Die Banalität des Bösen

Die italienische Mafiaserie Il Cacciatore – The Hunter in der FSF-Programmprüfung

Letzte Woche – am 4. April – startete MagentaTV mit der Ausstrahlung der italienischen Mafiaserie Il Cacciatore – The Hunter, die auf der 2008 veröffentlichen Autobiografie des italienischen Richters Alfonso Sabella beruht. Die Ereignisse spielen Anfang der 1990er-Jahre, das Zeitkolorit ist sorgfältig und liebevoll gestaltet, gleichwohl wirkt hier nichts altbacken oder zeitlich weit entfernt. Die Auswirkungen reichen bis heute, das Thema ist aktueller denn je.

Zum Inhalt: Nach der Ermordung der Richter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino macht der junge und ehrgeizige Provinz-Staatsanwalt Saverio Barone Jagd auf die Führungsriege der sizilianischen „Cosa Nostra“. Gleichzeitig geht es um innere Machtkämpfe und Rivalitäten der verschiedenen Clans. Wie für die durch die Streamingdienste auf den Markt flutenden Qualitätsserien üblich, erhält auch hier der Held der Serie eine traumatische Vergangenheitswunde. Barones Jugendfreund, der ihm das Jagen beibrachte und mit dem er eine schreckliche Erinnerung teilt, ist zur Cosa Nostra übergelaufen und lebt in der Illegalität. Die Jagd des Staatsanwaltes nach dem abtrünnigen Jugendfreund bestreitet neben der Suche nach dem Mafiaboss Don Luchiano Bagarella den Spannungsbogen der ersten Staffel. Erst nach und nach wird das Trauma in assoziativen Rückblenden nacherzählt. Mit diesem Kunstgriff erhält die Geschichte des Mafiajägers Barone zusätzlich eine persönliche Fallhöhe.

Für die Fernsehadaption nahmen sich die Macher einige Freiheiten heraus, die das dramatische Potenzial der Figuren ausschöpfen sollten, wie im Vorspann erklärt wird. Die Geschichte ist trotzdem – ähnlich wie in der von der Kritik hochgelobten Innenansicht der napolianischen Mafia „Gomorra“ – ganz der Realität verpflichtet. Doch während hier, aber auch in der Filmgeschichte und vielen aktuellen Beispielen über das kolumbianische Drogenkartell, stets die Täter im Mittelpunkt stehen, wird in Il Cacciatore konsequent aus der Perspektive des ermittelnden Staatsanwaltes Saverio Barone erzählt. Das ist ungewöhnlich und innovativ.

Das Mafiagenre weist sonst vor allem faszinierende Täterfiguren auf. Hier geht von den Clanchefs, den Handlangern und dem Mafiapaten jedoch keine Strahlkraft aus. Die Männer sehen ganz und gar normal aus, sie sind weder besonders charismatisch noch besonders attraktiv. Immer agieren sie absolut kaltblütig, grausam und mitleidlos, wenn es um die Durchsetzung ihrer Interessen geht. Gleichzeitig sind sie liebende Familienmenschen, ohne dass hier irgendeine Art der Verklärung stattfinden würde. Im Zentrum steht der meistgesuchte Mann Siziliens Don Luchiano Bagarella. Auf sein Konto gehen über einhundert Morde, er entführt Kinder von rivalisierenden Clans, ist zuhause aber ganz liebender und fürsorglicher Ehemann. Immer bleibt die Inszenierung auf Distanz zu diesem unscheinbaren Mann. Weder sieht er auf irgendeine Art besonders aus, noch wirken seine Taten an irgendeiner Stelle cool oder gar attraktiv. Ganz im Gegenteil: Die ausgeführte Gewalt ist nicht nur roh und unmenschlich, sondern immer auch feige und hinterhältig. Sein Handeln hat viele Schatten: So leidet die Ehefrau unter den Grausamkeiten ihres Mannes, vor allem da sie kinderlos geblieben ist und er den Sohn eines rivalisierenden Clanchefs entführt an.
Die Banalität des Bösen bekommt hier ein Gesicht: Das Morden, Foltern und Erpressen erhält schlicht die Macht der Agierenden und sie beruht immer auf einer unfairen Situation der simplen Überlegenheit, entweder durch Waffen oder die Anzahl der Handlanger. Gewalt ist auch immer nur situativ zielführend, sie erhält die Macht, aber im weiten Spannungsbogen der Serie ist dem Gewalthandeln der Cosa Nostra auch das Scheitern eingeschrieben, da sie in der Illegalität operiert und vom Staat gejagt wird.

