Forest Whitaker ist der Godfather of Harlem
Ein romantischer Rest von Freiheit
Gangster sind Grenzüberschreiter, Tabubrecher. Sie ignorieren gesellschaftliche Regeln und stellen, besonders in ihrer organisierten Form, lieber eigene auf. Deshalb faszinieren sie. Sie tun verbotene Dinge und haben – zumindest zeitweilig – damit Erfolg, doch um welchen Preis? Dem Gangster haftet, ganz sicher im Kino, ein romantischer Rest von Wildheit und Freiheit an. Ob als einsamer Wolf oder als Capo di tutti, umweht ihn eine seltsame Melancholie, ähnlich dem Westerner, der auch gelernt hat, sich in feindlicher Umgebung zu behaupten, zu überleben. Gewalt als Mittel zum Zweck, aber auch die Waffe als erotisches Utensil, als Fetisch und Glücksbringer. Der blutige Exzess, bei Coppola, Scorsese oder Tarantino als große Oper, als Befreiung von Zwängen, als Rausch der Wunscherfüllung inszeniert. Der narzisstische Größenwahn der klassischen Mobster-Figuren ist immer ein bisschen Robin Hood, aber zugleich ein Trotzen gegen die Ahnung von unvermeidlicher Verdammnis. Schuld. Und Sühne. In Michael Manns Public Enemies, sein Period Piece über Dillinger, betritt Johnny Depp als Staatsfeind Nummer Eins die Büros der Sondereinheit, die ihn jagt, sieht sich in aller Ruhe die Fahndungsfotos an den Wänden an – und wird von allen ignoriert. Ein Unberührbarer – oder schon ein toter Mann, ein Geist, den nur wir noch sehen? Die gewaltigen Kokainberge Anfang der Achtziger in de Palmas Scarface, mit denen sich Al Pacino zudröhnt, um sich an die Spitze zu träumen, haben den echten Mafiosi imponiert, sie mochten den Film. Arthur Penn ließ Jahre zuvor Faye Dunaway und Warren Beatty als „Bonnie und Clyde“ im Kugelhagel der Polizei sich orgiastisch aufbäumen – das Sterben als Abbau sexueller Spannungen. Exploitation als Subversion der Fake News aus Vietnam, dem anderen, exportierten Abschlachten; die alten Volkshelden für ein “Neues Hollywood”.
Zerrspiegel des Kapitalismus
Die Charaktere, die der Schauspieler Forest Whitaker verkörpert, haben alle eines gemeinsam: sie sind innerlich zerrissen von extremen Widersprüchen, disparate Teile einer Persönlichkeit, die nicht zusammenpassen wollen. Von dem selbstzerstörerischen Musikgenie Charlie Parker bis zum charmanten Massenmörder Idi Amin, asketische Samurai-Killer oder sanftmütige, traumatisierte Polizisten in Südafrika – mit Whitakers eigentümlicher Körpersprache, seiner würdevollen Zurückhaltung, seiner Passivität vortäuschenden Contenance signalisiert er Zerbrechlichkeit ebenso wie unbeugsame Entschlossenheit.
In Godfather of Harlem, der neuen Serie auf MagentaTV – mit heutigem Ausstrahlungsbeginn – spielt er Ellsworth „Bumpy“ Johnson, der nach zehn Jahren in Alcatraz zurückkehrt in das Viertel, das er einst beherrschte, nach Harlem. Die Italiener haben den Markt erobert, machen mit Heroin das große Geschäft. Um den Kampf gegen die mächtige Genovese-Familie aufzunehmen, braucht Bumpy Verbündete. Er findet sie, mit einigem diplomatischen Geschick, in alten Weggefährten, die inzwischen ihre eigenen Ziele verfolgen, dem strengen Bürgerrechtler Malcolm X und dem windigen Baptistenprediger und Realpolitiker Adam Clayton Powell Jr. Drei Afroamerikaner, drei reale Schlüsselfiguren der amerikanischen Nachkriegsära, die zum Zeitpunkt der erstarkenden Bürgerrechtsbewegung ihren Einfluß auf die Geschicke der Stadt New York und die Zukunft ihres Landes, unter anderem mit dem historischen Marsch auf Washington 1963, geltend machen. Doch nicht nur der Gangster unter ihnen hat seine dunklen Geheimnisse – Bumpy neigt zum Jähzorn und schneidet Widersachern schon mal in Rage die Kehle durch oder lässt sie aus Rachsucht vergewaltigen. Zugleich muss er aber auch die Auswirkungen des florierenden Drogenhandels in seiner eigenen Familie erkennen. Seine Tochter Elise ist ein Junkie – und wird zum empfindlichen Störfaktor für seine Pläne.
