Ihre Mutter sei sehr erleichtert gewesen, erzählt eine der Protagonistinnen von Mütter machen Porno am Ende: sie hatte angenommen, ihre Tochter hätte sich tatsächlich als Porno-Darstellerin betätigt. Es stimmt, der Titel führt in die Irre, aber Mütter setzen sich mit dem Porno-Konsum von Jugendlichen auseinander, konzipieren einen eigenen pornografischen Kurzfilm und setzen ihn mithilfe von Profis in die Tat um wäre zwar aussagekräftiger, aber auch entschieden weniger catchy.
Der Sat.1-Mehrteiler ist ein Remake der dreiteiligen britischen Doku-Serie Mums Make Porn von 2019 und kopiert deren Konzept bis ins Detail: Fünf Mütter von Kindern im Teenager-Alter tun sich zusammen, um sich zunächst einmal über Pornografie zu informieren, wobei sie erschüttert sind, worauf man im Internet mit wenigen Klicks so alles stößt. Sie beschließen, dem oftmals von männlicher Dominanz und Aggressivität geprägten Bild von Sexualität etwas entgegenzusetzen, was eher ihren Vorstellungen entspricht, wobei sich bald herausstellt, dass ihre Vorstellungen weit auseinanderklaffen. Mit Recherchebesuchen bei Erotik-Messen, Domina-Studios und Porno-Sets kommen die Mütter schließlich auf einen grünen Zweig und begeben sich an die Umsetzung ihrer Ideen, wobei sich die bei der Recherche gesammelten Kontakte in die Porno-Branche als nützlich erweisen. Am Ende kommt es zur umjubelten Premiere ihres Films, bei der sich die Mütter stolz auf ihr Erreichtes und ihre Ehemänner stolz auf ihre Ehefrauen zeigen.
Die Dramaturgie der Geschichte knirscht merklich unter der schweren Last, als spontan erscheinen zu lassen, was präzise konzipiert ist: Das beginnt mit den fünf scheinbar durchschnittlichen Müttern, die selbstverständlich sorgfältig gecastet wurden, setzt sich fort mit der Idee zum eigenen Pornofilm, die natürlich kein spontaner Impuls, sondern von Anfang an Teil des Formats war, und endet nicht mit den Einblicken ins Porno-Business, das wohl kaum jede neugierige Hausfrau zu einem Setbesuch einlädt. Doch schon das Konzept hat Logiklücken: Nachdem die fünf Mütter auf die feministischen Pornos von Erika Lust stoßen, fühlen sie sich in ihrem Vorhaben erst recht inspiriert und bestärkt – dabei könnten sie ihre Mission eigentlich direkt abblasen, weil die „andere“, also die liebevolle, sinnliche, gleichberechtigte Pornografie, die ihnen vorschwebt, offensichtlich bereits existiert. Und überhaupt: Ist nicht das Vorhaben von Anfang zum Scheitern verurteilt, im Bereich der Pornografie noch irgendetwas herzustellen, was es nicht längst schon gibt?
Für die Beurteilung durch die FSF spielten diese inhaltlichen Schwächen freilich keine Rolle. Unter dem Gesichtspunkt des Jugendschutzes stellten die Prüfausschüsse eine gewisse Tendenz zu plakativen und sensationalistischen Darstellungen fest, wozu auch der irreführende Titel gehört. Insgesamt erkannten sie der Sendung jedoch eine klare Aufklärungsabsicht zu. Dem Thema entsprechend ist zwar viel Sex zu sehen und noch mehr von Sex die Rede, doch steht dabei eindeutig das Ziel der Aufklärung und der Aufruf zum Gespräch zwischen den Generationen im Mittelpunkt. Die fünf Protagonistinnen, die verschiedene Perspektiven und Meinungen einbringen, bilden dabei ein wirksames Korrektiv, das das Geschehen jederzeit orientierend einordnet. Ihre teilweise sehr emotionale Reaktion auf aggressive und herabwürdigende Sexvideos kann Konsumenten solcher Filme möglicherweise sogar eine neue Perspektive auf diese Art von Pornografie eröffnen. Entlastend wirken sich zudem die zwischendurch eingespielten Interviews mit Jugendlichen aus, die zu einem frühen Zeitpunkt gewollt oder ungewollt mit Internetpornografie in Kontakt gekommen sind und hier einzeln oder in Gruppen zu verschiedenen Fragen unverkrampft Stellung beziehen und Auskunft geben. Die Befürchtung der Mütter, Jugendliche könnten aggressive und Frauen erniedrigende, im Porno gängige Praktiken als Normalität oder Vorbild verstehen, wird von diesen angenehm gelassenen und ganz und gar nicht traumatisiert wirkenden Jugendlichen amüsant widerlegt.
