Sektion nicht nur eine gute Portion Glamour, sondern auch die knisternde Aufregung einer ganz besonderen Weltpremiere.
Blick über den Horizont heraus
In diesem Jahr ermöglicht die Sektion einen faszinierend weiten Blick im buchstäblichen Sinne über den Horizont hinaus, der vom Australien im Jahr 1900 über Fußballleidenschaft in der unwirtlichen Kälte Norwegens bis in die fremde und seltsame Parallelgesellschaft der Investmentbanker in Frankfurt am Main reicht. Der Überblick über die aktuelle internationale Qualitätsserien-Produktion ist schillernd, und auch auf dem roten Teppich vor dem Zoo Palast – wo die Reihe in diesem Jahr erstmalig untergebracht ist – waren die großen Namen vertreten. Eröffnet wurde die Berlinale Special Series mit der australischen Adaption des dort verehrten Romans Picnic at Hanging Rock. Hauptdarstellerin Natalie Dormer verursachte kleine Tumulte auf dem Weg ins Kino, Fans kennen sie aus den Tudors, Game of Thrones und der Tribute von Panem-Trilogie.
Die beiden Auftaktfolgen erzählen ein bedrückend sonnendurchflutetes Schauermärchen in der femininen Welt eines Mädchenpensionats, aber auch vom Aufbruch ins 20. Jahrhundert, vom Freiheitswillen junger Mädchen, unterdrückter Sexualität und dem Korsett internalisierter patriarchaler Strukturen. Mit starkem visuellen und originären Gestaltungswillen und tollen Darstellerinnen überzeugt die von Beatrix Christian und Alice Addison adaptierte filmische Vision und verortet die Serie, weitaus stärker als Peter Weir in seinem Kultfilm, in der historischen Epoche und ihren Zwängen. Löblich, dass der neue Player der Streaming-Anbieter Telekom hier zugeschlagen und sich die Rechte gesichert hat, wie die Macher nach der gefeierten Welturaufführung stolz zu berichten wussten.
Roter Faden: Verinnerlichte Denkmuster und Machtstrukturen
Ob es das Patriarchat, Männerdomänen, gesellschaftliche Paranoia, Terrorangst, Neokolonialismus und die Ausbeutung eines ganzen Kontinents, Rassismus, oder die Stellschrauben und menschlichen Abgründe eines entfesselten neoliberalen Kapitalismus betrifft, durch die Reihe Berlinale Series Sektion zog sich ein roter Faden, der verinnerlichte Denkmuster und Machtstrukturen thematisierte.
Der israelische Beitrag Sleeping Bears fiel nach dem furiosen Auftakt eher leiser aus. Erzählt wird der Mikrokosmos einer Mittelschichts-Kleinfamilie, der auseinanderbricht, als die Mutter durch die Protokolle ihrer Therapiesitzungen erpresst wird. Lügen und Geheimnisse, aber auch Paranoia als Spiegel einer Gesellschaft sollen hier an die Oberfläche schwemmen. Vielleicht der schwächste Beitrag, denn die universellen gesellschaftlichen Themen sind – zumindest in den ersten beiden Episoden und für Israel Unkundige – eher schwer herauszufiltern.
Mit großer Herzlichkeit und einem euphorischen Applaus wurde die ebenfalls kleine, aber umso feinere und überaus geradlinig erzählte Geschichte aus Norwegen belohnt. In Home Ground entschließt sich die erfolgreiche Trainerin der norwegischen Frauenfußballmanschaft trotz Champions-League-Erfolg und tiefer Loyalität ihrer Spielerinnen zu einem unkonventionellen Karriereschritt. Sie wird Trainerin der besten norwegischen Ligamannschaft der Männer. No way back, niemand aus ihrem alten Leben wird ihr das verzeihen und die neue Umgebung dankt es ihr schon mal gar nicht. Schnörkellos, dem Sportsujet angemessen, humorvoll und mit dramaturgischer Fallhöhe, einer wunderbaren Hauptdarstellerin (Ane Dahl Torp) und einem gesellschaftlich relevanten und zeitgemäßen Thema – Frauen in Männerdomänen – gewann diese Serie das Herz des Publikums.
Ganz anders die dänische Qualitätsserie Liberty, die in die Abgründe der internationalen Entwicklungsarbeit in Afrika, hier Tansania, entführt. Hier fehlte, dem Thema absolut angemessen, jegliches Herz. Große Schauspieler des kleinen Landes wie Sofie Gråbøl (Kommissarin Lund) sind vertreten. Erzählt wird hier Entwicklungshilfe konsequent und mit fatalistischem Gestus als Fortsetzung der Kolonialgeschichte. Bis in die jüngste Generation sind diese Strukturen und Reflexe in die Matrix aller Akteure eingebrannt, Hautfarbe und ethnische Herkunft sind auch im Jahr 2018 der Faktor überhaupt für die Verortung in der Gesellschaft und der Welt. Ein sezierender Blick, der ebenfalls ein zeitgemäß virulentes Thema beackert und den Zuschauer auf unbequeme Art mit über Dekaden festgeschriebenen rassistischen Mechanismen konfrontiert. Die Serie zeigt einmal mehr, wie weit Dänemark in der Serien- vor allem aber auch Drehbuchkunst fortgeschritten ist. Die parallelen Erzählstränge verschleppen den Zuschauer sozusagen unfreiwillig in diesen zynischen Serienkosmos, in dem das Machtgefälle unserer Welt in den kleinsten alltäglichen Handlungen offenbar wird. In Dänemark wird viel Zeit und Geld in die Entwicklung von Stoffen investiert, was den internationalen Erfolg ihrer Serien erklärt und wovon sich Deutschland nicht genug Scheiben abschneiden kann – und muss, um am Ball zu bleiben.
