Männer, Natur, Qual: The Revenant

Wie umstritten doch das Staunen ist , hat mal Max Goldt geschrieben. Man darf und soll es, solange man nicht erstaunt aus der Wäsche glotzt oder „Boah ey!“ schreit. The Revenant lässt einen über Bilder staunen wie ein Kind über einen Zauberer. Zumindest, wenn man kein abgebrühter Journalist oder Pädagoge ist, die wollen immer „vielschichtige Figuren“ und tagesaktuelle politische Themen. Der Inhalt ist schnell erklärt: Der Trapper Hugh Glass (Leonardo DiCaprio) hat sich Anfang des 19. Jahrhunderts in den Wäldern des heutigen South Dakota, damals noch freies Territorium, einer Gruppe von Felljägern angeschlossen, wird von einer Bärenmutter schwer verletzt und von seinen Begleitern zurückgelassen. Im Sterben sieht er, wie der gierige Rassist Fitzgerald (Tom Hardy) seinen indianischen Sohn tötet und kämpft sich, allein mit der Wildnis und von Rachsucht getrieben, zurück ins Leben. Auf den ersten Blick reichlich archaisch für drei Oscars und neun Nominierungen. The Revenant mit dem profanen deutschen Untertitel Der Rückkehrer basiert auf dem Roman The Revenant: A Novel of Revenge von Michael Punke aus dem Jahr 2002, der die wahren Erlebnisse des Trappers Hugh Glass im Jahr 1823 schildert. Doch ‚Revenant‘ heißt auch ‚Wiedergänger‘, und das kommt dem mythisch aufgeladenen Film, den Alejandro González Iñárritu aus dieser einfachen Abenteuergeschichte macht, auch näher: Hughs Überlebenskampf hat etwas von einer verfilmten Legende oder einer Passion, fast wie ein Ursprungsmythos, in dem sich Daseinsfragen und menschliche Schwächen wie Gier, Rachsucht und Rassismus auf surreale Weise verdichten.

Schön und Eso

Der mexikanische Kamera-Guru Emmanuel Lubezki, der mit dem Film seinen dritten Oskar in Folge gewann, zeigt die Natur und die Menschen nicht, er feiert sie ab. Wie ein Geist schwebt die Kamera umher und macht jede Strapaze mit. Hugh muss Wurzeln essen, sich ein Loch im Hals zubrennen und quält sich durch einen reißenden Fluss, sein Überleben ist so unwahrscheinlich, dass man die Kinder vor dem Fernseher schon „Von wegen!“ rufen hört. Dagegen Fitzgerald als hundsgemeiner Alphaprolet, brutal und verbittert. Vielleicht wäre so viel körperliche Qual und innere Hässlichkeit anders auch schwer zu ertragen, aber dem Film seine imposante äußere Schönheit als oberflächlich vorzuwerfen, wäre so falsch wie deutsch. Die Natur wird neben DiCaprio zum heimlichen Co-Star: es ist ein vorzivilisatorisches Amerika (klingt ja doch aktuell), majestätisch schön, kalt und gefährlich. Um diese Landschaft ausbeuten zu können, müssen die weißen Männer – am schlechtesten kommen die Franzosen weg – noch unter Lebensgefahr im Dreck wühlen. Nicht viel anders ging es der Crew bei den Dreharbeiten, denn mit Greenscreen und Technik allein ist ein solcher Film auch heute nicht zu machen. In Hughs surrealen Visionen und symbolträchtigen Szenen, etwa als er in einem toten Pferd übernachtet, aus dem er sinnbildlich neu geboren wird, sucht der Film immer wieder ganz „unwestlich“ nach dem Heiligen und Spirituellen (schreckliches Wort), das hier zu Beginn des Wilden Westens vor dem Aussterben steht. Genauso wie der einsame Indianer, von dem Hugh geheilt wird. Humor oder Ironie findet man bei Iñárritu generell selten, so auch hier nicht. Und wo ist endlich die vielschichtige Hauptfigur mit toller Botschaft? Von Hugh Glass, der über zweieinhalb Stunden in fast jeder Szene präsent ist, weiß man eigentlich nur, dass seine Pawnee-Frau erschossen wurde, dass er ein guter Vater und kein Rassist ist, und dass er als Halbtoter in der Wildnis überleben und Fitzgerald zur Strecke bringen will. Weiteres darf man sich zum Glück selbst erschließen, oder man darf auch einfach, aber bitte leise, ganz naiv über die erzählerische Intensität und die Finesse der Bilder staunen, Zeit genug dafür lässt der Film. Und das ist gerade für Kinder und Jugendliche oft mehr wert als jede schon vorgekaute pädagogische Aussage.