Charakterköpfe
Außenseiter und Aufsteiger zugleich ist Bumpy, wie jeder Berufsverbrecher, im Grunde eine Karikatur des anständigen Bürgers, ein Businessman, ein Familienmensch mit Verpflichtungen, ein moderner Macho mit geheimen Sehnsüchten und Neurosen. Doch ein Alphatier darf keine Schwäche zeigen. Eine falsche Entscheidung und du bist raus aus dem Spiel. Geld und Macht, Verbrechen und Politik – die verschlungenen Wege der Mafia zur Gewinnmaximierung liefern uns ein wunderbares Zerrbild des Kapitalismus. Als kluger Mann und als Hüter der alten patriarchalischen Ordnung (und als Gewalttäter) bleibt Bumpy eine komplizierte, eine problematische Identifikationsfigur.
Der FSF wurden drei Episoden der Gangsterserie vorgelegt und eine Freigabe für das Hauptabendprogramm beantragt. Diskutiert wurde ausführlich, ob von den gewaltorientierten Handlungen des Protagonisten eine übermäßig ängstigende ebenso wie eine gewaltbefürwortende Wirkung für 12-Jährige ausgeht. Da er insgesamt in seiner Ambivalenz auch für jüngere Jugendliche als eine von Schuld gezeichnete Figur (auch Vaterfigur) nachvollziehbar ist, die Gewaltmomente seine grausame und abstoßende Seite nicht verschweigen und die historische Rahmung sowie der lebensferne Kontext relativierend wirken, wurde die Handlung schließlich als grundsätzlich verkraftbar gewertet. Rassistische Beschimpfungen und Entgleisungen sind deutlich dem Milieu und der Zeit zugeordnet. Drogenkonsum und -deals werden nicht befürwortet und erhalten eine kritische Einbettung. Ab 12-Jährigen kann zugetraut werden, die dunklen Seiten dieses klassischen Anti-Helden und seiner Zeit dem Genre zuzuordnen und das fiktionale Geschehen mit ausreichender Distanz zu rezipieren. Für einige Szenen, die in ihrer Drastik eine Überforderung für 12-Jährige befürchten lassen, wurden Schnittauflagen verhängt. Die ansonsten oft behäbige Inszenierung lenkt die Aufmerksamkeit ganz auf das spielfreudige Schauspielerensemble, zurecht. Wie alle Gangstergeschichten der letzten 90 Jahre lebt auch diese von den Charakterköpfen in den Nebenrollen, dem großartig sorgenvollen Paul Sorvino und dem quecksilbrigen Giancarlo Esposito, aber auch jungen Talenten wie Antoinette Crowe-Legacy oder Deric Augustine (als Muhammed Ali).
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Pay-TV-Anbieter oder Streamingdienste können eine Jugendschutzsperre aktivieren, die von den Zuschauern mit der Eingabe einer Jugendschutz-PIN freigeschaltet werden muss. Somit gelten die üblichen Sendezeitbeschränkungen und Schnittauflagen nicht. Weitere Informationen zu Vorschriften und Anforderungen an digitale Vorsperren als Alternative zur Vergabe von Sendezeitbeschränkungen sind im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (§ 5 Abs. 3 Nr. 1; § 9 Abs. 2 JMStV) sowie in der Jugendschutzsatzung der Landesmedienanstalten (§ 2 bis § 5 JSS) zu finden.”
Bitte beachten Sie: Bei den Altersfreigaben handelt es sich nicht um pädagogische Empfehlungen, sondern um die Angabe der Altersstufe, für die ein Programm nach Einschätzung der Prüferinnen und Prüfer keine entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkungsrisiken mehr bedeutet.
Mehr Informationen zur Programmprüfung erhalten Sie auf unserer Website. Dort veröffentlichen wir jede Woche neue ProgrammInfos zum aktuellen Fernsehprogramm. Auch diese Auswahl stellt keine Empfehlung dar, sondern zeigt einen Querschnitt der Programme, die den Prüfausschüssen der FSF von den Mitgliedssendern und externen Antragstellern vorgelegt.