Internetpornografie ist zweifelsohne ein Thema, das Jugendliche und ihre Eltern gleichermaßen angeht. Auch wenn sich in Mütter machen Porno die Aufklärung in erster Linie auf der Ebene der Eltern abspielt, die sich mit den Gewohnheiten ihrer Teenie-Kinder auseinandersetzen, zielt die Sendung doch vor allem darauf ab, Eltern und Kinder in einen Dialog zu bringen. Indem das Thema nicht auf trocken-informative Weise, sondern mittels Protagonistinnen personalisiert und in eine unterhaltsame Handlung eingebettet wird, hat es eine Form, die auch einem jugendlichen Publikum gut zugänglich ist. Durch die Freigabe im Hauptabendprogramm ist die Möglichkeit gegeben, die Generationen vor dem Fernseher zusammenzubringen. Ob Jugendliche sonderlich darauf erpicht sind, in Gesellschaft ihrer Eltern verpixelte Ausschnitte aus Porno-Clips mit dem Off-Kommentar von fünf aufgebrachten Müttern zu sehen, steht allerdings auf einem anderen Blatt.
Der Mehrteiler wurde/wird wie folgt bei SAT.1 und im Livestream auf sat1.de ausgestrahlt: Am Mittwoch, den 22. Juli, lief bereits die erste Episode, zwei weitere folgen heute Abend um 20.15 Uhr und um 22.30 Uhr (kommentiert und den Vorgaben des Jugendschutzes entsprechend mit Szenen von Vanilla X – Der Film). Auf sat1.de können alle Folgen der Doku-Serie kostenfrei online gestreamt werden.
FSF-ProgrammInfo mit der Altersfreigabe kurz und knapp
Die Doku-Serie wurde in den Prüfausschüssen sehr kontrovers diskutiert. Zwei Folgen wurden – z.T. erst im Berufungsverfahren – ab 12 Jahren freigegeben, sodass eine Ausstrahlung ab 20 Uhr möglich ist, eine Episode erhielt die Freigabe ab 16 Jahren und kann entsprechend im Spätabendprogramm ab 22 Uhr gezeigt werden. Für eine Freigabe ab 16 Jahren spricht die z.T. dichte Bildebene mit Bildern von Standardpornos sowie die Tatsache, dass die Pornoindustrie an sich nicht kritisch kommentiert wird. Erst ältere Jugendliche könnten Pornografie als bloße Facette von Sexualität angemessen einordnen. Für eine Freigabe ab 12 Jahren spricht, dass eindeutig das Ziel der Aufklärung und der Aufruf zum Gespräch zwischen den Generationen im Mittelpunkt der Sendung steht. Die sexuellen Inhalte werden deutlich in einen aufklärerischen Kontext über die Machart und typischen Muster von Pornos eingebettet. Die Darstellungen selbst sind geblurrt oder aus der Distanz dargestellt. Vor diesem Hintergrund traute die Mehrheit der Prüferinnen und Prüfer bei den ersten beiden Episoden bereits ab 12-Jährigen zu, die Szenen mit sexuellen Inhalten in den beschriebenen Kontext zu setzen und diese entsprechend einzuordnen. Positiv wurden die offenen Interviewsequenzen mit Jugendlichen bewertet, in denen sie Auskunft über ihre eigenen Erfahrungen und Einstellungen geben. In Teil drei, in dem dann verpixelte Szenen aus dem fertigen Film gezeigt werden, ist der Aufklärungscharakter trotz der Kommentare der Mütter geringer – dieser Teil wurde einstimmig ab 16 Jahren freigegeben.
Zu weiteren ProgrammInfos der FSF auf unserer Website geht es hier.
Pay-TV-Anbieter oder Streamingdienste können eine Jugendschutzsperre aktivieren, die von den Zuschauern mit der Eingabe einer Jugendschutz-PIN freigeschaltet werden muss. Somit gelten die üblichen Sendezeitbeschränkungen und Schnittauflagen nicht. Weitere Informationen zu Vorschriften und Anforderungen an digitale Vorsperren als Alternative zur Vergabe von Sendezeitbeschränkungen sind im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (§ 5 Abs. 3 Nr. 1; § 9 Abs. 2 JMStV) sowie in der Jugendschutzsatzung der Landesmedienanstalten (§ 2 bis § 5 JSS) zu finden.”
Bitte beachten Sie: Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Programm nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkungsrisiken mehr bedeutet.
Mehr Informationen zur Programmprüfung erhalten Sie auf unserer Website. Dort veröffentlichen wir in unregelmäßigen Abständen neue ProgrammInfos zum aktuellen Fernsehprogramm. Auch diese Auswahl stellt keine Empfehlung dar, sondern zeigt einen Querschnitt der Programme, die den Prüfausschüssen der FSF von den Mitgliedssendern und externen Antragstellern vorgelegt.