Regeneration through Violence ab 12?

The Revenant bringt Gewalt, Gier und Rachsucht schmutzig und durchaus schonungslos auf den Punkt, was bei Lubezkis Kameraarbeit wiederum nicht heißt, dass es nicht auch faszinierend aussieht. Die FSK gab den Film ab 16 Jahren frei, der Sender nahm für die Ausstrahlung im Hauptabendprogramm einige Gewaltspitzen und belastende Bilder heraus. Für Kinder kommen so die verheerenden Konsequenzen noch stärker zur Geltung, die der Film mit Gewalt verbindet: das physische Leiden, der Verlust, die Besessenheit. Und vor allem die Vergeblichkeit, denn einen Nutzen bringt die Gewalt an keiner Stelle. Das für Jugendschützer so brisante Thema Rache ist allgegenwärtig, und mit dem willensstarken Durchhaltekünstler Hugh Glass werden sich Jungen gerne identifizieren. Weibliches ist dagegen nur in leidtragenden Randfiguren, in Erinnerungen oder symbolisch in der Natur zu sehen, was den Film aber auf kuriose Weise alles andere als frauenfeindlich macht. Iñárritu selbst hat den Film einen „Prä-Western“ genannt, „der sich der Erlösungslogik der Rache verweigert“. Hugh schwört im letzten Moment der eigenhändigen Rache ab, überlässt Fitzgerald aber trotzdem dem sicheren Tod. Auch geschnitten bleibt The Revenant für Kinder ab 12 Jahren mit diesem Ende eine große emotionale Herausforderung mit einigen Schreckmomenten, mit Blut und ungezügelter Wildheit. Doch der Film bietet genug Reflexions- und Erholungsphasen, um etwaige Ängste auch wieder abbauen zu können, oder sich schlicht dem filmischen Erlebnis hinzugeben, denn das alles ist zum Glück weit weg und lange her.

FSF ab 12 Jahren Hauptabendprogramm © FSF

ProSieben zeigt The Revenant – Der Rückkehrer am Sonntag, 04. März 2018, zur Primetime um 20.15 Uhr.

Zur dieser und weiteren ProgrammInfos auf der FSF-Website geht es hier.

Bitte beachten Sie: Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Programm nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkungsrisiken mehr bedeutet.

Mehr Informationen zur Programmprüfung erhalten Sie auf unserer Website. Dort veröffentlichen wir jede Woche neue ProgrammInfos zum aktuellen Fernsehpramm. Auch diese Auswahl stellt keine Empfehlung dar, sondern zeigt einen Querschnitt der Programme, die den Prüfausschüssen der FSF von den Mitgliedssendern und externen Antragstellern vorgelegt werden.

Über Arndt Klingelhöfer

Arndt Klingelhöfer lebt in Mainz und hat Filmwissenschaft, Soziologie und Ethnologie studiert. Er war u.a. als Dialogautor für TV-Serien tätig und an der Projektreihe Medienkompetenz und Jugendschutz bei der FSK beteiligt. Seit 2015 gibt er Film-Workshops für Gefangene in der Wiesbadener JVA in Kooperation mit der Kulturinitiative Die Werft. Seit 2018 ist er Filmreferent für das Institut für Kino und Filmkultur (IKF). Außerdem prüft er für die FSF in der Programmprüfung.