Die bösen Geister und die „sozialen“ Netzwerke

75 Jahre ist es her, dass der von Deutschland entfachte
Zweite Weltkrieg und mit ihm die zwölf Jahre andauernde
NS-Herrschaft endete.

75 Jahre sind vergangen, seit Soldaten der Roten Armee
das Konzentrationslager Auschwitz befreiten.

75 Jahre um sich zu erinnern.
Erinnern an die Millionen von Menschen,
die den Tod fanden.
Erinnern und zu verinnerlichen,
dass es nie wieder zu solch einem Ereignis kommen darf.

 

Doch heute – im Jahr 2020 – scheint es, als ob das Vergessen die Oberhand über das Erinnern gewonnen hat. Exakt dieser Gedanke scheint auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beschäftigt zu haben.

„[…] Und unsere deutsche Verantwortung vergeht nicht. Ihr wollen wir gerecht werden. An ihr, liebe Freunde, sollt Ihr uns messen. Weil ich dankbar bin für das Wunder der Versöhnung, stehe ich vor Ihnen und wünschte, sagen zu können: Unser Erinnern hat uns gegen das Böse immun gemacht. Ja, wir Deutsche erinnern uns. Aber manchmal scheint es mir, als verstünden wir die Vergangenheit besser als die Gegenwart […].

(Auszug Rede F.-W. Steinnmeier)

In seiner Rede zum Auschwitz-Gedenktag (vom 23. Januar 2020) verwies er mehr als einmal darauf, wie wichtig es ist, sich zu erinnern. Gleichauf mit der Wichtigkeit des Nicht-Vergessens sieht er den Kampf gegen den Antisemitismus, welcher immer noch omnipräsent ist.

Die bösen Geister zeigen sich heute in neuem Gewand. Mehr noch: Sie präsentieren ihr antisemitisches, ihr völkisches, ihr autoritäres Denken als Antwort für die Zukunft, als neue Lösung für die Probleme unserer Zeit.“

(Auszug Rede F.-W. Steinnmeier)

Dass sich die bösen Geister in einem neuen Gewand präsentieren, ist genauso erschreckend wie die Tatsache, dass diese genau zu wissen scheinen, wie sie ihre Ideologien möglichst schnell und effektiv verbreiten können. Wie es scheint, haben die bösen Geister nicht nur ein neues Gewand, sie wissen auch wie sie ihre Ideologien möglichst effektiv und auch großflächig verbreiten. Social-Media-Kanäle wie Twitter oder YouTube wurden in den vergangenen Jahren immer mehr zum Instrument rechter oder sogar radikaler Interessensvertreter.

Um zu zeigen, wie genau diese Gruppierungen agieren, haben die Journalisten des Y-Kollektivs, ein deutscher YouTube-Kanal, der regelmäßig Videoreportagen veröffentlicht, ein Jahr lang zu diesem Thema recherchiert. Ein großes Problem, vor dem die Gruppe stand, war nicht etwa die Suche nach den Menschen, die hinter den oftmals rechtspopulistischen Posts standen. Es war vielmehr die Herausforderung, genau diese Personen zu einem öffentlichen Statement zu bewegen. Doch wie zu erwarten, war keiner bereit, sich vor der Kamera den Fragen der Journalisten zu stellen. Somit kann man nur spekulieren, von welcher Motivation sie angetrieben werden, anonym gegen Politik und Menschen zu hetzen.

 

Circa 12 Millionen nutzen den Social-Media-Kanal Twitter allein in Deutschland. Das heißt, dass rechtspopulistische Inhalte leichter verbreitet werden können als bei herkömmlichen Medien, die dem schon vor langer Zeit einen Riegel vorgeschoben haben. Interessant hierbei ist auch, dass nicht nur „Hatespeeches“ verbreitet werden, sondern immer mehr die Bildebene zum Einsatz kommt, was natürlich auch jugendliche Nutzer anspricht.

Dessen ist sich die sogenannte „Rechte Filterblase“, wie sie das Y-Kollektiv betitelt, durchaus bewusst und agiert dahingehend immer weiter. Hilfreich bei der Verbreitung sind, wie die Journalisten in ihrer Reportage vermerken, sogenannte „Empfehlungsalgorithmen“. Diese werden von den Programmierern großer Konzerne erstellt, um nach dem Klick- und Sehverhalten der Nutzer Videos mit ähnlichen Inhalten vorzuschlagen. Schaut man also ein Video mit rechtspopulistischem oder antisemitischem Inhalt, erkennt es das System und schlägt auf Grundlage dessen weitere Videos vor.

Doch der „Infokrieg“ hat immer gleiche Protagonisten, die fast schon ihren eigenen Algorithmus darstellen. Denn Fake News oder Blogs mit Verschwörungstheorien sind nur ein kleines Puzzleteil in der Kette der Propaganda. Meinungsmachende, die aktiv Inhalte für z.B. YouTube produzieren, treiben das Rad genauso an wie diejenigen, die diese Nachrichten in hoher Anzahl retweeten.

Traurige Gewissheit ist, dass die rechten Gruppierungen sowohl in der Realität als auch im Netz immer weiter auf dem Vormarsch sind und somit eine immer größere Bedrohung für die Demokratie darstellen. Die moderne Technik, insbesondere das Internet und viel genutzte Plattformen und Intermediäre dienen als Verstärker der Medien, derer sich gerne bedient wird.

„[…] Ich wünschte, sagen zu können: Wir Deutsche haben für immer aus der Geschichte gelernt. Aber das kann ich nicht sagen, wenn Hass und Hetze sich ausbreiten. […] Natürlich: Unsere Zeit ist nicht dieselbe Zeit. Es sind nicht dieselben Worte. Es sind nicht dieselben Täter. Aber es ist dasselbe Böse. […]“

(Auszug Rede F.-W. Steinnmeier)

Es bleibt nun zu hoffen, dass die Menschen wieder beginnen sich zu erinnern und sich in Zukunft auf Rücksicht und Friede sowohl in der Realität als auch im Netz besinnen.

 

Quellen:

Alle Quellen wurden zuletzt aufgerufen am 4. Februar 2020.

Über Sarah Boost

Sarah Boost hat Geschichte und Deutsche Literatur an der Humboldt Universität zu Berlin studiert. Ihr Interesse an Medien bewog sie dazu, ein Praktikum bei der FSF zu machen. Hier konnte sie ihrer Vorliebe für das Schreiben nachgehen. Als freie Autorin unterstützt sie weiterhin den fsf blog.