Schlanker, erfolgreicher, besser. Social Networks und die Folgen des ständigen Vergleichens für jugendliche Nutzer – wer könnte zu diesem Thema besser schreiben, als ambitionierte Jungautoren!?
Das dachten sich auch Prof. Joachim von Gottberg und Barbara Weinert (Chefredakteur und Redakteurin tv diskurs), die im Wintersemester 2017/18 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Studiengang „Medien- und Kommunikationswissenschaft“ gemeinsam das Seminar „Schreiben für die Medien“ leiteten. Die Studierenden schrieben tolle und äußerst vielseitige Texte zum Thema. Ein paar davon wollen wir in den kommenden Wochen im FSF-Blog veröffentlichen.
Wir starten unsere Beitragsreihe mit Laura Schimming.
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Ich stehe unter Druck. Jeden Tag, wenn ich morgens aufstehe und auf mein Handy blicke, in die sozialen Netzwerke gehe und erstmal die neuesten Posts checke, dann fühle ich mich schlecht. Will ein bisschen so sein wie scheinbar der ganze Rest. Sind doch alle so perfekt. Die einen haben, während ich noch im Land der Träume war, schon wieder Frühstück gezaubert, das stark an 3-Sterne-Küche erinnert.
So klicke ich mich durch Bilder von exotischen Früchten, durch Joghurt mit Superfoods, Avocado mit Feta, alles farblich sortiert und formvollendet drapiert. Die Anderen sind schon wieder durch mit ihrem Morning-Workout. Waren gefühlte drei Jahre und 100 Kilometer laufen oder haben im Gym ihr Sixpack gestählt, das sie nun selbstverständlich mit der gesamten medialen Welt teilen müssen. Wieder-Andere lächeln mir einfach entgegen mit ihren makellosen Zähnen, dem aufwändigen Make-Up und dem neuesten Haar-Look. Sie zeigen der Community, was sie heute anhaben, kommentieren alles mit Hashtags wie #outfitoftheday und #instasmile und wünschen mir einen wunderbaren Start in den Tag.
Und ich? Ich fühle mich so schlecht. So unperfekt. Bin so normal im Vergleich zum Rest. Ich schlafe viel zu oft viel zu lang. Hab dann zu wenig Zeit. Springe meist in die Klamotten von gestern und manchmal sind die drei Minuten siebenundzwanzig, die mein Toast braucht, um die optimale Bräune zu haben, nicht mehr vorhanden. Dann renne ich mit meinem labbrigen Toast und dem Scheibenkäse, den ich ab und an auf dem Weg verliere, zur Bahn. Verpasse sie trotzdem und komme zu spät. Das reicht mir jetzt. Ich will was ändern. Will mehr sein wie die und weniger wie ich. Ich will nicht mehr morgens zu spät aufstehen, ich will schön aussehen, ich will cool sein und ich will Likes. Ich will, dass Leute mir sagen, wie toll ich doch bin und mich fragen, wo meine Klamotten her sind. Ich will alles. Also werde ich alles.
Ich stehe morgens früh auf. Gehe raus, mache Sport, nehme auf. Ich stehe Stunden in der Küche, zaubere die außergewöhnlichsten und schönsten Gerichte. Ich brauche ewig vor dem Spiegel. Ich kopiere von den Größten und Besten, den Königen des Internets, den Herrschern des Social Nets. Jeden Atemzug, den ich nehme, jeden Schritt, den ich gehe, jedes Gericht, das ich koche, jedes Stück, das ich trage, alles wird festgehalten. Nichts entgeht meiner Linse. Es wird geshared und kommentiert, geliked und inszeniert, bis mir die Finger wehtun. Doch es dauert nicht lange und ich bin drin. Bin selbst eine Königin. Ich bin schön und ich bin cool. Ich habe mehr Likes, als ich zählen kann und die Leute sagen mir, wie toll ich aussehe und fragen mich, wo meine Klamotten her sind. Ich habe alles. Doch ich bin so gestresst. Alles ist so fest, so getaktet und verplant. Nichts geschieht mehr spontan. Mein Essen ist kalt, bevor ich es esse. Und meine Schminke ist ab, bevor ich das Haus verlasse. Meine Figur ist perfekt, dank diesem wunderbaren Photoshop-Effekt. Ich bin eine Königin der Illusion, der Inszenierung und Drapierung. Ich bin schöner, schlanker und besser als der Rest – zumindest im Netz.
Zwischen all dem Drang zur Selbstdarstellung – der Jagd nach Likes und Kommentaren, der Suche nach Bestätigung, ja zwischen all dem – habe ich mich selbst vergessen. Habe ich das Social aus meinem Real Life gestrichen. Habe ich verlernt, ich selbst zu sein, zu lächeln, zu lachen und Quatsch zu machen, den Moment zu genießen und im Augenblick zu leben. Das bin ich nicht. Das will ich nicht. Also gehe ich offline. Höre auf zu liken und zu sharen, zu posten und zu kommentieren. Bin wieder ich und weniger wie der Rest. Bin nicht mehr perfekt und viel mehr echt. Ich schlafe morgens wieder zu lang und trage wieder die Sachen von gestern. Ich hetze aus dem Haus und verpasse meine Bahn. Und bei all dem, da erfreue ich mich an dem Echten. An meiner Mitbewohnerin, die mir morgens in der Küche begegnet und müde über mein erneutes Verschlafen lächelt, an der Sonne im Gesicht und dem kleinen Mädchen auf dem Weg, das lachend ausweicht, als ich ihr entgegen hetze.
Ich teile auch jetzt noch: mein Lächeln mit dem Fremden, meinen Sitzplatz in der Bahn, mein letztes Kaugummi. Bloß keine Illusionen mehr, keine Inszenierungen und Drapierungen. Ich bin ich und ich bin echt. Das ist doch eigentlich schon ziemlich perfekt.
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