Die US-amerikanische Produktion The Looming Tower blieb hingegen eher hinter den Erwartungen zurück. Da konnten auch große Namen wie Jeff Daniels, der eher lustlos verkniffen den roten Teppich überquerte, noch Peter Skarsgard, in der Serie versteckt hinter einem Vollbart und der Attitüde des halsstarrigen Geheimdienstbeamten, den interessanten Exkurs in die 1990er-Jahre und die Welt vor 9/11 nichts ändern. Die Geschichte einer persönlichen Rivalität zwischen FBI und CIA kann zwar stellenweise mit schnellen Montagen – teils auch von Nachrichtenbildern – politische Dringlichkeit erzeugen, aber das dramatische Potenzial der Geschichten und ihrer Akteure hinter der Story verhallt eher ungenutzt. Zumindest die ersten beiden Episoden lieferten in dieser Hinsicht keine tieferen Einblicke.
Weltpremiere Bad Banks und warum die Deutschen doch Serie können
Höhepunkt für das deutsche Publikum war sicher die Weltpremiere der ZDF-ARTE-Koproduktion Bad Banks über die Machenschaften der eigentlich Mächtigen unserer Zeit, ein Blick hinter die kalten Fassaden der Bürotürme in der deutschen Finanzmetropole, gesteuert von Größenwahn und Gier, von Machtwillen und einem undurchdringlichen Dickicht von alles bestimmenden Intrigen. (Folgen online: ZDF)
Loyalität ist in dieser Welt ein Fremdwort, die Menschlichkeit bleibt nicht nur auf der Strecke, sondern das kalte und mitleidfreie Agieren ist die einzige Möglichkeit in dieser Welt überhaupt zu überleben. Beim Jubel nach der Vorstellung erzählt der Headautor Oliver Kienle von der vorbildlichen Zusammenarbeit mit der Produzentin und Initiatorin der Geschichte Lisa Blumenberg und Regisseur Christian Schwochow. Das anspruchsvolle Projekt wurde mit einem Writers Room von drei Autoren entwickelt.
Anders etwa als bei Babylon Berlin, bei dem drei Regisseure das Drehbuch schrieben – gab es hier eine klare Hierarchie, und damit wurde das amerikanische Erfolgskonzept von High-Quality-Serien konsequent umgesetzt. Die Rechnung geht auf, der spannende Finanzthriller liefert ein überaus ambivalentes Figurenensemble, dankbarerweise teilweise besetzt mit weniger bekannten Gesichtern, dem der Zuschauer bei aller menschlichen Abgründigkeit gerne folgt, zeigt auch die Kunst hintergründiger Dialoge, in denen einfach mal nicht alles erklärt wird. Vieles bleibt angedeutet und rätselhaft und entfaltet dennoch oder gerade deshalb eine mitreißende Wucht.
Man kann nur hoffen, dass ein Ausbleiben von gewünschten Quoten – welches bei der Sendeplatzprogrammierung um 22.00 im ZDF im Prinzip vorherbestimmt ist – nicht zu einem Rollback dieser Entwicklung im deutschen Serienschaffen führt. Die Hoffnung besteht, dass hier vielmehr der Startschuss für weitere Produktionen dieser Qualität gegeben wurde. Der essenzielle Anteil des Creators und seines Writers Rooms in einer sinnvollen arbeitsteiligen Zusammenarbeit wertet die in Deutschland immer noch viel zu wenig anerkannte Arbeit der Drehbuchautoren auf. Es kann nicht genug Zeit und Geld in die Entwicklung der Stoffe investiert werden.
Bad Banks ist neben Shootingstar Paula Baer, neben Albrecht Schuch und Tobias Moretti eher unkonventionell besetzt. Desiree Nosbusch kann beweisen, dass sie eine großartige Schauspielerin ist, und auch Berry Atsma in einer tragenden Hauptrolle verkörpert das Scheitern an dem unmenschlichen Getriebe facettenreich. Die zentrale Frage, warum Menschen in diese Schattenwelt von Intrigen und Betrug, aber auch völliger Selbstaufgabe bereit sind freiwillig zu gehen, lässt die Serie unbeantwortet. Großartig. Es gibt einfach keine Antwort auf diese Frage.
Die Sektion wird abgerundet durch die Ridley-Scott-Produktion The Terror, eine Bestseller-Verfilmung über die Polarexpedition 1845, die in eindringlichen Bildern und mit hohem Production Value vom Entdeckergeist und Wagemut erzählt, und damit eine verlorene Welt heraufbeschwört, die in dem vergleichsweise geheimnisfreien GPS-Zeitalter so nicht mehr denkbar ist. Die Serie erzählt von dieser Ausnahmeleistung mit den Mitteln des Suspense- und Horrorkinos, Amazon Prime hat sich die Erstverwertungsrechte gesichert.
Weiter so, weiter so, weiter so! Die Welt liefert Geschichten, sie müssen nur erzählt werden – mit diesem Pioniergeist und so komplex, anspruchsvoll und unterhaltsam wie im sorgfältig kuratierten Berlinale Serien Special 2018.