Szenen, in denen die Mafiagewalt explodiert, sind – gemessen an anderen Vertretern des Genres – im Verlauf der ersten Staffel nicht viele, dafür sind sie umso eindringlicher. Deutlich wird aber stets auch, dass die Gewalt nicht nur für die Opfer Folgen hat, sie macht auch etwas mit den Tätern. So ist der engste Vertraute Bagarellas der absolut friedliebende Toni Calvaruso. Mehr durch einen Zufall rutscht er in die Position des Chauffeurs. Aber Toni hasst Gewalt, er kann den von seinem Chef verlangten Initiationsmord über die gesamte Staffel nicht ausführen, immer versucht er zu deeskalieren und zu retten, was zu retten ist. Gleichzeitig weiß der Mafiaboss so, dass Toni ihm niemals gefährlich werden kann und nur dadurch steigt er zum engsten Mitarbeiter des Paten auf. Denn im Gerüst der Mafiaclans lauern überall Misstrauen und Verrat, auch das zeigt die Serie eindringlich. Diesen hohen Preis zahlen alle, wirklich alle, Mafiaangehörigen.

Die Serie hält ein, was sie von Anfang an verspricht: Spannende Unterhaltung, historische Sorgfalt, eine mehr vom Drama als von Action geprägte Erzählung, in der alle Figuren vielschichtig und ambivalent ausgeleuchtet werden. Gleichzeitig ist die Serie ein Reflexion über Gewalt, die Menschen auf beiden Seiten zerstört, und die Banalität des Bösen, auf deren Grund niemals etwas Heldenhaftes liegt.

Il Cacciatore – The Hunter seit 4. April 2019 bei MagentaTV.

 

FSF: freigegeben ab ..?

FSF: freigegeben ab 12 Jahren | Hauptabendprogramm © FSF

Dialogorientiert wird die Geschichte der Cosa Nostra und ihrer gesellschaftlichen Verwicklungen in Form von Geldwäsche erzählt, auch werden die Rivalitäten innerhalb der Staatsanwaltschaft und weitere persönlichen Hintergründe beleuchtet. Daneben beinhaltet die im Mafiakosmos spielende Serie genregemäß einige Gewaltspitzen, die sich in der Mehrzahl jedoch in einem für das Hauptabendprogramm tauglichen Maße befinden und dramaturgisch gut eingebunden sind. Selten vorkommende drastisch inszenierte Gewaltspitzen müssen entweder für die Ausstrahlung im Hauptabendprogramm* entfallen oder dürfen ungeschnitten erst im Spätabendprogramm*gesendet werden, weil sie für ein Publikum unter 16 Jahren nachhaltig zu ängstigend sein könnten. Der im Handlungsverlauf auftretende Drogenkonsum wird eindeutig negativ eingeordnet. Als distanzierend wurde der Zeitkolorit, die fehlende Alltagsnähe und die dialogreich inszenierte Story eingeschätzt, weshalb einer Freigabe ab 12 Jahren für die Mehrheit der Episoden nichts im Wege stand.

Zu weiteren ProgrammInfos auf der FSF-Website geht es hier.

*Pay-TV-Anbieter oder Streamingdienste können eine Jugendschutzsperre aktivieren, die von den Zuschauern mit der Eingabe einer Jugendschutz-PIN freigeschaltet werden muss. Somit gelten die üblichen Sendezeitbeschränkungen und Schnittauflagen nicht. Weitere Informationen zu Vorschriften und Anforderungen an digitale Vorsperren als Alternative zur Vergabe von Sendezeitbeschränkungen sind im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (§ 5 Abs. 3 Nr. 1; § 9 Abs. 2 JMStV) sowie in der Jugendschutzsatzung der Landesmedienanstalten (§ 2 bis § 5 JSS) zu finden.”

Bitte beachten Sie: Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Programm nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkungsrisiken mehr bedeutet.

Mehr Informationen zur Programmprüfung erhalten Sie auf unserer Website. Dort veröffentlichen wir jede Woche neue ProgrammInfos zum aktuellen Fernsehprogramm. Auch diese Auswahl stellt keine Empfehlung dar, sondern zeigt einen Querschnitt der Programme, die den Prüfausschüssen der FSF von den Mitgliedssendern und externen Antragstellern vorgelegt werden.

Über Christiane Radeke

Studium der AV-Medienwissenschaften an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF, arbeitete für Filmfirmen und Festivals. Tätigkeit als Publizistin u.a. für das Kinder- und Jugendfilmzentrum in Deutschland. Ausbildungen zum Creative Producer, zur Synchronbuchautorin und in Creative Writing. Seit einigen Jahren Autorin von Jugendbuchtexten. 2013 erschien ihr Romandebüt Herz Schlag Zeit im Thienemann Verlag.